Der Internet-Konzern Amazon hat der Wikileaks von seinen Servern ausgesperrt und damit insbesondere in den USA den Zugang zu den von Wikileaks veröffentlichten geheimen US-Domumenten erheblich erschwert. Wikileaks hatte Platz auf den Servern von Amazon angemietet, nachdem die Seite www.wikileaks.org zuvor durch DDoS-Attacken lahmgelegt worden war. Amazon bietet neben seiner Haupttätigkeit im Internet-Buchhandel auch das Webseiten- Hosting als Dienstleistung an. Vieles deutet darauf hin, daß das Unternehmen mit Hauptsitz in Seattle Wikileaks wegen Drucks durch die US-Regierung ausgesperrt hat.
Wikileaks hat mit der Veröffentlichung eines geheimen Militär-Videos aus dem Irak (März 2010), von geheimen Dokumenten zum Afghanistan-Krieg (Juli 2010), zum Irak-Krieg (Oktober 2010) und zuletzt von diplomatischen Depeschen aus US-Botschaften die Obama-Regierungen und Regierungen einiger anderer Staaten verärgert. Auch ohne daß es direkten Kontakt zwischen US-PolitikerInnen und Amazon gegeben haben muß, ist offensichtlich wie stark der Druck gerade in den USA ist. So hatte US-Senator Joe Lieberman, zugleich Vorsitzender des Senatsausschusses für Heimatschutz, gesagt, "keine verantwortungsbewußte Firma in den USA oder anderswo" dürfe WikiLeaks dabei helfen, "gestohlene Informationen zu verbreiten".
Der bekannte Bürgerrechtler, frühere Hippie, Songtexter und Journalist John-Perry Barlow nahm in der Auseinandersetzung Stellung und sprach vom Ausbruch des ersten Info-War: "Der erste ernsthafte Informationskrieg hat begonnen. Das Schlachtfeld ist Wikileaks. Ihr seid die Truppen." Er fordert die "Netz-Gemeinde" zur Solidarisierung auf. Barlow ist einer der Gründer der Bürgerrechts-Organisation 'Electronic Frontier Foundation'. Der bekannte Whistleblower Daniel Ellsberg, der 1971 mit der Veröffentlichung der "Pentagon Papers" der Bewegung gegen den Vietnamkrieg starken Auftrieb gegeben hatte, schrieb einen offenen Brief an Amazon und dessen Gründer Jeff Bezos. (Aus den "Pentagon Papers" ging hervor, daß die US-Regierung die Öffentlichkeit belogen hatte.) Ellsberg kritisiert in dem Brief "Amazons Feigheit und Unterwürfigkeit", weil der Konzern "angesichts der Drohungen von Senator Joe Lieberman und anderen Rechtsaußen im Kongress" Wikileaks die Tür gewiesen habe. Zugleich kündigte er an, Amazon ab sofort zu boykottieren, und rief andere auf, es ihm gleichzutun. Das Vorgehen der US-Politik und Amazons erinnere ihn an die Internetzensur in China.
In Deutschland ruft nun die Linkspartei wegen dieses Vorgehens von Amazon zum Boykott des Internet-Konzerns auf. ''Das Weihnachtsgeschäft steht vor der Tür. Das ist für die Käufer eine gute Gelegenheit, Amazon zu zeigen, was sie von der Zensur gegen Wikileaks halten'', sagte Linkspartei-Vizechefin Katja Kipping. Es sei nicht hinnehmbar, daß ein Weltkonzern sich zum Büttel der US-Regierung mache und in vorauseilendem Gehorsam die Meinungsfreiheit einschränke. Auch in etlichen Internet-Foren wird zum Boykott von Amazon aufgerufen
Amazon bestritt, Wikileaks auf politischen Druck von seinen Servern ausgesperrt zu haben, die Whistleblower-Plattform habe gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Wikileaks verfüge nicht über die Rechte an den vertraulichen Dokumenten. Allerdings würde diese Argumentation ebenso auf die an den jüngsten Enthüllungen beteiligten fünf internationalen Presse-Medien, 'New York Times', 'Guardian', 'Le Monde', 'El País' und 'spiegel' zutreffen. Ob - wie Amazon unterstellt - tatsächlich Recht gebrochen wurde und Straftaten vorliegen, müßte zunächst ein Gericht entscheiden. Das Vorgehen von Amazon ist daher als Form von Selbstjustiz zu werten.
Die Plattform Wikileaks ist allerdings weiter direkt über ihre IP-Adresse http://213.251.145.96 als auch über mehrere Web-Anbieter, die die Daten auf ihrem eigenen Server ''spiegeln'', erreichbar. So sind die Inhalte beispielsweise weiterhin auf der Seite wikileaks.ch zu finden, die auf die Schweizer Piratenpartei registriert ist. Auch wikileaks.de funktioniert nach wie vor. Die Vorgänge zeigen erneut zwei seit langem bekannte Tatsachen: Zum einen können politische Seiten im Internet durch eine Zugangserschwerung empfindlich getroffen werden. Zum anderen beweist es die in den vergangenen zwei Jahren in der Diskussion über die Sperrung von kinderpornographischen Seiten im Internet vorgebrachten Argumente, daß es sehr einfach ist, die Inhalte auf den - zumeist in den USA befindlichen - Servern zu löschen und nur eine Schein-Lösung, sie mit einem Stop-Schild lediglich zu sperren.
Wikileaks hatte zur Sicherheit der Daten vor Löschung diese nicht nur bei Amazon, sondern weltweit zugleich auf einer Vielzahl von Servern abgespeichert. Sie liegen auf den Servern des schwedischen Anbieters 'Bahnhof' und auf denen des französischen Anbieters OVH.
Mittlerweile hat auch der US-Dienstleister EveryDNS die Verbindung zwischen www.wikileaks.org und der IP-Adresse gekappt. Auch in diesem Fall liegt der Verdacht nahe, daß politischer Druck entscheidend war. Der DNS-Provider EveryDNS ist eine im Internet wichtige Instanz, die für die Verknüpfung der aus einem Zahlen-Code bestehenden IP-Adresse und der leichter zu merkenden URL - wie etwa www.wikileaks.org - zuständig ist. Ohne diese Verknüpfung finden viele Internet-NutzerInnen Wikileaks nicht mehr. Menschen hingegen, die bestimmte Formen von Pornographie suchen, haben untereinander auch per eMail Kontakt und können die entsprechenden Informationen austauschen, wo sie gesperrtes Material weiterhin finden.
EveryDNS begründet sein Vorgehen mit den DDoS-Attacken, denen Wikileaks seit dem 28. November immer wieder ausgesetzt war: "Wikileaks.org ist Ziel mehrfacher distribuierter Denial-of-Service-Attacken. Diese Angriffe haben die Stabilität der Infrastruktur von EveryDNS.net bedroht, von der beinahe 500.000 andere Websites abhängen, und würden das auch weiter tun."
Bei DDoS-Attacken werden Server durch eine Vielzahl automatisch gesteuerter, gleichzeitiger Anfragen aus einem Netz ferngesteuerter Computer "beschossen", damit überlastet und im schlimmsten Fall komplett lahmgelegt. Üblicherweise werden solche Angriffe mit Hilfe sogenannter Bot-Netze ausgeführt - großen Netzwerken aus Rechnern, die durch eingeschleuste Schad-Software ferngesteuert werden können. Die BesitzerInnen dieser Rechner merken oft nicht einmal, daß ihre Computer Teil eines Großangriffs sind. Ob hinter diesen Angriffen wie sonst nicht selten Hacker oder in diesem Fall der US-Geheimdienst steckt, wird spekuliert.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Wikileaks-Enthüllung
Hillary Clintons illegale Aktionen (29.11.10)
Wikileaks-Gründer Assange
erneut mit Vergewaltigungsvorwurf verfolgt (18.11.10)
Verbrechen Krieg
Wikileaks veröffentlicht Dokumente zum Irak-Krieg
(24.10.10)
Wikileaks deckt Hintergründe
des Afghanistan-Kriegs auf (28.07.10)
Irak-Krieg: Video zeigt Kriegsverbrechen
US-Hubschrauberbesatzung schießt auf Unbewaffnete
(6.04.10)
wikileaks.de gesperrt
Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)