29.07.2011

Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
Sarkozy:
"Industrielle Landwirtschaft unschuldig"

Algenpest Rennes (LiZ). An der bretonischen Küste wurden in den vergangenen Tagen rund vierzig tote Wildschweine gefunden. Die Ursache sind offensichtlich tonnenweise angeschwemmte Grünalgen, die giftige Gase entwickeln. Möglicherweise fiel auch schon ein Mensch den Gasen zum Opfer.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy versuchte bei einem Ortstermin, einen Zusammenhang zu leugnen: "Es ist absurd, die Schuld den Landwirten in die Schuhe zu schieben und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Sie zu verurteilen macht keinen Sinn, denn sie sind ja die ersten Opfer, wenn Umweltregeln nicht respektiert werden." Zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs kann Nicolas Sarkozy es sich kaum leisten, den konventionell arbeitenden Teil der LandwirtInnen gegen sich aufzubringen. Und während die Biolandwirtschaft in Frankreich kaum eine Lobby besitzt, üben Agro-Industrie und Chemie-Konzerne mächtigen Druck aus.

Für UmweltschützerInnen liegt es hingegen auf der Hand, wer die Algenplage verursacht. Die Bretagne produziert mehr als die Hälfte aller in Frankreich gezüchteten Schweine. Wenn deren Gülle auf den Feldern verteilt wird, gelangen Nitrate in Grundwasser, Bäche, Flüsse und dann ins Meer. Mit dieser Kraftnahrung explodiert das Wachstum der Algen geradezu. Die Grünalge ist an sich nicht giftig. Wird sie aber in großen Mengen an die bretonische Küste angeschwemmt und vermodert dort, entwickelt sich das giftige Gas Schwefelwasserstoff.

Die renommierte französische Tageszeitung 'Le Monde' bezeichnete es als "unverständlich", daß allen wissenschaftlichen Fakten zum Trotz ein Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Wildschweinsterben, den Grünalgen und der industriellen Landwirtschaft weiter geleugnet oder verharmlost werde. Nach Informationen des Enthüllungsblatts 'Le Canard Enchaîné' versucht das Landwirtschaftsministerium hingegen, die Verwendung von Schweinegülle schönzurechnen. Hinzu kommt eine diskreten Änderung der Berechnungsgrundlage: So kann die industrielle Landwirtschaft künftig 212 Kilo statt 170 Kilo Stickstoff pro Hektar auf ihren Feldern verteilen, schrieb das Blatt am Mittwoch.

Eine Katastrophe ist der stinkende grüne Teppich auch für den Tourismus. Die Behörden sind bemüht, die angeschwemmten Algen ständig wegzuräumen. Das Personal ist mit Atemschutzmasken und Meßgeräten ausgerüstet. Rund 32.000 Kubikmeter wurden allein in diesem Jahr seit Saisonbeginn beseitigt, deutlich mehr als im Vorjahr. Nach einem Bericht des Wirtschafts- und Sozialrats der Bretagne sind dort 110 Orte betroffen. Die Algenpest breitet sich aber inzwischen auch auf Regionen in der Normandie und an der Atlantikküste aus.

Im Juli wurden allein am Strand Saint-Maurice bei Saint-Brieuc im bretonischen Département Côtes-d'Armor 38 verendete Wildschweine gefunden. UmweltschützerInnen haben an den Stellen, wo tote Wildschweine lagen, stark erhöhte Werte von Schwefelwasserstoff gemessen. An bretonischen Stränden sind bereits mehrere Hunde Vergiftungen mit Schwefelwasserstoff zum Opfer gefallen. Im Sommer 2009 fiel an einem Strand mit faulenden Grünalgen ein Reiter in Ohnmacht, sein Pferd verendete. Wenig später starb ein Arbeiter, der in Launay-Lantic mit der Beseitigung von Grünalgen beschäftigt war - laut offizieller Todesursache an Herzinfarkt. Es wird aber vermutet, daß auch sein Tod auf die Gase zurückzuführen ist.

Offiziell gibt es keine Erklärung zur Ursache für die auffällige Häufung toter Wildschweine. Die Behörden wollen die detaillierten Ergebnisse der veterinärmedizinischen Obduktion und Analysen abwarten. Auch Bodenproben sollen untersucht werden. Von den Umweltschutz-Organisationen wird dies als reines Verzögerungs- und Ablenkungsmanöver gewertet. "Kurioser Weise hat die Präfektur keine toxikologischen Untersuchungen für Schwefelwasserstoff in den Atemwegen der toten Tiere vornehen lassen," merkt Gilles Huet von 'Eau et Rivières de Bretagne' kritisch an. Wie so häufig in der Chemie wird am Ende nur das gefunden, wonach auch gesucht wurde.

Auch in Deutschland wird nur gelegentlich gelegentlich über die Todeszonen in der Ostsee berichtet. Und in den Mainstream-Medien ist höchst selten etwas über den Zusammenhang mit dem Eintrag von Nitraten und Phosphaten aus der industriellen Landwirtschaft der Anrainerstaaten zu erfahren. Chemie-Konzerne sind zahlungskräftige Anzeigenkunden. In den vergangenen Jahren wurden von Ostsee-Anrainerstaaten zwar "ambitionierte" Ziele für eine Reduzierung der Düngemittel-Einträge in die Ostsee formuliert - doch de facto heizten dieselben Staaten die Überdüngung weiter an. In Mecklenburg-Vorpommern etwa wurde das Landeswassergesetz so geändert, daß statt wie bisher bis auf sieben Meter jetzt bis auf einen Meter an Gräben und Bäche heran gedüngt und gespritzt werden darf. Zudem werden immer größere Schweinemastbetriebe genehmigt.

 

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Anmerkungen

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