21.12.2015

AKW Doel 3 wieder hochgefahren
Versprödung bedeutet Russisches Roulette

AKW Doel, Belgien
Brüssel (LiZ). Im August 2012 wurden im Druckbehälter des Reaktors 3 des AKW Doel bei Ultraschall-Untersuchungen Tausende von Rissen festgestellt. Auch Reaktor 2 des AKW Tihange blieb wegen vergleichbarer Befunde lange abgeschaltet. Die Reaktordruck­behälter etlicher anderer Atomkraft­werke stammen vom selben Hersteller. Heute wurde Reaktor 3 des AKW Doel wieder hochgefahren. Der Weiterbetrieb solcher Reaktoren bedeutet russisches Roulette mit der Bevölkerung Europas.

Reaktor 3 des AKW Doel ging 1982 in Betrieb. Die zwei älteren Reaktoren dieses belgischen Atomkraftwerks gingen 1974 und 1975 in Betrieb. Nach dem weltweit ältesten kommerziellen Reaktor im Schweizer AKW Beznau, der mittlerweile seit 46 Jahren in Betrieb ist und dessen Reaktordruckbehälter ebenfalls von Rissen und Löchern durchzogen ist, zählen diese zu den Reaktoren mit einem Alter von über 40 Jahren, die weltweit weniger als 10 Prozent des Reaktor-Bestands ausmachen.

Doel 3 wurde ab heute morgen 8:30 Uhr wieder hochgefahren und arbeitet derzeit mit 30 Prozent der Nennleistung wie Anne-Sophie Hugé, Sprecherin des Betreibers Electrabel mitteilte. Bis spätesten Mittwoch soll er wieder 100 Prozent liefern. Electrabel beabsichtigt in Kürze auch die Reaktoren 1 und 2 wieder hochzufahren.

Die belgische Regierung hatte im Juni eine Laufzeit-Verlängerung um zehn Jahre für die bereits 40 Jahre alten Atomkraftwerke beschlossen. Laut einem früheren Versprechen sollten die Atomkraftwerke in Belgien nach 40 Jahren Laufzeit stillgelegt werden. Electrabel ist offensichtlich wegen des Weihnachtsgeschenks hoch erfreut und geht davon aus, daß sämtliche sieben Reaktoren der beiden belgischen Atomkraftwerke bis Ende dieses Jahres wieder Strom produzieren und so täglich rund sieben Millionen Euro Profit abwerfen.

Im Oktober war publik geworden, daß die Risse im Reaktordruckbehälter des Reaktors I des AKW Beznau größer sind als zunächst im Juli veröffentlicht worden war - es war lediglich von "Schwachstellen" die Rede. Laut den im Oktober bekannt gewordenen Untersuchungen handelt es sich jedoch um Tausende von Löchern mit einem Durchmesser von bis zu 50 Millimeter. Die Befunde sind desaströser, als selbst viele Atomkraft-GegnerInnen befürchtet hatten. Nach ähnlichen Material-Befunden in belgischen Atomkraftwerken und auch im neuen Reaktordruckbehälter des EPR-Atom-Projekts Flamanville, müßten sofort sämtliche 435 weltweit in Betrieb befindlichen Atom-Reaktoren abgeschaltet werden, um sie auf entsprechende Schäden zu untersuchen (Siehe unsere Artikel v. 19.09.15 und v. 16.07.15). Dem steht jedoch der Zwang zur Profit-Maximierung entgegen.

Das Bersten des Reaktordruckbehälters ist nicht in den angeblich beherrschbaren Unfall-Szenarien vorgesehen, die lediglich weniger drastische Schäden als größten anzunehmenden Unfall (GAU) einplanen. Bei einem Super-GAU jedoch, also einem Unfall, der die schlimmsten "denkbaren" Szenarien überschreitet, wäre - ebenso wie im Falle von Lucens (1969), Harrisburg (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) - eine Kernschmelze nicht mehr abzuwenden. Selbst in einer Fachzeitschrift für Ingenieure wurde inzwischen eingeräumt: "Die Risse sind ein Störfall, der in den Sicherheits-Konzepten nicht vorgesehen ist, weil er als unmöglich gilt. Die Folgen wären katastrophal, weil das stark radioaktive Inventar der Druckbehälter möglicherweise kilometerweit verteilt würde." (www.ingenieure.de, 18.02.15)

Nach und nach war seit August 2012 publik geworden, daß die Reaktordruckbehälter der beiden belgischen Atomkraftwerke in Doel und Tihange mit zehntausenden von Rissen durchsetzt sind (Siehe unsere Artikel v. 9.08.12, v. 17.08.12 und v. 15.02.13). Im Februar dieses Jahres sprach der Leiter der belgischen Atomaufsicht FANC (Federal Agency for Nuclear Control), Jan Bens, von einem möglichen "globalen Problem für die gesamte Nuklear-Industrie". Bens empfahl daher in einem Interview mit dem nationalen belgischen TV eine akkurate Untersuchung aller 435 Atom-Reaktoren weltweit (Siehe unseren Artikel v. 17.02.15).

Im April dieses Jahres wurde auf der Baustelle des Reaktor-Neubau-Projekts Flamanville festgestellt, daß der eben erst eingebaute Reaktordruckbehälter Risse und Kohlenstoff-Einschlüsse aufweist (Siehe unseren Artikel v. 8.04.15). Laut Pierre-Franck Chevet, dem Chef der französischen Atomaufsicht ASN, sind die gefundenen Fehler in diesem neugefertigten Reaktordruckbehälter "sehr ernst".

Bei Reaktor 2 des AKW Tihange gab es ab März 2013 einiges Hin und Her, ob er abgeschaltet bleiben müsse. 2013 war er etliche Monate in Betrieb, mußte allerdings wieder abgeschaltet werden, nachdem sich bestätigte, daß der Reaktordruckbehälter mit tausenden Haarrissen durchzogen ist. Am 15. Dezember wurde dieser Reaktor wieder hochgefahren.

Nach Ansicht der Anti-Atom-Bewegung bedeutet der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken - ob in Frankreich, Belgien, der Schweiz oder in einem angeblich "grün-rot"-regierten Bundesland wie Baden-Württemberg - nichts anderes als Russisches Roulette mit dem Leben von Millionen Menschen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Reaktor-Stahl des AKW Beznau
      löchrig wie Emmentaler (8.10.15)

      Automatische Schnellabschaltung
      des belgischen AKW Tihange
      Versprödung bedeutet Russisches Roulette (19.09.15)

      AKW Beznau am Ende?
      14 Jahre vor "Atom-Ausstieg" (16.07.15)

      AKW-Projekt Flamanville auf der Kippe
      Materialmängel am Reaktordruckbehälter (8.04.15)

      Belgien: Materialermüdung in AKW
      Reaktordruckbehälter weltweit betroffen? (17.02.15)

      Reiche Schweiz - Uralte Atomkraftwerke
      Gefahrzeitverlängerung auf 60 Jahre (9.12.14)

      Werden die belgischen Atomkraftwerke
      Doel und Tihange wieder hochgefahren? (15.02.13)

      8000 Risse im AKW Doel
      Stilllegung dennoch ungewiß (17.08.12)

      Riß im Reaktordruckbehälter
      des belgischen AKW Doel (9.08.12)

      Marode Druckbehälter deutscher AKW
      Blockade von Untersuchungen (30.07.10)

      AKW in den USA
      zeigen deutliche Material-Probleme
      Laufzeiten von 40 Jahren utopisch
      Zunehmende Gefährdung (11.10.09)