Stuttgart (LiZ). Am gestrigen Freitag abend protestierten erneut Zehntausende gegen das Mega-Projekt "Stuttgart 21". Unabhängige Schätzungen kommen zum Ergebnis, daß die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde und die mit dem Projekt verbunden Baumaßnahmen zehn bis elf Milliarden Euro verschlingen würden. Die BefürworterInnen des Projekts geraten argumentativ immer mehr in die Defensive.
Nach Angaben der VeranstalterInnen versammelten sich am Freitag abend rund 30.000 Menschen (Polizei: 20.000) vor dem historischen Stuttgarter Hauptbahnhof. In einem Schweigemarsch zogen die DemonstrantInnen zum nahen Schloßgarten, wo rund 300 Bäume dem Prestige-Projekt zum Opfer fallen sollen.
Gegenüber den Medien warnte der Projekt-Sprecher von "Stuttgart 21", Wolfgang Drexler, vor Milliarden-Kosten, die bei einem Stop zu Buche schlagen würden. Er machte Planungskosten von 440 Millionen Euro und 240 Millionen Euro für Auftragsvergaben geltend. Hinzu kämen 760 Millionen Euro, die Stuttgart inklusive Zinsen für den Kauf freiwerdender Gleisflächen gezahlt hat und dann abschreiben müßte. Zugleich wies er darauf hin, daß die von den GegenerInnen des Projekts geforderte Sanierung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in dieser Rechnung nicht enthalten sei. Die in der 'Frankfurter Rundschau' aus einem Geheimpapier der Bahn zitierten Ausstiegskosten von 73 Millionen Euro seien "völliger Unsinn", betonte Drexler. Ein solches internes Papier sei ihm nicht bekannt.
Auch die baden-württembergische "S"PD reagiert zunehmend defensiv auf den anwachsenden Protest gegen das Stuttgarter Prestige-Projekt, das für viele Jahre die finanziellen Mittel für dringend nötige Investitionen in Bahnverbindungen und öffentlichen Nahverkehr binden würde. Drexler, zugleich "S"PD-Landtagsabgeordneter, erwartet "Depression pur" für die Region im Falle eines Stops von "Stuttgart 21". Der baden-württembergische "S"PD-Fraktions-Chef Claus Schmiedel warnte vor einem Scheitern der "rot-grünen" Koalition, die laut Umfragen bei der für März 2011 anstehenden Landtagswahl bereits in greifbare Nähe zu rücken schien. Die "Grünen" hatten auf Bundesebene während der siebenjährigen Regierungsbeteiligung zwischen 1998 und 2005 dabei geholfen, das Mega-Projekt planmäßig voranzutreiben. Übrigens wollte 1999 der damalige Bahn-Chef Johannes Ludewig "Stuttgart 21" aus finanziellen Gründen aufgeben. Immerhin positionierte sich Boris Palmer bereits bei seiner OB-Kandidatur im Jahr 2004 klar gegen "Stuttgart 21". Beim zweiten Wahlgang, bei dem er nicht mehr antrat, sprach er sich allerdings für die Wahl des "Stuttgart-21"-Befürworters und gegenwärtigen Stuttgarter Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster aus. Die politische Praxis läßt keine voreiligen Schlüsse über das zukünftige Verhalten der "Grünen" bei einer Entscheidung über "Stuttgart 21" zu, denn Schmiedel erklärte unmißverständlich: "Wer Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg tragen will, muß Stuttgart 21 mittragen."
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)
21.000 bei Menschenkette
gegen Stuttgart 21 (14.08.10)
Studie des Umweltbundesamtes
Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)
Immer mehr Menschen protestieren
16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)
Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)
Protestival der Parkschützer
Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)
'stern' veröffentlicht geheime Studie
zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen
(8.07.10)
Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
(29.04.10)
Verkehrssicherheit
Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)
'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
"Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)
Investitionen in Schienenverkehr:
BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)
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(14.11.07)