Mainz (LiZ). Am Samstag demonstrierten bei einem Protestzug, der von Mainz nach Wiesbaden führte, rund 20.000 Menschen gegen zunehmende "Terrorisierung durch Lärm" und Klimagas-Emissionen des Frankfurter Flughafens. Auf zahlreichen Transparenten machten Menschen aus Mainz, Rheinhessen und dem Rhein-Main-Gebiet ihren Unmut über die Inbetriebnahme der neuen Nordwest-Landebahn deutlich. Am Tag zuvor war Bundeskanzlerin Angela Merkel eigens zur Einweihung auf der neuen Landebahn mit einem Airbus A319 eingeschwebt.
Deutschlands größter Flughafen besitzt nun vier Landebahnen. Die Kapazität soll weiter gesteigert werden. Bis 2020 plant die Beteiber-Gesellschaft Fraport, die Zahl der PassagierInnen auf mehr als 88 Millionen zu steigern. Im vergangenen Jahr waren es 53 Millionen. Mainz, Rheinhessen und etliche weitere umliegende Regionen werden schon heute durch den Flughafen Frankfurt mit bis zu 300 Flugbewegungen am Tag belastet.
"Die Rhein-Main-Region wehrt sich gegen den Fluglärm" und "Die Menschen haben ein Recht darauf, in Ruhe zu schlafen", war auf Transparenten und Plakaten zu lesen. Bettina Appelt, Koordinatorin der 70 Bürgerinitiativen, die zur Demo aufgerufen hatte, wertete die überraschend hohe TeilnehmerInnenzahl als überwältigenden Erfolg. Die zunehmende Verlärmung ganzer Regionen sei ein Grund gewesen, "endlich aufzustehen". Partei-PolitikerInnen aller Couleur lobten ein "starkes Signal", das von der Demo ausgehe - bewußt hatten die VeranstalterInnen jedoch auf Redebeiträge von Partei-PolitikerInnen verzichtet, da die Erfahrungen der vergangenen dreißig Jahre während der "ungebremsten Wucherung" des Frankfurter Flughafens gezeigt hätten, wie wenig "nachhalltig" (ohne Nachhall) solche Worte sind.
Besonders viele Menschen waren aus der betroffenen Weinregion gekommen, die sich zuvor noch wenig für den Ausbau des Frankfurter Flughafens und die damit verbundenen Folgen interessiert hatten. So meinte etwa ein Sprecher der Bürgerinitiativen süß-säuerlich: "Ein paar davon hätte ich gerne schon vor der Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn auf Protestaktionen begrüßt - etwa im Zeltdorf auf der Trasse."
Ein Teil der TeilnehmerInnen ist allerdings keineswegs gegen den Flughafen-Ausbau und will lediglich ein Nachtflugverbot. Doch die persönliche Betroffenheit durch den Fluglärm trägt zu einer fortschreitenden Politisierung bei: Immer mehr Menschen machen sich inzwischen Gedanken über den Zusammenhang von Flugverkehr und Treibhauseffekt. Mittlerweile reicht der Radius von Protest und Widerstand über Mainz, Nierstein und Ingelheim in Rheinhessen hinaus bis ins eine Autostunde vom Frankfurter Flughafen entfernte Bad Kreuznach an der Nahe. Und immer mehr Menschen werden nachdenklich angesichts rücksichtsloser Zerstörung von Umwelt, Klima und Gesundheit zu Gunsten von Steigerungsraten und Profitmaximierung.
Vor etlichen Jahren war der Bau der heftig umstrittenen Landebahn West mit Hilfe von Mediations-Verfahren und dem Versprechen eines Nachtflugverbots durchgesetzt worden. Zuletzt wurde vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof um geplante 17 Starts und Landungen in Frankfurt zwischen 23 und 5 Uhr gestritten. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Regelung gekippt und demnächst wird das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil fällen.
Der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel sagte in seinem Redebeitrag eine weitere Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch in Rheinland-Pfalz voraus, falls es bei den jetzt neu gültigen Flugrouten bleibe und auch nachts der Fluglärm weiterhin die Menschen aus dem Schlaf reiße. Doch Herzspezialist Münzel machte den Fluglärm-Betroffenen in der Region auch Mut: "Wir haben die Pest besiegt, wir haben die Cholera besiegt und wir werden auch den Fluglärm besiegen."
Der Arzt Michael Wilk vom Bündnis der Bürgerinitiativen gegen die Flughafenerweiterung sprach vielen TeilnehmerInnen aus dem Herzen, als er auf der Schluß-Kundgebung sagte: "Bei uns wächst die Wut mit jedem Flugzeug, das über unsere Köpfe dröhnt. Uns und unseren Kindern wird der Schlaf geraubt. Die Zerstörung von Natur und Umwelt wird von den Verantwortlichen - ich korrigiere - Unverantwortlichen in Kauf genommen, damit die Bilanzen von Fraport und Lufthansa schwarze Zahlen schreiben. Und nur darum geht es ihnen: Um Geld und noch mehr Geld. Flughafenbetreiber und Luftfahrtunternehmen handeln augenscheinlich nach der Devise: Warum sollen uns die Menschen der Region kümmern? Hauptsache die Kasse stimmt."
Eine Gruppe von Kindern machte im Demo-Zug auf sich aufmerksam, als sie lautstark intonierte: "Eene meene miste, wir pfeifen auf die Piste! Eene meene meck, der Krach muß weg!" Bei der Schluß-Kundgebung durften sie sogar auf die Bühne, wo sie von den ZuhörerInnen geradezu gefeiert wurden.
Die Schluß-Kundgebung auf den Kasteler Rheinwiesen endete mit einem Konzert der der Mainzer Band Jammin’ Cool. Die achtköpfige im Raum Mainz recht bekannte Coverband hatte auf eine "lärmmindende" Auswahl von Songs gesetzt: " Wir haben bewusst ein Format zusammengestellt, das dem Anlaß entspricht," erklärte Bandleader Heiko Schulz. In den Ansagen der Songs wie etwa "Get it together" (Laßt es uns zusammen machen") des britischen Sängers Seal oder "We are the people" ("Wir sind das Volk") von 'Empire of the Sun' machten die MusikerInnen deutlich, daß sie sich wie das Publikum von "der Politik" übergangen fühlen und ein "neues Bewußtsein" spüren, das bei den FluglärmgegnerInnen nicht erst seit der Diskussion um 'Stuttgart 21' ins politische Gewissen eingekehrt sei.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Mediation und Durchsetzungs-Strategien
Das Beispiel Frankfurter Flughafen (18.10.11)
Menschenkette gegen Fluglärm
24.000 am Müggelsee (28.08.11)
Absturz von US-Kampfflugzeug bei Laufeld
Verseuchung durch Uran-Munition? (2.04.11)
Frankfurter Flughafen
Demo gegen Fluglärm in Mainz (20.02.11)
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Verantwortlich war Bahn AG (14.01.11)
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60.000 Bäume für VW-Flughafen
Abholzung im Querumer Forst (8.01.10)