26.07.2011

Libyen-Krieg
"Humanitärer" Schutz von ZivilistInnen ist Vorwand

Obama und Gaddafi Washington (LiZ). Das Agieren der US-Regierung unter George W. Bush und Barack Obama hat in den vergangenen Jahren gezeigt, daß diese keinerlei Interesse an einer Demokratisierung in Libyen oder einem anderen der von Despoten regierten nordafrikanischen Staaten hatte. Mittlerweile liegen etliche Informationen vor, die belegen, daß der libysche Diktator Muammar al Gaddafi in jüngster Zeit wegen unkooperativen Verhaltens im Erdöl-Geschäft auf die "Abschußliste" der USA geraten war.

Libyen steht mit geschätzten Erdöl-Vorkommen von insgesamt rund 40 Milliarden Barrel an siebter Stelle unter den OPEC-Staaten (an erster Stelle steht Saudi-Arabien mit rund 250 Milliarden Barrel). Saudi-Arabien fördert täglich 8 Millionen Barrel, Libyen förderte im Jahr 2010 rund 1,5 Millionen Barrel pro Tag. In Afrika ist Libyen der Staat mit den größten Öl-Reserven.

Der seit 1969 nach einem Militärputsch in Libyen herrschende Diktator Muammar al Gaddafi hatte sich schon einmal bei den Mächtigen in den USA und Großbritannien unbeliebt gemacht. Kurz nach seiner Machtübernahme schloß er ihre Militärbasen in El Adam bei Tobruk (Briten) und Wheelus Air Base (USA). Noch unerfreulicher war für sie, daß Gaddafi kurz darauf die britischen und US-amerikanischen Erdölgesellschaften in Libyen verstaatlichte. Entsprechend der damaligen Mode verbrämte Gaddafi seine Diktatur als "sozialistisch", ließ sich jedoch im Gegensatz zu anderen afrikanischen Despoten, die jenes Etikett mehr oder weniger ernst nahmen, nicht auf engere Beziehungen zur damaligen Weltmacht UdSSR ein. Positiv ist zu vermerken, daß die libysche Bevölkerung unter Gaddafis Diktatur weitaus mehr als in vergleichbaren Staaten vom Ölreichtum des Landes profitierte.

Gaddafi verfolgte eigene größenwahnsinnige Pläne und versuchte - mit zeitweilig beachtlichen Teilerfolgen - ein Großreich durch Zusammenschlüsse mit Nachbarstaaten wie Ägypten oder dem Tschad zu schaffen. Auch sah er sich in jener Zeit als Führer einer panafrikanischen Bewegung und unterstützte Dank reichlich fließender Öleinnahmen etliche Terror- und "Befreiungs"-Bewegungen wie die Polisario (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro) in der Westsahara und die Frolinsat (Front de Liberatión Nationale du Tschad) im Tschad. Gesteigerten Haß der westlichen "Eliten" zog sich Gaddafi zudem durch die Unterstützung der PalästinenserInnen im Kampf gegen den israelischen Staat zu. Da sein Verhalten zunehmend skurriler wurde, bot er den westlichen Mainstream-Medien eine wohlfeile Zielscheibe. US-Präsident Ronald Reagan machte 1986 Gaddafi sodann real zur Zielscheibe und ließ dessen vermutete Aufenthaltsorte am 14. und 15. April bombardieren, konnte ihn aber nicht töten. Der Absturz eines US-amerikanischen Linienflugzeugs über dem südschottische Städtchen Lockerbie am 21. Dezember 1988, der höchstwahrscheinlich durch CIA-Agenten verursacht worden war, konnte hernach ohne wirkliche Beweise in den Medien als Racheakt des libyschen Despoten dargestellt werden.

Für viele Jahre wurde Gaddafi international ausgrenzt und konnte politisch nur Dank seines Erdölreichtums überleben. Etliche Mordanschläge gegen ihn mißglückten. Erst nach Überschreiten des globalen Peak Oil zu Beginn dieses Jahrtausends wurden für den Westen die nach wie vor gigantischen Ölvorräte des nordafrikanischen Staates wieder interessanter und so kam es allmählich zu einer Tauwetterperiode. Im März 2004 unterzeichnete Gaddafi das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag und erlaubt seitdem Kontrollen der IAEA. Die EU-Staaten nutzten Gaddafis Bereitschaft, sich in ihren Dienst als Grenzwächter zur Abwehr von Flüchtlingen aus Afrika zu stellen. Offensichtlich war auch, daß Gaddafi längst keine terroristischen Gruppen mehr unterstützte und selbst genug damit zu tun hatte, Rebellen und Islamisten im eigenen Lande zu bekämpfen. So nahmen Frankreich und die USA (unter George W. Bush) im Jahr 2006 diplomatische Beziehungen zu Libyen auf und Gaddafi ließ im Gegenzug wieder westliche Erdölgesellschaften ins Land. Barack Obamas Gegenkandidat bei der US-Präsidentschaftswahl, John McCain, führte im August 2009 im Auftrag des neuen US-Präsidenten eine hochrangig besetzte Delegation bei einem Besuch Gaddafis an. McCain bezeichnete das Tempo, in dem sich die beiderseitigen Beziehungen entwickeln als "ausgezeichnet”.

Gaddafi merkte jedoch bald, daß der Westen wegen schwindenden Öl-Nachschubs und zweier aufwendiger und anhaltender Öl-Kriege in Afghanistan und im Irak im Vergleich zu früheren Zeiten in einer deutlich schwächeren Verhandlungsposition war. So versuchte er bei den abzuschließenden Öl-Kontrakten immer vorteilhaftere Konditionen herauszuschlagen. In einer von Wikileaks veröffentlichten Geheim-Depeche aus dem November 2007 wurden Klagen an Washington weitergeleitet, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren: Gaddafi versuche, die "Kontrolle über und den Anteil der libyschen Regierung an den Ölvorkommen zu erhöhen." Die US-Regierung solle doch bitte Gaddafi klarmachen, daß solch wenig kooperatives Verhalten "klare Nachteile" für ihn zur Folge haben könnten. In den westlichen Mainstream-Medien war sogar einmal von "Knebelverträgen" die Rede.

Doch Gaddafi ließ sich offenbar von US-amerikanischen Drohungen nicht beeindrucken und ging sogar daran, bestehende Verträge mit Öl- und Gas-Konzernen neu zu verhandeln. In den Jahren 2007 und 2008 waren Konzerne wie ExxonMobil, Petro-Canada, Repsol (Spanien), Total (Frankreich), ENI (Italien), und Occidental (USA) gezwungen, neue Verträge mit der Libyschen Nationalen Ölgesellschaft NOC zu unterzeichnen und dabei aus ihrer Sicht wesentlich ungünstigere Konditionen zu akzeptieren. Sie mußten zudem alle einen Vorschuß in Höhe von einer bis zu 5,4 Milliarden US-Dollar in Form einer "Bonuszahlung” leisten. Im Juli 2010 wurde ein im Jahr 2007 abgeschlossener Vertrag der britische Öl-Konzern BP mit der NOC bekannt, der Libyen den vergleichsweise lächerlichen Anteil von 900 Millionen US-Dollar zugesteht. Es handelt sich um die Erschließung eines Öl- und Gasfelds im Mittelmeer vor der Küste Libyens, das eine Ausgehnung von der Fläche Belgiens besitzt und rund 300 Kilometer ins offene Meer hinausreicht. BP will nach eigenen Angaben bis zu 20 Milliarden US-Dollar in dieses Offshore-Projekt investieren. Doch die ergiebigsten Ölfelder blieben bislang zum Verdruß des Multis der NOC vorbehalten.

In einer von Wikileaks verbreiteten Geheim-Depesche vom Juni 2008 sind Beschwerden nachzulesen, daß das libysche Regime etliche US-Firmen zu Neuverhandlungen zwinge, obwohl sie doch im Jahr 2005 bereits 1,8 Milliarden US-Dollar gezahlt hätten. Die Klage gipfelt darin, es sei anzuzweifeln, ob die neuen Verhandlungsergebnisse schließlich eingehalten würden oder ob in Bälde mit weiteren "tiefen Einschnitten" zu rechnen sei. Zugleich geht aus dieser Depesche hervor, daß die Verträge als "im Ganzen vorteilhaft" bewertet wurden und durchaus mehr Profit versprachen als bei vergleichbaren Geschäften. Die Neuverhandlung von Verträgen schaffe jedoch einen gefährlichen internationalen Präzedenzfall und könne andere Ölförderstaaten zur Nachahmung verleiten.

Im Januar 2009 wurden die Öl-Konzerne und der neue US-amerikanische Präsident Barack Obama durch Äußerungen Gaddafis vor StudentInnen der Georgetown-Universität alarmiert. Darin drohte Gaddafi eine erneute Verstaatlichung ausländischer Erdölgesellschaften in Libyen an. NOC-Chef Shurki Ghanem spielte kurze Zeit darauf bei weiteren finanziellen Nachforderungen an die Öl-Konzerne auf die Drohung Gaddafis an. Der US-Botschafter in Libyen erinnerte daher in einer weiteren Depesche daran, daß das "Ausüben von Druck auf US-Firmen das Überschreiten einer roten Linie bedeute." Doch ungeachtet dieser unverhohlenen Kriegsdrohungen begann das libysche Regime die US-amerikanischen Öl-Konzerne gegen ihre europäische, russische und chinesische Konkurrenz auszuspielen. China konnte in Libyen "ganze Bündel an Konzessionen" erwerben, beklagten sich die US-Konzerne bei ihrer Regierung.

All diese Informationen bieten ein klares Motiv für einen Krieg gegen Libyen. Am Ende dieses Krieges kann ein Regime installiert werden, das den Öl-Konzernen wie gewohnt zu Diensten steht. Daß hingegen humanitäre Motive ausscheiden, beweist das Verhalten der US-Regierung gegenüber den Demokratie-Bewegungen in Libyen und den Nachbarstaaten Ägypten und Tunesien. Barack Obama hielt sich lange Zeit offiziell heraus und unterstützte verdeckt weiterhin westlich orientierte Diktatoren wie Hosni Mubarak. Noch im Dezember 2010 hatte Mubarak Schein-Wahlen durchführen können und ein Oppositions-Politiker wie der frühere Chef der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) Mohammed el-Baradei erhielt keinerlei Unterstützung aus den USA. Ebenso war die Demokratie-Bewegung in Tunesien völlig auf sich allein gestellt. Selbst ein Regime wie das des saudi-arabischen Diktators Abdullah, das in seiner Grausamkeit dasjenige des Iran bei weitem übertrifft, wird durch die USA an der Macht gehalten.

Der mittlerweile von den USA und Frankreich als libysche Regierung anerkannte "Nationale Übergangsrat" setzt sich aus Personen zusammen, die ebenso wenig an Demokratie interessiert sind wie Gaddafi, die jedoch für die USA ebenso wie für Frankreich oder Deutschland einen entscheidenden Vorteil bieten: Sie werden sich für die militärische Unterstützung, mit deren Hilfe sie an die Macht gebracht werden, erkenntlich zeigen, indem sie den libyschen Ölreichtum vorbehaltlos an die westlichen Öl-Konzerne ausliefern. Hinzu kommt, daß Gaddafi auf verschiedenen Konten und in Form von Devisen-Reserven ein Vermögen von rund 150 Milliarden US-Dollar angehäuft hat. Dieses Vermögen, das eigentlich der libyschen Bevölkerung zusteht, wird vermutlich unter den Kriegs-Herren aufgeteilt werden.

Sicherlich gingen auch in Libyen Anfang dieses Jahres junge Leute, AnwältInnen und AkademikerInnen gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit und nach Demokratie auf die Straße. Sie schrieben Manifeste und bildeten Arbeitsgruppen, die eine demokratische Verfassung ausarbeiteten. Allerdings waren sie in Libyen nicht besonders zahlreich. Sie sprachen sich gegen die Hilfeersuchen um westliche Militärhilfe und die von bewaffneten Aufständischen geforderte Flugverbotszone aus, weil sie wußten, welche Kräfte dabei schließlich die Oberhand gewinnen würden und daß Demokratie nicht unter dem Schutzschirm des USA gedeihen würde. Doch während die militärischen Auseinandersetzungen eskalierten, wurden sie von den bewaffneten Aufständischen, abtrünnigen Regierungspolitikern und gut organisierten Exil-Politikern wie etwa Khalifa Haftar an den Rand gedrängt. Mit Beginn des als NATO-Intervention bezeichneten Libyen-Kriegs im März waren sie endgültig aus dem Spiel.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Sarkozy und die Atombombe
      für Gaddafi (23.02.11)

      Schein-Wahl in Ägypten
      Offenbarungseid für Barack Obama (2.12.10)

      Obama stärkt Diktatur
      Waffen-Deal für 60 Milliarden US-Dollar eingefädelt
      (14.09.10)

      Schein-Abzug aus dem Irak
      Öl im Wert von mindestens 300 Milliarden US-Dollar
      (19.08.10)

      BP lernresistent
      Offshore-Ölbohrung im Mittelmeer geplant (22.07.10)

      Obamas neue Terrorfront im Jemen
      Bis zu 120 Tote bei Angriff mit Marschflugkörpern
      (23.12.09)

      Obama zeigt erneut Flagge
      Ein Verbot von Landminen wäre nicht
      im Interesse seiner Finanziers (25.11.09)

      "Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
      Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)

      Obama schürt Konflikt in Somalia
      US-Waffenlieferung ins Krisengebiet (27.06.09)

      Obama erhöht den US-Kriegsetat
      Größtes Militär-Budget der Weltgeschichte (8.04.09)

      Wer verursachte 1988
      die Lockerbie-Katastrophe? (21.12.08)

      Barack Obama und das Nadelöhr
      Ist von Obama anderes zu erwarten als von Bush?
      (9.10.08)

      Ehemaliger US-General John Abizaid
      bezeichnet Irak-Krieg als Krieg ums Öl (16.10.07)

      Zwei Irre und die A-Bombe
      Sarkozy offeriert Gaddafi AKW als Eintritt in den Club
      (27.07.07)

      Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      Drei Kriegsgründe
      - drei Lügen (18.06.04)

      Libyen vergrößert Abstand zu USA
      Beitritt zu Atomwaffen-Sperrvertrag (16.01.04)

      Die Wandlungen des Obersten Gaddafi
      Libyen will respektabel werden (27.12.03)