Oxford (LiZ). Eine Studie von 27 WissenschaftlerInnen aus sechs Ländern bestätigt pessimistische Prognosen der vergangenen acht Jahre, wonach die Überfischung der Weltmeere unweigerlich zum Arten-Kollaps führt. Klima und Verschmutzung haben den negativen Trend weiter beschleunigt, so daß das größte Artensterben seit 55 Millionen Jahren immer näher rückt.
Die WissenschaftlerInnen haben untersucht, welche menschengemachten Einflüsse das Leben in den Ozeanen bedroht. In ihrer Studie prognostizieren sie die Folgen des Zusammenwirkens der zu beobachtenden negativen Entwicklungen bis zum Jahr 2050. Die Fakten hierfür wurden in den vergangenen Monaten an der Universitäty of Oxford in Großbritannien unter der Leitung des Internationalen Ozean-Programms (IPSO) und der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) gesammelt und ausgewertet.
Offenbar wurde selbst in den pessimistischsten Studien der vergangen Jahre das tatsächliche Risiko eines Arten-Kollaps sogar noch unterschätzt. "Die Ergebnisse sind schockierend," erklärt Alex Rogers, wissenschaftlicher Leiter des IPSO. "Es ist eine sehr ernste Situation, die klare Maßnahmen auf jeder Ebene erfordert. Wir stehen vor Konsequenzen für die Menschheit, die noch zu unseren Lebzeiten spürbar werden; noch viel schlimmer wird es für unsere Kinder und die Generationen danach.“ Dies sei insbesondere deshalb zu erwarten, weil die Ernährung der Menschen in vielen Regionen von Fisch und anderen Meerestieren abhängt. "Ich glaube, daß die Menschen viele Ökosysteme im Meer bereits an ihre Grenze gebracht haben," sagt Jelle Bijma vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, der an einer Tagung im April teilgenommen hat, als die Studie in Angriff genommen wurde.
Plankton produziert einen wichtigen Anteil des Sauerstoffs. Bislang puffert das Meer, weil es Kohlendioxid aufnimmt, den Klimawandel ab. Doch die Probleme nehmen zu. Durch den menschengemachten Klimawandel und den zunehmenden Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre erwärmen sich die Weltmeere und versauern zugleich. Als Folge schwindet jetzt der Sauerstoffgehalt in manchen Meeresregionen. In der Ostsee haben sich bereits großflächige Todeszonen ausgebreitet.
Bijma erklärt: "Die Pufferkapazität des Meeres sinkt. Das führt dazu, daß die Ozeane noch schneller versauern und daß sie weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen können, was wiederum den Klimawandel beschleunigt." Erwärmung, Versauerung und fehlender Sauerstoff sind als Symptome auch des letzten Massensterbens vor 55 Millionen Jahren in den Ozeanen nachgewiesen worden. "Die Aufnahmerate von Kohlenstoff ist bereits heute deutlich höher als zu Zeiten des letzten großen Artensterbens in den Meeren vor 55 Millionen Jahren," heißt es in der Studie. Die Lage verschlechtere sich extrem schnell, zum Teil schneller als bislang in Worst-Case-Szenarien prognostiziert wurde. Der Klimawandel sei unterschätzt worden. Dies zeige die deutlich beschleunigte Eisschmelze etwa in der Arktis, auf Grönland und in der Antarktis, der Anstieg des Meeresspiegels sowie die Freisetzung von Methan am Meeresgrund.
Andere Veränderungen vollziehen sich dem Bericht zufolge schleichend. Hierzu werden das Verschwinden von Fischarten und das Auftreten gefährlicher Algenblüten gerechnet. Dabei ist nicht nur das Überleben einzelner Arten bedroht, sondern die Zukunft von Ökosystemen und Nahrungsnetzen, die zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten. Schon jetzt seien die Bestände einiger kommerziell wichtiger Fischarten um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Neue Erkenntnis gewann die Studie bei der Betrachtung der kumulativen Effekte durch gegenseitige Verstärkung der Schadensursachen: "Als wir die kumulativen Effekte der negativen menschlichen Einflüsse untersuchten, stellten wir fest, dass die Auswirkungen weit größer sind als die Summe jeder einzelnen Schädigung," erklärt Alex Rogers. So würden etwa gleichzeitige Überfischung, Überdüngung, klimatische Veränderung und das Einführen nicht-heimischer Arten dazu führen, daß sich diese fremden Arten ausbreiten, was sich etwa durch Algenblüten bemerkbar mache.
Steigende Temperaturen und Versauerung zerstören zudem tropische Korallenriffe. Allein im Jahr 1998 wurden 16 Prozent aller tropischen Korallenriffe zerstört. Selbst einem Weltnaturerbe wie dem Great Barrier Reef vor Australien wird ein Schutz verwehrt. "Die tropischen Korallenriffe sind in 30 Jahren wahrscheinlich verschwunden, wenn weiter so viel Kohlendioxid ausgestoßen wird," so Bijma. Schadstoffe heften sich an kleinste Plastikteilchen, so daß sie sich noch besser verbreiten oder von Lebewesen aufgenommen werden. Überfischung und Umweltverschmutzung schädigen die Weltmeere. Immer unwahrscheinlicher wird, daß sich bereits angeschlagene Arten dem veränderten Klima anpassen können. Überfischung sowie der Verlust des Lebensraums sind für den größten Teil des Artensterbens im Meer verantwortlich. Der Klimawandel wird diese negative Tendenz verstärken.
Die WissenschaftlerInnen fordern massive Einschränkungen des Fischfangs und die Einführung nachhaltiger Fangmethoden, ein Verbot der Einleitung von Schadstoffen ins Wasser und den Verzicht auf Rohstoff-Gewinnung im Meer. Letzteres bedeutet, daß mehr nötig wäre als etwa die Einschränkung, die nicht einmal nach der Öl-Katastrophe der Ölplattform 'Deep Horizon' im vergangenen Jahr hatte durchgesetzt werden können.
Auch die Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen und die anderer klimaschädlicher Gase ist nach dem Scheitern des Kyoto-Protokolls in weite Ferne gerückt. "Wenn ich die Politik betrachte, halte ich es leider für unwahrscheinlich, daß etwas unternommen wird," sagt Meeresforscher Bijma. Eine letzte Hoffnung richtet sich auf die Weltwirtschaftskrise und Demokratie-Bewegungen wie derzeit in Spanien.
Anmerkungen
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