20.01.2011

Klaus Barbie, der "Schlächer von Lyon",
arbeitete im Kalten Krieg für den BND

Klaus Barbie, Fahndungsfotos Koblenz (LiZ). Klaus Barbie war einer der übelsten Schergen der Nazi-Diktatur. Als "Schlächter von Lyon" ging der GeStaPo-Chef der Stadt in die Geschichte ein. Eigenhändig folterte Barbie Männer, Frauen und Kinder. Die Opfer erinnern sich vor allem an das tonlose Lachen, mit dem sie der Deutsche quälte. Im Kalten Krieg zwischen den USA und der UdSSR griffen der deutsche Geheimdienst BND und der US-amerikanische Geheimdienst auf die Dienste Barbies zurück. Bis 1972 gelang es Klaus Barbie unter dem Pseudonym Klaus Altmann in Bolivien unentdeckt zu bleiben.

Der als "Schlächer von Lyon" berüchtigte NS-Verbrecher Klaus Barbie floh bereits Ende 1944, als der Untergang des "Tausendjährigen Reichs" absehbar war, aus Lyon nach Deutschland. 1947 wurde Barbie von einem französischen Gericht in Abwesenheit zum ersten Mal zum Tode verurteilt. Im selben Jahr wurde er Agent für den US-amerikanischen Geheimdienst CIC und daher vom damaligen Hochkommissar John J. McCloy vor einer Auslieferung nach Frankreich bewahrt. Nach aktuellen Forschungsergebnissen und entgegen früheren US-amerikanischen Schutzbehauptungen gilt heute als bewiesen, daß der CIC von den Verbrechen Barbies wußte. Ab 1950 warb Barbie in Deutschland Mitglieder für den später verbotenen rechtsextremen 'Bund Deutscher Jugend' (BDJ). Der BDJ war die deutsche Vorläufer-Organisation der berüchtigten Gladio-Truppen der NATO in Europa. Diese paramilitärische Organisation mit engen Verbindungen zu rechtsextremen Terroristen sollten im Falle des befürchteten Einmarschs der Roten Armee der UdSSR in Westeuropa hinter den feindlichen Linien, Sabotageakte und Morde ausführen.

Mit Hilfe des US-amerikanischen Geheimdienstes flüchtete Barbie 1951 auf der "Rattenlinie" unter dem Namen Klaus Altmann nach Bolivien und wurde später auch bolivianischer Staatsbürger. Nun haben Forschungen von Peter Hammerschmidt zu Tage befördert, daß Barbie 1966 auch für den Bundesnachrichtendienst (BND) spionierte. Hammerschmidt konnte die einschlägigen BND-Akten erst nach einer Beschwerde beim Bundeskanzleramt im September 2010 einsehen.

Im BND, der mit Hilfe des US-Geheimdienstes aufgebaut wurde, arbeiteten 1949 rund 400 Personen zumeist in leitender Position, die aus dem "Sicherheitsapparat" der Nazis stammten. Anfang der 1960er Jahre wurden bei einer internen Untersuchung rund 200 BND-Mitarbeiter als frühere Angehörige von NS-Sicherheitsbehörden identifiziert, die zum Teil an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Und selbst Anfang der 1970er Jahre waren noch schätzungsweise 25 bis 30 Prozent mit NS-Hintergrund beim BND beschäftigt. Der Gründer des BND, Reinhard Gehlen, zuvor Hitlers Chef des Militärgeheimdienstes an der Ostfront, leitete den BND bis zu seiner Pensionierung im Mai 1968.

Eine Verbindung zwischen Barbie und dem BND wurde zwar seit Jahrzehnten vermutet, konnte bislang jedoch nicht bewiesen werden. Aus den BND-Akten im Koblenzer Bundesarchiv geht jedoch hervor, daß Barbie ein erstes Honorar in Höhe von 500 Mark im Mai 1966 erhielt. Der BND überwies das Honorar in der Regel auf ein Konto bei der Chartered Bank of London in San Francisco. Laut BND-Akten hat Barbie mindestens 35 Berichte geliefert. Er wurde unter dem Decknamen "Adler" mit der Registriernummer V-43118 beim BND geführt. Falls dem BND die Identität des als Klaus Altmann in Bolivien untergetauchten Nazis zunächst unbekannt gewesen sein sollte, erfuhr er spätestens im September 1966, um wen es sich handelte: Zu diesem Zeitpunkt erfuhr der BND, daß die Staatsanwaltschaft Wiesbaden aufgrund von Vorermittlungen der Ludwigsburger Zentralstelle für NS-Verbrechen nach Barbie suchte.

Einige beim deutschen Geheimdienst untergekommene ehemalige SS- und GeStaPo-Männer dürften Barbie noch aus dem "Dritten Reich" gekannt haben. Im Falle des SS-Ostexperten Emil Augsburg ist dies sogar sehr wahrscheinlich, da er zugleich mit Babie für den US-amerikanischen Geheimdienst CIC gearbeitet hatte. Auch wußte die 'Organisation Gehlen', der Vorläufer des BND, bis zu Barbies Flucht nach Bolivien von dessen Adresse in Augsburg. Sogar in BND-Unterlagen von 1964 findet sich ein Karteieintrag, Barbie lebe "eventuell" in der bolivianischen Hauptstadt La Paz. Anfang der 1960er Jahre hatte sich Barbie alias Altmann in La Paz als Kleinunternehmer etabliert. Fast täglich speiste Barbie alias Altmann im Deutschen Club in La Paz. Barbies Ehefrau, die die Bibliothek des Vereins verwaltete, zeigte sich besonders stolz auf die darin enthaltene NSDAP-Literatur. Barbies Firma La Estrella belieferte das Pharmaunternehmen Boehringer mit Chinarinde, aus der das begehrte Chinin gewonnen wurde. Infolge des Vietnam-Krieges erfreute sich Chinin einer enormen Nachfrage.

Barbie hatte es offenbar nicht nötig, wie viele andere nach Südamerika geflohenen Nazis unterzutauchen. Er stieg unter Boliviens rechten Militärdiktaturen als offizieller Berater auf. Im Hauptquartier der Armee gab er Mitgliedern des militärischen Geheimdienstes sein in Lyon erworbenes Wissen für deren Kampf gegen die politische Opposition weiter: Verhörtechniken, Folter und Guerilla-Bekämpfung. Unter der Militärjunta von René Barrientos Ortuño war Barbie 1964 zum Militärberater für Aufstandsbekämpfung aufgestiegen. 1966 erhielt er einen Diplomatenpaß. So konnte er Ende der sechziger Jahre Peru, Brasilien, Spanien, Portugal, Mexiko und Argentinien bereisen. Barbie belieferte südamerikanische Militärdiktaturen mit internationalen und vor allem europäischen Waffen. Ein im Rahmen des Nazi War Crimes and Disclosure Act freigegebenes Memorandum, das das US-Heeresamt am 18. Februar 1967 an den US-Geheimdienstdirektor richtete, beweist, daß der US-amerikanische Geheimdienst über Barbies Waffengeschäfte Bescheid wußte und diese zumindest stillschweigend akzeptierte.

Da die Verfolgung Klaus Barbies von staatlicher Seite immer wieder unter merkwürdigen Umständen im Sande verlief, versuchten die französischen Staatsangehörigen Beate und Serge Klarsfeld Anfang der 1970er Jahre auf eigene Faust, den Aufenthaltsort Barbies herauszufinden. Es gelang ihnen, Barbie in Bolivien aufzuspüren. Am 19. Januar 1972 veröffentlichte die Pariser Zeitung "l'Aurore" auf der Titelseite die von den Klarsfelds weitergeleitete Meldung, wonach Barbie von Bolivien nach Peru ausgewichen sei. Doch es dauerte nochmals über zehn Jahre bis Barbie vor Gericht gestellt werden konnte.

1980 half Barbie zusammen mit dem argentinischen Geheimdienst dem bolivianischen General Luis García Meza bei dessen Staatsstreich und diente dessen berüchtigter Diktatur in Bolivien. Erst als unter Präsident Hernán Siles Zuazo wieder eine parlamentarische Regierung herrschte, nahm die bolivianische Polizei Barbie am 19. Januar 1983 fest. Im selben Jahr wurde er nach Frankreich ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt.

Bereits 1940 wurde der SS-Mann Klaus Barbie bei der Besetzung der Niederlande als Mitglied einer Einsatzgruppe gegen "reichsfeindliche Personen und Organisationen" in Amsterdam und anderen holländischen Städten eingesetzt. Für das deutsche Reichssicherheitshauptamt war er 1941/42 als "Judenreferent" in Den Haag. Der österreichische Schriftsteller Jean Améry berichtet, daß er von Barbie in Belgien gefoltert wurde.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen im November 1942 in das bis dahin unbesetzte und vom kollaborierenden Vichy-Regime verwaltete Südfrankreich übernahm Barbie als Chef der GeStaPo in Lyon die Leitung der IV. Sektion der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes. Barbie war für seine extreme Grausamkeit bekannt. Katholische Priester folterte er mit Elektroschocks und hängte sie an den Füßen auf. Jean Moulin von der Résistance, einem Vertrauten des späteren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, ließ Barbie beide Arme, beide Beine und mehrere Rippen brechen. Moulin starb kurz darauf. Auch gegen Frauen und Kinder ging er mit äußerster Brutalität vor. Zahlreiche Verbrechen wurden ihm zur Last gelegt, unter anderem das Massaker in St. Genis-Laval, zahlreiche Erschießungen im Gefängnis Fort Montluc sowie die Verantwortung für die Deportation der jüdischen Kinder von Izieu, die in Auschwitz ermordet wurden.

Am 11. Mai 1987 begann der Barbie-Prozeß und erregte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Barbie wurde schuldig gesprochen und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Er starb 1991 im Alter von 77 Jahren in französischer Haft in Lyon.

Es wäre naiv anzunehmen, daß sich in den vergangenen Jahrzehnten etwas an der Skrupellosigkeit der Geheimdienste geändert hätte. Weder politische noch ökonomische Ursachen sind erkennbar, die zu einer Veränderung hätten führen können.

 

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