Versetzungspraxis auch in Ratzingers Bischofszeit
München (LiZ). Der Mißbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche erreicht den Vatikan. Als der heutige Papst Benedikt XVI. noch Erzbischof von München und Freising war, spielte er im Falle eines wegen sexuellen Kindesmißbrauchs belasteten Priesters eine unrühmliche Rolle. Der verbrecherische Priester wurde im Januar 1980 von Essen nach München versetzt und sollte dort angeblich eine Therapie machen, wurde jedoch "uneingeschränkt" in der Gemeindearbeit in Oberbayern eingesetzt und verging sich erneut an Jugendlichen. Er wurde nach seiner abermaligen Tat gerichtlich belangt und verurteilt.
Das Erzbischöfliche Ordinariat in München mußte nun einen entsprechenden Bericht der 'Süddeutschen Zeitung' vom vergangenen Samstag weitgehend bestätigten. Zugleich räumte die Kirche schwere Fehler im Umgang mit dieser Personalie in den 1980er Jahren ein. Der heute 81-jährige frühere Generalvikar Gerhard Gruber übernehme die "volle Verantwortung" dafür, daß der verbrecherische Priester "trotz Vorwürfen des sexuellen Mißbrauchs und trotz einer Verurteilung" wiederholt in der Pfarrseelsorge eingesetzt wurde.
Der bereits für Mißbrauch an Jugendlichen bekannte Priester war auf Bitten des Bistums Essen im Januar 1980 als Kaplan in der Erzdiözese aufgenommen worden. Er sollte angeblich in München eine Therapie machen. 1980 wurde ihm Unterkunft in einem Pfarrhaus gewährt. "Diesen Beschluß hat der damalige Erzbischof mit gefaßt," heißt es beschönigend in der Stellungnahme des Erzbischöfliche Ordinariat zur Verantwortung des heutigen Papstes. In diesem Beschluß sei jedoch nicht die Rede von einer weiteren Tätigkeit des Betroffenen als Priester die Rede gewesen. Der damals zuständige Generalvikar habe den Mann "uneingeschränkt zur Seelsorge-Mithilfe in einer Münchner Pfarrei angewiesen." Davon habe Joseph Ratzinger keine Kenntnis gehabt. Zu den innerkirchlichen Geheimschreiben, in denen Regelungen über die Versetzungspraxis und die damit verbundene Vertuschung bei Mißbrauchsfällen festgelegt sind, nahm die katholische Kirche bislang keine Stellung.
Ratzinger saß im Januar 1980 als Erzbischof von München und Freising im Ordinariatsrat des Bistums. Dieser Rat stimmt dem Plan zu, dem verbrecherischen Priester in Bayern Unterschlupf zu gewähren. Der Priester wurde danach rückfällig und schließlich wegen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger zu einer Bewährungs- und einer Geldstrafe verurteilt.
1982 wechselte Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation (Nachfolgeamt der Inquisition) nach Rom. Im April 2005 wurde er zum Papst gewählt und gab sich den Namen Benedikt XVI.
Auch der Bruder Joseph Ratzingers, Georg Ratzinger, der von 1964 bis 1994 Leiter der 'Regenburger Domspatzen' war, ist mittlerweile in den Mißbrauchs-Skandal verwickelt. Entgegen seiner Aussage bei einem Interview mit dem 'Bayerischen Rundfunk' Anfang des Monats mußte er nun zugeben, daß er doch Kenntnis von einem Mißbrauchs-Fall bei den 'Regenburger Domspatzen hatte. Seit Ende Januar sind mittlerweile weit mehr als hundert Fälle in den meisten der 27 deutschen Bistümer ans Licht gekommen. Den Anfang nahm der Skandal am Canisius-Kolleg, einem Berliner Jesuitengymnasium.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Katholische Kirche und Glaubwürdigkeit:
Systematischer Mißbrauch in Klosterinternat Ettal
Sex-Skandal im Vatikan (5.03.10)
Bischof für schnellen Atomausstieg
"Nie vollständig im Griff" (3.03.10)
Pädophilie-Affaire der katholischen Kirche
Geheimschreiben aus dem Jahr 2001
belastet Papst Benedikt XVI. (22.02.10)