Berlin (LiZ). Derzeit wird in den Mainstream-Medien die BSE-Krise des Jahres 2000 aufgegriffen, um die gewagte Behauptung zu verbreiten: Der Sieg gegen BSE beweise, daß die Risiken industrieller Massentierhaltung beherrschbar sein. Dem setzt eine neue Initiative einen öffentlichen Appell entgegen, der wohlbegründet ist und nicht nur VegetarierInnen oder VeganerInnen ansprechen dürfte.
Gegenwärtig ist wieder viel von der BSE-Krise des Jahres 2000 die Rede, in dessen Folge der damalige "rot-grüne" Bundeskanzler Gerhard Schröder am 9. Januar 2001 seinen "roten" Agrar-Minister Karl-Heinz Funke und seine "grüne" Gesundheitsministerin Andrea Fischer feuerte und großmäulig eine "Wende in der Landwirtschaft" und das "Ende der industriellen Tierproduktion" verkündete. Die daraufhin eingesetzte "Verbraucherschutz"-Ministerin Renate Künast war zwar zu keinem Zeitpunkt mehr als eine Gallionsfigur und die Entwicklung der Biolandwirtschaft in Deutschland hinkt hinter der in vielen anderen europäischen Staaten hinterher. Doch zumindest in einer Hinsicht kann sich Künast mit Schröder messen: Im Jahr 2003 hatte sie verkündet, sie sei "auf dem besten Wege, das Waldsterben zu besiegen." Und tatsächlich hat das eine mit dem anderen Thema zu tun: Die industrielle Massentierhaltung ist eine der Hauptursachen für den anhaltend kritischen Zustand der deutschen Wälder.
Doch an erster Stelle verweist der neue Appell gegen Massentierhaltung nicht auf das Risiko für den Menschen, sondern auf die doch allmählich immer mehr publik gewordene gigantische Tierquälerei, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei der Massentierhaltung darstellt. So heißt es in der Begründung des Appells:
"Die Massentierhaltung
- bereitet Tieren ein Leben voller Schmerz und Leiden,
- trägt zum Klimawandel bei,
- verschmutzt unsere Umwelt,
- ist ein Brutkasten für Krankheitserreger,
- schadet unserer Gesundheit,
- verschwendet wichtige Ressourcen
- und zerstört die Existenzgrundlage von Bauern in Entwicklungsländern."
Dennoch nimmt die Zahl und Größe der Tierfabriken in Deutschland immer weiter zu. Der Deutsche Bauernverband agiert bezeichnender Weise nicht nur als Lobby-Verband der industriellen Landwirtschaft und der dahinter stehenden Agro-Konzerne wie Bayer, BASF oder Südzucker, sondern gilt zudem als Protagonist der Gentechnik.
Die Massentierhaltung boomt in Deutschland. Unzählige neue Anlagen sind bundesweit in der Planung. Allein für den von der EU mit 6,5 Millionen Euro subventionierten umstrittenen Mega-Schlachthof im niedersächsischen Wietze sollen 400 neue Hähnchenmästereien à 40.000 Tiere gebaut werden. Bereits in den ersten sieben Monaten dieses Jahres übertrafen die Hähnchenschlachtungen in Deutschland das Vorjahresergebnis um 7 Prozent. Die Eierproduktion soll Prognosen zufolge um 4,9 Prozent wachsen. Auch der Export von Schweinefleisch soll weiter ansteigen. In Mecklenburg-Vorpommern ist trotz Protesten die größte Ferkelzuchtanlage Europas geplant. Deutschland als bevorzugter Standort der industriellen Tierwirtschaft: diese Entwicklung wird von der Politik unterstützt und mit öffentlichen Geldern gefördert.
Dabei ist bekannt, daß in Massentierhaltungsanlagen mit Tieren auf eine Weise umgegangen wird, die uns Menschen beschämen muß. Es ist bekannt, daß die Massentierhaltung eine wesentliche Ursache des Klimawandels (siehe unseren Artikel v. 26.01.10) ist und daß sie die Umwelt schädigt (siehe unsere Artikel v. 27.07.10 und v. 22.01.10). Es ist bekannt, daß der hohe Fleischkonsum unserer Gesundheit nicht bekommt, und daß die Massentierhaltung unkalkulierbare Risiken im Hinblick auf die Entstehung neuer Epidemien birgt (siehe unseren Artikel v. 26.06.10). Es ist bekannt, daß die Verfütterung von Getreide an Tiere eine Ressourcenverschwendung darstellt, die wir uns angesichts des Welthungers nicht leisten dürften, und daß der Export von Produkten aus Massentierhaltung Bauern in ärmeren Ländern die Existenzgrundlage raubt. Dieses Wissen muß endlich politische Konsequenzen haben.
Aus all diesen Gründen fordert der Appell den Ausstieg aus der Massentierhaltung und die Transformation zu einer sozial-ökologischen Landwirtschaft. Einen solchen Richtungswechsel einzuleiten, kann nicht dem Markt oder den Kaufentscheidungen von Einzelnen überlassen werden. Wo Gemeingüter in Gefahr sind, bedarf es politischer Regelung.
Die Forderungen im Einzelnen:
- Vielfalt, Gerechtigkeit und Arbeitsplätze in ländlichen Regionen - Privilegien für industrielle Tierhaltung abschaffen
- Klima- und Tierschutz wirksam verbessern
- Kennzeichnung der Haltungsform auf tierischen Lebensmitteln
- Agrarsubventionen nur für höhere Standards im Tier- und Umweltschutz
- Überproduktion abbauen, Exportsubventionen streichen
Diese Position wird bereits von zahlreichen Umwelt- und Tierschutzverbänden vertreten, die sich im Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" organisiert haben. Außerdem unterstützt die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) den Appell.
Der Appell ist zu finden unter:
www.gegen-massentierhaltung.de
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
"Bananenrepublik Deutschland"
Lächerliche Strafe für Tierquäler (3.11.10)
Die Ostsee stirbt
Mord per Ackerbau und Viehzucht (27.07.10)
'Foodwatch' deckt auf:
BSE-Gefahr nicht gebannt
Tiermehl-Schmuggler kommt mit Bußgeld davon
(26.06.10)
Bio-Landwirtschaft
Option für Klimaschutz
und Sicherung der Welternährung (26.01.10)
Wald-AIDS weiter virulent
Aigner veröffentlicht "Waldzustandsbericht 2009"
(22.01.10)
Auch 2008 stieg die Zahl der Tierversuche
Ohne gesicherte wissenschaftliche Notwendigkeit
(27.10.09)
Klimaschutz durch Verzicht auf Fleisch
Bis 2050 über 20.000 Milliarden US-Dollar (17.07.09)
Bundesregierung unterliegt:
Liste der Agrar-Subventionen endlich öffentlich
(9.06.09)