New York (LiZ). Ein klares Bild über den Zustand des AKW Fukushima Daiichi und präzise Daten über die entweichende Radioaktivität sind derzeit nicht zu gewinnen. Nun sickerten Informationen aus einem vertraulichen Bericht der US-Atomaufsicht durch. Daraus geht hervor, daß in den kommenden Monaten mit einer weiteren negativen Entwicklung zu rechnen ist. Die Wistleblower-Plattform cryptome.org veröffentlichte hochauflösende Fotos die per Drohne vom AKW Fukushima Daiichi aufgenommen wurden. Die von Hackern gekaperten Fotos bieten insbesondere von Reaktor III ein Bild weitgehender Zerstörung.
In den vergangenen Wochen wurde vom AKW-Betreiber Tepco und der japanischen Regierung ein neuartiges Spiel gespielt, das regelmäßig darauf hinauslief, erst gewisse Informationen über das AKW Fukushima Daiichi zu streuen und diese kurz darauf zu widerrufen. De facto lief dies auf eine Nachrichtensperre hinaus, ohne daß diese offiziell ausgerufen wurde. Selbst internationale ExpertInnen, die der Nuklear-Industrie nahe stehen, sagten mittlerweile, es sei zum Verzweifeln: Betreiber und Regierung gäben einfach keine relevanten Daten heraus - zumindest nicht an die Öffentlichkeit.
Doch US-amerikanische ExpertInnen im Auftrag der Regierung und der US-Atomaufsicht NRC sind vor Ort und können sich selbst – auch mit Messungen im und um das AKW – ein Bild von der Lage machen. Aus einem vertraulichen Bericht der US-ExpertInnen vom 26. März sind nun Informationen durchgesickert. Laut 'New York Times', die sich auf diesen Geheim-Bericht stützt, sind die US-ExpertInnen über den Zustand der Rektoren sehr besorgt: Einige der aufgetretenen Probleme könnten möglicherweise auf unbestimmte Zeit fortdauern. Und während viele Gefahren und Probleme noch längst nicht beherrscht würden, kämen immer neue hinzu.
So wird in diesem Geheim-Bericht im einzelnen aufgeführt:
- die Sicherheitsbehälter – soweit sie noch bestehen – seien durch den Kontakt mit radioaktivem Wasser anfälliger für Rißbildungungen. Dies stellt insbesondere bei den zu erwartenden Nachbeben ein zusätzliches Risiko dar.
- Innerhalb der Sicherheitsbehälter und auch den darin untegebrachten Reaktordruckbehältern kam es laut Geheim-Bericht zu weiteren bislang nicht bekannt gegebenen Wasserstoff-Explosionen. Um weiteren Wasserstoff-Explosionen vorzubeugen wurde nun am Mittwoch damit begonnen, Stickstoff in Reaktor I einzufüllen. Damit soll die gefährliche Mischung aus Sauerstoff und Wasserstoff verdrängt werden.
- Die US-ExpertInnen gehen davon aus, daß es im Falle einer Kernschmelze in einem oder mehreren der Reaktoren infolge der mangelhaften Kühlung zu einem dauerhaft gefährlichen Zustand kommen kann
- Die derzeit angewandte Methode, die Reaktordruckbehälter von außen zu kühlen, führt zu erheblichen Folgeproblemen. Offenbar befinden sich 60 Millionen Liter teils hochradioaktives Wasser in den Kellern der Reaktorgebäude und in unterirdischen Kanälen. Dieses radioaktive Wasser behindert die Arbeiten zur Stabilisierung des Zustands der Reaktoren.
- Radioaktive Partikel von den abgebrannten Brennelementen in den Abklingbecken sind noch in einer Entfernung von bis zu eineinhalb Kilometern landeinwärts zu finden. Ein "großer Teil" dieses radioaktiven Output ist demnach zwischen zwei Reaktorgebäuden verstreut worden.
Selbst eine Mehrheit auch der ExpertInnen, die der Nuklear-Industrie nahe stehen, gehen inzwischen davon aus, daß die Versuche, die havarierten Atom-Reaktoren zu stabilisieren, sich noch über Monate hinziehen werden. David Lochbaum, ein US-amerikanischer Nukleartechniker, äußerte gegenüber der 'New York Times', daß angesichts der sich auftürmenden Probleme der weitere Verlauf der Reaktor-Katastrophe in Japan nicht vorherzusagen sei: "Ich habe zunächst gedacht, daß meine japanischen Kollegen kurz davor stehen, die Reaktoren in eine stabile Lage bringen zu können. Nun bietet sich ein anderes Bild. Die Lage ist erheblich schlimmer als befürchtet."
Auf der Whistleblower-Plattform Cryptome.org wurden Ende März hochauflösende Fotos veröffentlicht, die von einer ferngesteuerten Drohne aufgenommen wurden.
http://cryptome.org/eyeball/daiichi-npp/daiichi-photos.htm
Die Fotos, die der seit 1996 existierenden Organisation von Hackern zugespielt wurden, zeigen in hoher Aufnahme-Qualität erhebliche Beschädigungen der Reaktorgebäude. Insbesondere das Foto mit der Nummer 14 legt den Schluß nahe, daß der Reaktordruckbehälter von Block III ernsthaft beschädigt oder gar völlig zerstört ist. Löcher im Dach des benachbarten Gebäudes weisen darauf hin, daß die schweren Trümmerteile, die diese Einschläge verursacht haben müssen, kaum vom weggesprengten Dach oder den Wänden von Block III stammen können. In Reaktor III wurden die besonders gefährlichen MOX-Brennelemente eingesetzt, die viel Plutonium enthalten.
Foto 11 (Ausschnitt, verkleinert): AKW Fukushima Daiichi, Reaktor III,
Blick vom Land Richtung Meer
Foto 14 (Ausschnitt, verkleinert): AKW Fukushima Daiichi,
Reaktor III (rechts) und Reaktor IV (links)
Blick vom Meer Richtung Land
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Japanischer AKW-Experte:
Reaktor I vermutlich schon am 11. März leck (29.03.11)
Fragen zur Situation in Japan,
zur Atomenergie und zu Deutschland (25.03.11)
Gesellschaft für Strahlenschutz:
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Die Situation in den havarierten japanischen AKW
Stand: Sonntag 16 Uhr (13.03.11)
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