4.08.2014

Kriegsbegeisterung vor 1914?
Die Rolle der SPD als Steigbügelhalter

Reichspräsident Friedrich Ebert und die Rückseite der Medaille - Collage: Samy
Heute wird es häufig so dargestellt, als sei "das ganze Volk" - ob in Deutschland, Frankreich oder England - in freudiger nationaler Aufwallung in den Krieg marschiert. Tatsächlich jedoch gab es überall in Europa - auch in Deutschland - noch im Juli 1914 Massendemonstrationen gegen den jahrelang vorbereiteten Krieg. Waren das alles "Schlafwandler", die in etwas hineinrutschten, das sie gar nicht wollten?

Das deutsch-britische Wettrüsten um die größte Kriegsflotte war dem Proletariat nicht verborgen geblieben. Mit dem im Juni 1900 verabschiedeten Zweiten Flottengesetz forderte die deutsche Regierung unter Kaiser Wilhelm II. Großbritannien dazu heraus, die Finanzmittel für den Flottenausbau ebenfalls massiv zu erhöhen. Der Bau des HMS Dreadnought im Jahr 1905 läutete den Bau einer ganzen Generation neuer Großkampfschiffe ein.

Otto von Bismarck hatte als Kanzler noch eine Politik des Ausgleichs der Kräfte betrieben. Doch bereits kurz nach seiner Entlassung durch Wilhelm II. im Jahr 1890 war der für Deutschland existentiell wichtige Rückversicherungsvertrag mit Rußland nicht erneuert worden. Unter Wilhelm II. verfolgte Deutschland das Ziel, zur Großmacht aufzusteigen. Auch der Plan, den wenig prestigeträchtigen nachrangigen Platz unter den Kolonialmächten hinter sich zu lassen und einen "Platz an der Sonne" zu erobern, zielte auf kriegerische Auseinandersetzungen ab.

In den Jahren zwischen 1900 und 1914 bestimmten immer deutlicher die Kohle- und Stahl-"Barone" Krupp, Kirdorf und Stinnes die Politik, da sie ihre Profite in der Zeit der seit 1900 stagnierenden Ökonomie in zunehmendem Maße mit Rüstungsaufträgen machten. Eisen- und Stahlkonzerne, Schiffswerften und Chemiekonzerne betrieben mit ihren Interessenverbänden wie dem Flottenverein, dem Wehrverein und dem Alldeutschen Verein eine permanente Propaganda für Patriotismus, Kolonialismus, Aufrüstung und Krieg. An ihrer Seite standen die ostelbischen Junker, die ihre großen Ländereien durch Gebietseroberungen in Westrußland vervielfältigen wollten. Ausführender Repräsentant dieser auf einen großen Krieg in Europa ausgerichteten Interessen war der ab 1909 unter Wilhelm II. amtierende Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg.

Davon also, daß die Mächtigen "schlafwandlerisch" in den Ersten Weltkrieg gestolpert seien - wie es manche Historiker darzustellen versuchen - kann keine Rede sein. Doch hat die über viele Jahre in nahezu allen europäischen Staaten verbreitete Kriegs-Propaganda einen "Hurra-Patriotismus" entfachen können?

Tatsächlich gab es in ganz Europa - auch in Deutschland - noch im Juli 1914 Massendemonstrationen gegen den von den Herrschenden gewollten und sowohl per Aufrüstung als auch per Propaganda vorbereiteten Krieg. Der 'Vorwärts', die große Parteizeitung der SPD, druckte noch am 25. Juli 1914 einen Appell, der mit den Worten schloß: "Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!"

In den gut 50 Jahren zwischen 1863 und 1914 war die damals noch revolutionäre SPD zu einer Partei mit über einer Million Mitgliedern mit der zahlenmäßig stärksten Fraktion im Reichstag aufgestiegen. Zu den Zeiten von Karl Marx (1818 - 1883) und Ferdinand Lassalle (1825 - 1864) wußte das deutsche Proletariat noch um die Bedeutung der internationalen Solidarität und war sich seiner Gegnerschaft zur Klasse der Kapitalisten bewußt.

Die 'Sozialistische Internationale' konnte sich auf starke Arbeiterparteien in vielen europäischen Ländern stützen. Auf den Internationalen Sozialisten-Kongressen 1907 in Stuttgart und 1912 in Basel hatte die SPD noch eine führende Rolle gespielt und die europäischen Arbeiter zum Widerstand gegen den nahenden Krieg aufgerufen.

Im Jahr 1914 hatten es die AnführerInnen der europäischen sozialdemokratischen Parteien vor Kriegsbeginn noch in der Hand, das mehrheitlich gegen Krieg eingestellte Proletariat zum Generalstreik aufzurufen. Leider war August Bebel, Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie und viele Jahre deren Vorsitzender, 1913 gestorben. Dieser hätte vielleicht in Deutschland zusammen mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (dem Sohn Wilhelm Liebknechts) die Kehrtwende der Sozialdemokratie verhindern können.

Doch nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen europäischen Ländern waren innerhalb der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften reformistische Kräfte in die Führung aufgestiegen und hatten dort eine Mehrheit erlangt. Rosa Luxemburg kritisierte diese Entwicklung scharf als "Bürokratismus". Der Revisionismus innerhalb der SPD hatte sich erst nach der Aufhebung der Sozialistengesetze und der Aufhebung des SPD-Verbots entwickelt. Während der Illegalität konnte niemand seine Existenz auf den Fortbestand einer sicheren Arbeitsstelle bei der "Arbeitgeberin" SPD aufbauen. Doch in wenigen Jahren war eine Schicht von "Parteibonzen" entstanden. In ihrer saturierten Existenz und der oftmals als Abgeordnete erlangten allgemeinen Anerkennung, hatten sie einen Status erreicht, den sie nicht mehr durch "Revolutionsrhetorik" gefährdet sehen wollten. Und gerade indem diese Kräfte ihren Frieden mit der Obrigkeit gemacht hatten, waren sie dafür prädestiniert, das Proletariat in den Krieg zu führen.

Diese revisionistischen Kräfte waren 1914 - obwohl in der Partei in der Minderheit - in der SPD-Führung und auch in der SPD-Reichstagsfraktion in der Mehrheit. Und nur weil ein einstimmiges Votum der Fraktion zwingend war, konnte die Gruppe um Friedrich Ebert (seit 1913 einer der beiden SPD-Vorsitzenden und nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Amt des Reichspräsidenten belohnt) durchsetzen, daß die gesamte Fraktion am 4. August 1914 im Reichstag den Kriegskrediten zustimmte. Das war der entscheidende Schlag. Die SPD-Reichstagsfraktion begründete dies mit der Aussage: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich."

Rosa Luxemburg kommentierte: "Am 4. August 1914 hat die deutsche Sozialdemokratie politisch abgedankt, und gleichzeitig ist die sozialistische Internationale zusammengebrochen. (...) Gestellt vor diese Alternative, die sie zuerst erkannt (...) hatte, strich die Sozialdemokratie die Segel, räumte kampflos dem Imperialismus den Sieg ein. Noch nie, seit es eine Geschichte der Klassenkämpfe, seit es politische Parteien gibt, hat es eine Partei gegeben, die in dieser Weise, nach fünfzigjährigem unaufhörlichem Wachstum, nachdem sie sich eine Machtstellung ersten Ranges erobert, nachdem sie Millionen um sich geschart hatte, sich binnen vierundzwanzig Stunden so gänzlich als politischer Faktor in blauen Dunst aufgelöst hatte wie die deutsche Sozialdemokratie." Und von ihr stammt der Vergleich der unter dem Namen SPD fortbestehenden Partei mit einem "stinkenden Leichnam".

Die deutsche Sozialdemokratie stellte sich damit gegen die Mehrheit des Volks auf die Seite der Kriegstreiber. Friedrich Ebert und seine Gefolgsleute betätigten sich so als Steigbügelhalter des Militarismus und machten sich mitschuldig an der bis dato blutigsten Massenschlächterei der Menschheitsgeschichte. Erst nach diesem Versagen der Sozialdemokratie im Jahr 1914 entstanden als Abspaltung "kommunistische" Parteien.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Gibt es eine SPD seit 150 Jahren?
      Nein - Es gibt deren drei (23.05.13)

      Berufsverbote
      1972: Willy Brandt - 2004: Annette Schavan (28.01.12)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD
      (23.05.09)

      SPD benötigt Minderheitenschutz
      Historischer Tiefststand (9.04.05)

      Der Leichnam stinkt seit 90 Jahren
      Am 4. August 1914 stimmte die SPD für Krieg (4.08.04)