30.01.2012

Japan
Nur noch 3 von 54 Atom-Reaktoren am Netz
Internationale Anti-Atom-Konferenz in Yokohama

AKW Fukushima Daiichi, Cryptome 14, verkleinert Tokio (LiZ). Zehn Monate nach dem Beginn des Super-GAU von Fukushima sind nur noch drei der insgesamt 54 Reaktoren in 17 Atomkraftwerken am Netz. Ende April sollen auch diese zu Wartungszwecken - so die offizielle Sprachregelung - abgeschaltet werden. Trotz des wachsenden Widerstands der Bevölkerung steht die japanische Regierung jedoch für einen unveränderten Atomkurs.

Der Betreiber-Konzern Chugoku Electric Power fuhr am Freitag, 27. Januar, den letzten seiner beiden Reaktoren im AKW Shimane im Südwesten Japans zur regulären Wartung herunter. Das AKW liegt am Ufer des Japanischen Meers gegenüber Südkorea. Die beiden Reaktoren der AKW Shimane gingen in den Jahren 1973 und 1988 in Betrieb, ein dritter ist seit 2007 im Bau und sollte nach offizieller Planung am 1. Dezember 2011 in Betrieb gehen. Offenbar dient die Abschaltung einer so großen Zahl von Atom-Reaktoren - ähnlich wie in Italien in den Monaten vor der Volksabstimmung über den Atom-Ausstieg im Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe - dazu, die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen.

Sobald die drei zur Zeit in Japan noch in Betrieb befindlichen Reaktoren im April abgeschaltet werden, wird sich zeigen, ob die von der Atom-Mafia immer wieder beschworenen katastrophalen Folgen eintreten oder ob das Land ohne Atomstrom auskommen kann. Bis zum Beginn des Super-GAU im AKW Fukushima Daiichi am 11. März 2011 deckten die Atomkraftwerke rund 30 Prozent des Strombedarfs. Gegenwärtig sind es weniger als drei Prozent. Doch ähnlich wie in Deutschland und anderen Industrienationen gibt es auch in Japan gigantische Überkapazitäten im Kraftwerkspark, die infolge grotesk überhöhter Prognosen des zukünftigen Strombedarfs, die in den 1970er und frühen 1980er Jahren die Politik bestimmten, aufgebaut wurden.

Zu dieser Leistungsreserve der japanischen Energiewirtschaft zählen viele thermische Kraftwerke, die nun zur Deckung des Strombedarfs hochgefahren wurden. Da etliche hiervon mit Öl befeuert werden, sind die rein betriebswirtschaftlichen Kosten der Stromversorgung gestiegen. Einberechnet werden bei einer rein betriebswirtschaftlichen Kalkulation allerdings weder die Kosten, die durch den andauernden Super-GAU von Fukushima verursacht werden - die Summe der hierfür bewilligten Steuergelder beläuft sich bereits jetzt auf über 1,5 Billionen Yen (14 Milliarden Euro) - noch die zukünftigen Kosten für eine "Endlagerung". Allein die Forderungen auf Schadenersatz gegen TEPCO, den Betreiber des AKW Fukushima Daiichi, belaufen sich mittlerweile auf über 60 Milliarden US-Dollar (46 Milliarden Euro).

Obwohl die sicherlich politisch-taktisch motivierte gegenwärtige Zurückhaltung der japanischen Strom-Konzerne mit der weitgehenden Außerbetriebnahme der Atom-Reaktoren als Kompromiß gedeutet werden könnte, zeigt ein näherer Blick, daß die japanische Regierung ohne jede Kurskorrektur an der Atomenergie festzuhalten gedenkt: Nach wie vor setzt Tokio auf den Export von Atomkraftwerken und Nukleartechnologie. Insbesondere setzt die Regierung auf Vertragsabschlüsse mit energiehungrígen Schwellen- und Entwicklungsländern.

Der außenpolitische Ausschuß des japanischen Parlaments beschloß im Dezember den Export japanischer Atomanlagen nach Jordanien und Vietnam. Die Zustimmung zu ähnlichen Geschäften etwa mit Bangladesch, Indien und der Türkei steht bereits auf der Agenda. Die japanische Atom-Mafia soll in diesen Ländern Atomkraftwerke bauen, betreiben und verwalten. Der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda erklärte in diesem Zusammenhang: "Japans Spitzentechnologie ist in diesen Staaten heiß begehrt."

Auf der Internationale Anti-Atom-Konferenz in Yokohama Mitte Januar machten japanische und internationale Umweltorganisationen gegen die japanischen Exportpläne mobil. Yuki Tanabe vom Japanischen Zentrum für eine nachhaltige Umwelt und Gesellschaft (JACSES) kommentierte: "Von diesem gefährlichen Kurs verspricht sich die japanische Regierung neue Geschäftsverbindungen und mehr diplomatischen Einfluß in diesen Ländern." TeilnehmerInnen aus Südkorea, Kanada und Europa wiesen darauf hin, daß die Atomenergie in ihren Ländern mehrheitlich abgelehnt wird.

So erklärte der Inder Praful Bidwai, ein international bekannter Kämpfer für erneuerbare Energien, dem zahlreichen Publikum wie wichtig es sei, daß die AnwohnerInnen von Atomkraftwerken nicht in ihrem gewaltfreien Protest nachlassen. Indien deckt gegenwärtig lediglich drei Prozent des Strombedarfs aus Atomkraftwerken. Die Regierung will diesen Anteil jedoch bis 2020 auf 20 Prozent erhöhen, während das Land Dank seiner von der Sonne verwöhnten geographischen Lage für die Versorgung durch erneuerbare Energie prädestiniert wäre. Die Sicherheit der bestehenden Atomkraftwerke gilt im Vergleich zu internationalen Standards als besorgniserregend. Immer wieder wird über Explosionen und den Austritt radioaktiv verseuchten Wassers berichtet. Zudem hat das südasiatische Schwellenland den Atomwaffensperrvertrag (NPT) nicht unterzeichnet und betreibt ein atomares Wettrüsten mit dem Nachbarstaat Pakistan.

Bereits im Oktober 2011 hatte der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda die Verhandlungen mit Indiens Außenminister Somanahalli Krishna über eine japanisch-indische Partnerschaft zur Förderung der "friedlichen Nutzung von Atomenergie" wieder aufgenommen. Japanische Regierungsbeamte und Wirtschaftsvertreter betonten die Notwendigkeit, sich gegen entsprechende südkoreanische Konkurrenz zu behaupten.

Dagegen berichtete Kim Heyung von der südkoreanischen Umweltbewegung, daß auch in seinem Land der Widerstand gegen die Atomenergie seit der Katastrophe von Fukushima stark gewachsen sei. Eine im Oktober durchgeführte repräsentative Umfrage hatte ergeben, daß 68 Prozent der SüdkoreanerInnen den Bau neuer AKW ablehnen. Dennoch hat die Regierung in Seoul bereits die Standorte für sechs neue Atomkraftwerke vorgeschlagen. Im vergangenen Jahr hatte Südkorea mit den Vereinigten Arabischen Emiraten einen neuen Vertrag über die Lieferung von Atomtechnologie abgeschlossen. In Konkurrenz zu Japan bemüht sich Südkorea auch in Finnland um entsprechende Aufträge.

Der Focus der Anti-Atom-Konferenz in Yokohama richtete sich auch auf die Mongolei. Laut Nachrichten vom Mai vergangenen Jahres planen die japanische und die US-amerikanische Regierung in dem an Uranvorkommen reichen Land eine Atommülldeponie. Selnge Lkhagvajav, Sprecherin der mongolischen Umweltschutz-Partei, die bereits erfolgreich gegen Atomkraftwerkspläne gekämpft hat, sagte auf der Internationalen Anti-Atom-Konferenz in Yokohama: "Wir werden gegen diese Pläne kämpfen, denn in der Mongolei gibt es weder die nötigen Fachleute noch technische Erfahrung, um Atomenergie oder Atommüll akzeptieren zu können. Die von der Atomindustrie beherrschten Staaten scheinen die Mongolei mit ihren laxen Gesetzen als Müllhalde zu betrachten. Wir werden gegen solche Bestrebungen ankämpfen."

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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      Roboter in Reaktor-Ruinen von Fukushima
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      zur Reaktor-Katastrophe von Fukushima
      US-ExpertInnen befürchten negative Entwicklung
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      Fotos von cryptome.org (6.04.11)

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      Reaktor I vermutlich schon am 11. März leck (29.03.11)

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      Gesellschaft für Strahlenschutz:
      Super-GAU ist längst Realität (23.03.11)

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      muß Konsequenzen ziehen (14.08.04)

      Atom-Ausstieg ist möglich
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