Kairo (LiZ). Am gestrigen Freitag haben erneut Hunderttausende in Kairo für Freiheit und Demokratie demonstriert. Das Mißtrauen wächst, daß mit dem Militär- Putsch General Tantawis nur ein neuer Diktator den alten abgelöst hat. Trotz bislang nicht ein- gelöster Versprechen des Militärs feierten die DemontrantInnen den Sturz des 29 Jahre lang in Ägypten herrschenden Hosni Mubarak. Zugleich gedachten sie der 365 Menschen, die bei den Protesten in den vergangenen Wochen getötet wurden.
Neben der Hauptforderung nach einer neuen demokratischen Verfassung verlangt die ägyptische Opposition nach wie vor die Freilassung aller inhaftierten DemonstrantInnen. Das Militär kontrolliert weiterhin die Zugänge zum zentralen Tahrir-Platz in Kairo, der nach dreiwöchiger Besetzung am vergangenen Freitag nur widerwillig und nach massivem Druck des Militärs geräumt worden war. Soldaten überprüften die zum Platz kommenden Menschen an mehreren Zugangsschleusen. Das Militär versucht den Eindruck zu erwecken, es stehe auf der Seite der Opposition und stellte ein Armeeorchester zu Beschallung der Demo auf den Tahrir-Platz ab.
Die Militär-Junta unter General Mohammed Hussein Tantawi versprach, innerhalb von sechs Monaten freie Wahlen durchzuführen. Zugleich aber beließ sie die noch von Mubarak im Januar ernannte zivile Regierung im Amt, deren Mitglieder wegen Korruptionsvorwürfen und Zugehörigkeit zum Machtapparat, der die Diktatur Mubaraks stützte, diskreditiert sind. Die Demokratiebewegung verlangt eine vom alten Regime unabhängige Übergangsregierung, die Aufhebung des permanenten "Ausnahmezustands", der während der gesamten 29-jährigen Herrschaftszeit Mubaraks in Kraft war, sowie die Freilassung der politischen Gefangenen. Ansonsten sei dies ein Zeichen dafür, daß die Versprechen der Armee "nicht ehrlich" seien, sagte Mohamed Waked, einer der Organisatoren der Kundgebung am Freitag. Die genaue Zahl der festgehaltenen DemonstrantInnen ist nicht bekannt, MenschenrechtlerInnen sprechen von "hunderten" Häftlingen. Neben der Groß-Demonstration auf dem Kairoer Tahrir-Platz hält die Demokratie-Bewegung den Druck durch Streiks aufrecht. Nach wie vor sind viele Banken und Schulen geschlossen.
Aufgerufen zur Freitags-Demonstration hatte die "Jugend der Revolution" (The Revolution's Youth), eine am 9. Februar gegründete Koalition aus Gruppen der Freiheits- und Demokratiebewegung. Der Koalition gehören die 'Jugendbewegung des 6. April', die Demokratische Volksbewegung für den Wandel (Popular Democratic Movement for Change, HASHD), die Gruppe 'Gerechtigkeit und Freiheit' (Justice and Freedom), Muslimbruderschaft, junge UnterstützerInnen einer Kampagne für Mohammed el-Baradei, die Demokratische Front (Democratic Front ), sowie die Organisatoren der Kampagne auf der Internet-Gedenkseite für Khaled Said an. Hinzu kommen nicht-organisierte AktivistInnen wie Naser Abdel Hamid, Abdel Rahman Faris, die politisch links stehende irisch-ägyptische Psychologin und Feministin Sally Moore, sowie der vom Regime wochenlang verschleppte Internet-Experte Wael Ghonim.
Am Mittag wurde auf dem Tahrir-Platz das Freitagsgebet öffentlich abgehalten, das es von dem in Katar lebenden, ägyptischen TV-Prediger Yussif al-Qaradawi geleitet wurde. Dem islamischen Geistlichen, der bemerkenswerter Weise auch die anwesenden ChristInnen begrüßte, war es bisher verboten, in seiner Heimat öffentlich aufzutreten. "Die Revolution ist noch nicht vorüber," erklärte Al-Qaradawi im politischen Teil seiner Predigt. "Ägypten muß erst aufgebaut werden. Setzt die Revolution fort, bleibt einig und laßt euch nicht spalten!", rief er der Menge zu. Das Verhalten der Muslimbruderschaft, einer der größten und im Gegensatz zu anderen gut organisierten Oppositionsgruppe, deutet darauf hin, daß sie keine Machtübernahme nach dem Vorbild des Iran anstreben, sondern gewillt sind, sich am Aufbau einer bürgerlichen repräsentativen Demokratie zu beteiligen.
Auch mehrere tausend AnhängerInnen des abgesetzten Diktators Mubarak traten am Freitag in die Öffentlichkeit. Im Kairoer Mittelklasseviertel Mohandessin zeigten sie auf einer eigenen Demonstration ihr Bedauern über den "Rücktritt" Mubaraks. Die zumeist männlichen Kundgebungsteilnehmer erklärten, sie wollten Mubarak "ehren und würdigen". Der von ihnen immer noch als "Präsident" titulierte Mubarak hält sich derzeit in seinem Feriendomizil im Sinai-Badeort Sharm el-Sheikh auf.
Die Militär-Junta startete inzwischen seine eigene Seite im Internet. Die Armee wolle damit "die Jugend erreichen", hieß es in einer Stellungnahme vom Freitag. Die Demokratiebewegung hatte sich zu ihrer Organisation und Vernetzung stark aufs Internet gestützt. Ihre Kraft schreiben ExpertInnen teils mit unverkennbarem Optimismus auch der auf dem Internet basierenden hierarchiefreien und spontanen Kommunikationsweise zu. Viele ÄgypterInnen sind daher gut informiert und haben genau verfolgt, wie sich die US-amerikanische Regierung unter Barack Obama in den vergangenen Monaten verhalten hat. Sie hoffen darauf, daß sie nicht um "ihre Revolution" betrogen werden und daß die US-Regierung nun tatsächlich die Demokratiebewegung in Ägypten unterstützt. Zugleich aber ist die ägyptische Demokratiebewegung - anders etwa als die "grüne Opposition im Iran" - sehr selbstbewußt und fordert, daß das Land nie mehr die mehr die Rolle eines "Auftragnehmers der USA" spielen dürfe.
Erstmals seit dem Sturz Mubaraks sind in Ägypten mehrere ehemalige Minister festgenommen worden. Örtliche Medien meldeten am Donnerstagabend, der ehemalige Innenminister Habib al-Adli, Ex-Wohnbauminister Ahmed al-Maghrabi sowie Ex-Tourismusminister Suhair Garana befänden sich in Untersuchungshaft. Ihnen sowie dem ebenfalls festgenommenen Politiker und Stahlmagnaten Ahmed Ess werde die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Die Militär-Junta bestätigte allerdings zugleich die Anhebung der Gehälter von Staatsbediensteten und Renten um 15 Prozent. Dies deutet darauf hin, daß sie sich auf den Machtapparat Mubaraks zu stützen gedenkt. Es wird auch erwartet, daß die "Übergangsregierung" des von Mubarak ernannten "Ministerpräsidenten" Ahmad Schafik am Sonntag oder Montag ein neues Kabinett präsentiert. Damit sollen die ÄgypterInnen beruhigt und zugleich die Teilnahme an Demonstrationen und Streiks gebremst werden.
Anmerkungen
Siehe auch:
Ägypten: Plan B tritt in Kraft
Mubarak durch General Tantawi ersetzt (11.02.11)
Millionen gegen Mubarak auf den Straßen
Folgt das Militär einer "Strategie der Gummizelle"?
(1.02.11)
US-Regierung stützt Mubarak
Militärdiktatur ist Plan B (30.01.11)
Chancen für Demokratie
in Tunesien? (15.01.11)
Schein-Wahl in Ägypten
Offenbarungseid für Barack Obama (2.12.10)
Obama stärkt Diktatur
Waffen-Deal für 60 Milliarden US-Dollar eingefädelt
(14.09.10)
Manipulation bei der Präsidentschaftswahl im Iran?
(20.06.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)
Verfassungs-Referendum in Ägypten:
Mehrheit für Demokratie
Mubarak zu 82 Prozent für Mubarak (29.05.05)