Paris (LiZ). Streiks und Demons- trationen legten das öffentliche Leben in ganz Frankreich lahm. Nach Angaben der französischer Tageszeitung 'Liberation' nahmen 1,92 Millionen Menschen an den Demonstrationen in Paris, Marseille und Lille gegen den von Präsident Nicolas Sarkozy geplanten Sozialabbau teil. Bei den Protesten, die sich insbesondere gegen die Heraufsetzung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre richten, gingen knapp doppelt so viele Menschen auf die Straßen wie beim vorherigen Protesttag am 27. Mai.
Nach Angaben der Bahngewerkschaft streikte rund 40 Prozent des Personals. Der Bahn- und Flugverkehr wurde im gesamten Land stark beeinträchtigt: Etwa jeder zweite Hochgeschwindigkeitszug TGV und jeder vierte Regionalzug fielen aus. Anders als zuvor war auch der Bahnverkehr nach Deutschland betroffen. In Paris und 65 anderen Städten kam zudem der Nahverkehr nahezu völlig zum Erliegen. Auch Schulen, Kindergärten und Behörden, Radio- und TV-Sender wurden bestreikt. LehrerInnen und BeamtInnen beteiligten sich in großer Zahl. In vielen Großbetrieben ruhte die Arbeit.
In Frankreich wird darüber diskutiert, welche Ursache das Defizit in der Rentenkasse hat. Der Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise kann nicht länger totgeschwiegen werden. Die große Resonanz auf die Protestaufrufe ist darauf zurückzuführen, daß immer mehr Menschen nicht bereit sind, es hinzunehmen, daß die unteren Schichten die Folgen der Krise tragen sollen. Es hatten sich sechs der acht großen französischen Gewerkschaften am Aufruf beteiligt. Nach einer Umfrage für die regierungsnahen Pariser Zeitung 'Le Figaro' akzeptieren allerdings immer noch 58 Prozent der französischen Bevölkerung die Erhöhung des Rentenalters. Die Regierung hat mehrfach betont, daß sie den Konflikt durchstehen wolle, weil die Sozialkassen anders nicht zu sanieren seien. Die gleichzeitige Ankündigung Sarkozys, den Sozialabbau mit einer Reichensteuer zu garnieren, scheint aber immer mehr Menschen geradezu auf die soziale Schieflage aufmerksam zu machen.
Bei vergleichbaren Protesten in Deutschland nahmen am 12. Juni insgesamt nur rund 42.000 Menschen teil. Im März des Vorjahres hatten in Frankfurt und Berlin noch rund 50.000 Menschen demonstriert. Die Kritik von linker Seite sieht die Ursache hierfür in dem verhaltenen Agieren der deutschen Gewerkschaften, die im Gegensatz zu den französischen nicht einmal wagen, mit dem Generalstreik zu drohen.
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Anmerkungen
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