19.06.2010

Absahnen in der Bundesanstalt
für Arbeitslosigkeit

Spätrömische Dekadenz ganz real

Spätrömische Dekadenz bei Frank-Jürgen Weise Nürnberg (LiZ).
Schwere Vorwürfe des Bundes- rechnungshofes gegen die Bun- desagentur für Arbeitslosigkeit (BA) machen deren Chef Frank-Jürgen Weise zu schaffen. Auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg ist aufgerufen, zu ermitteln. Laut Prüfbericht wurden für einen kleinen Kreis von rund 240 BA-Mitarbeitern Gehälter in Höhe von rund 200.000 Euro ausgeschüttet. Damit erhielten diese deutlich mehr als Minister, Staatssekretäre und selbst die Kanzlerin.

Die extravaganten Gehälter sind jedoch aus der Sicht des Bundesrechnungshofes nicht das eigentliche Problem. Er kritisiert vor allem die "Mauschelei bei den Vergütungen". Weder habe die BA das zuständige "Arbeits"-Ministerium über die Gehälter informiert noch die Stellen ausgeschrieben. Die Auswahl der BewerberInnen sei nicht "transparent" gelaufen, sondern habe sich nach den "Einzelfallentscheidungen des Vorstands" gerichtet. Bei den kritisierten Einstellungen waren für den Bundesrechnungshof "keine durchgängigen, an Eignung, Befähigung und Leistung orientierten Auswahlkriterien erkennbar." Und daher steht BA-Chef Frank-Jürgen Weise nun selbst in der Schußlinie. In dem Bericht des Bundesrechnungshofes ist von "Rechtsverstößen" bei der Stellenvergabe für "Führungskräfte" die Rede.

Auch vor skurrilen Konstruktionen schreckte die Führungs-Etage von Deutschlands Arbeitslosigkeits-Verwaltung offenbar nicht zurück. So versetzte sie laut einem Bericht der Bundesregierung einen außertariflich Beschäftigten für eine "logische Sekunde" in ein Beamtenverhältnis, um ihm Pensionsansprüche zu sichern. Anschließend wurde er beurlaubt und mit einem übertariflichen Privatgehalt ausgestattet. Der Wildwuchs zeigt sich auch in einer bunten Mischung aus monatlichen Fixgehältern von 5300 bis 7200 Euro, persönlichen Zulagen und vermeintlichen Leistungsprämien, die stets und unabhängig von einem etwa nachweisbaren Erfolg flossen. Auch wurden eigene Beamte rückwirkend beurlaubt, um sie dann außertariflich - und damit höher - bezahlen zu können. Bei dieser Konstruktion der "In-sich Beurlaubung" ruht das Beamtenverhältnis und die betreffende Person arbeitet im Angestelltenverhältnis. Sie behält dabei allerdings die Pensionsansprüche und bezieht später zudem die Angestelltenrente. Bewerber, die von außen kamen, seien wiederum trotz üppiger Vergütung zusätzlich verbeamtet worden.

Das System enthält den Angaben zufolge auch weitere Vergünstigungen etwa durch gestaffelte Bonuszahlungen, Geschäfts-Limousinen, Mobiltelefon-Veträge und zusätzlichen Urlaub. Von dem System profitierten offenbar rund 240 von insgesamt knapp 110.000 BA-MitarbeiterInnen. Mit einem Schreiben an BA-Chef Weise bestätigt Bundes-"Arbeits"-Ministerin Ursula von der Leyen die Vorwürfe des Rechnungshofs in zentralen Punkten. In eigenen, stichprobenartigen Untersuchungen stellte das Bundes-"Arbeits"-Ministerium ebenfalls erhebliche Mißstände und Rechtsverstöße fest. So heißt es etwa in einem Schreiben des Staatsekretärs Gerd Hoofe, daß von 60 geprüften Fällen 33 als "rechtlich problematisch eingestuft werden" müßten

Die Bundesagentur ließ heute verlauten, sie könne die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Sie benötige für ihren "Modernisierungsprozeß" die außertarifliche Bezahlung, um Fach- und Führungskräfte für sich zu gewinnen. Einzelne Mißstände habe sie bereits eingeräumt und abgestellt. Generell aber vertrete sie "eine andere Rechtsauffassung" als der Bundesrechnungshof. Sie sei der Auffassung, daß es in "für die Gewinnung von speziellen Experten in diesen Ausnahmefällen wichtig war, höhere Gehälter als üblich zu zahlen". Dabei handele es sich aber keineswegs um "Luxusgehälter". Gemessen an vergleichbaren Posten in der freien Wirtschaft seien die Dotierungen "moderat".

Bundes-"Arbeits"-Ministerin von der Leyen weicht derzeit Fragen nach den Zuständen in der BA aus und verließ eine Bundestagsausschuß-Sitzung fluchtartig. Aus ihrem Ministerium verlautete derweil, die Vorwürfe würden untersucht und Ergebnisse "nach der Sommerpause" vorgelegt.

Kürzlich erst hatte "Schwarz-Gelb" das Salär von Bundeskanzlerin Merkel um 334 Euro auf monatlich 16.167 Euro gesteigert. Die Ministergehälter wurden von 12.860 auf 13.131 Euro angehoben, Aufwandsentschädigung und Diäten für ein möglicherweise "zeitgleich" ausgeübtes Bundestagsmandat kommen noch hinzu. (Siehe auch unseren Artikel vom 7. Juni 2010) Vor dem Hintergrund dieser Informationen aus Berlin und Nürnberg bekommt die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, "Wir leben über unsere Verhältnisse", eine ganz neue Bedeutung.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Ausgepreßt
      Sozialabbau schwarz-gelb (7.06.10)

      Nachwuchs ohne Zukunfts-Chance
      Immer mehr Kinder kommen unter die Räder (1.06.10)

      DGB-Chef Sommer: Nicht Jahr eins,
      sondern Jahr drei der Krise
      Generalstreik bleibt Tabu (1.05.10)

      Kosten des Gesundheitssystems wachsen
      Nur Pharma-Konzerne profitieren (7.04.10)

      Kein Aprilscherz:
      BRD-Verschuldung bei 1690 Milliarden Euro (1.04.10)

      Hessen: Steuerhinterziehung in Millionenhöhe
      Michael Wolski verurteilt
      Hessische Staatsrichterin tritt zurück (26.03.10)

      BA-Chef Alt plant weiteren Sozialabbau:
      Erhöhter Druck durch Wohnkostenpauschale (25.03.10)

      Rente wird gekürzt
      "Nullrunde" heißt Minus (16.03.10)

      Dienstwagen-Studie der DUH:
      Die Klima-Heuchler von Koch bis Platzeck (25.02.10)

      Offizielle Parteispenden über 20 Millionen Euro
      Rund 14 Millionen Euro für "C"-Parteien (16.02.10)

      Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig
      Herbe Niederlage für "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" (9.02.10)

      Steuerfahnder-Affaire Hessen
      Für Roland Koch kommen Erinnerungen
      an Spendenskandale ungelegen (28.01.10)

      DIW-Studie zum Vermögen in Deutschland
      Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
      (19.01.10)

      Hartz-IV-Bescheide
      36 Prozent aller Widersprüche erfolgreich (12.01.10)

      Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
      Repression als "Arbeitsmarkt-Reform" (19.12.09)

      'stern'-Umfrage:
      Deutsche halten Hartz IV für zu niedrig (28.10.09)

      Bei Obdachlosen wird gekürzt
      Caritas schlägt Alarm (16.10.09)

      Aufschwung? Abschwung? Schwund
      bei den Reallöhne seit vielen Jahren (14.08.09)

      Nur in der Telefon-Zelle kommt das Zahlen
      vor dem Wählen
      Was nach der Bundestagswahl
      an weiterem Sozialabbau droht (23.07.09)

      BRD ruiniert
      86 Milliarden Euro Neu-Schulden nicht rückzahlbar
      (19.06.09)