27.08.2010

Stuttgart 21
40.000 protestieren
Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert

historischer Stuttgarter Hauptbahnhof Stuttgart (LiZ). Am Freitag abend haben rund 40.000 Menschen (Polizei: 30.000) mit einem Protestmarsch durch die Innen- stadt und einer Menschenkette am nahegelegenen baden- württembergischen Landtag gegen die Abrißarbeiten am Hauptbahnhof und das umstrittene Mega-Projekt "Stuttgart 21" demonstriert. Ein erster Duchbruchversuch am Bauzaun mit dem Ziel einer Bauplatzbesetzung ist heute gescheitert. Dennoch erklärte Johannes Rockenbauch in einem Redebeitrag entschlossen: "Die Menschen haben begriffen, daß sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen müssen."

Am Mittwoch haben Bagger mit den Abrißarbeiten am Nordflügel des historischen Stuttgarter Hauptbahnhof begonnen. Das Prestige-Projekt "Stuttgart 21" gilt als das größte Bauprojekt Europas und wird nach unabhängigen Schätzungen bis zu elf Milliarden Euro verschlingen. Der Stuttgarter Kunsthistoriker Matthias Roser rief in seinem Redebeitrag die DemonstrantInnen unter einem Meer von Regenschirmen dazu auf, mit ihren Protesten nicht nachzulassen: "Unumkehrbar ist nur eins: unser Widerstand!" Bei der heutigen Auftaktkundgebung regnete es in Strömen. Aber als sich der Protestzug gegen 19:50 Uhr zum nicht weit entfernten Landtagsgebäude in Bewegung setze, rissen plötzlich die Wolken auf und über dem Hauptbahnhof leuchtete ein Regenbogen. Mit der bekannten Parole "Oben bleiben" zogen die Menschen über Lautenschlager- und Bolzstraße bis zum Kunstgebäude am Schloßplatz. Dort teilte sich der Demonstrationszug auf. Eine Hälfte stellte sich zwischen Kunstgebäude, Eckensee und Staatstheater auf, die andere schloß die Menschenkette über die Planie von der anderen Seite her.

Viele DemonstrantInnen ignorierten die "Bannmeile", aber die innerhalb dieser eingesetzten Polizeikräfte griffen nicht ein. "Wir rechnen nicht mit Problemen", erklärte Alfons Nastold, Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung bei der Stadtverwaltung. Die von den VeranstalterInnen organisierte Proteste gegen "Stuttgart 21" seien bis jetzt geordnet verlaufen. Die DemonstrantInnen forderten am Landtag in lauten Sprechchören immer wieder den Baustop für "Stuttgart 21". Der Landtag sei als Demonstrationsort gewählt worden, um zu zeigen, daß das Milliardenfiasko "Stuttgart 21" das ganzen Land in Mitleidenschaft ziehe, hieß es von den OrganisatorInnen.

Am gestrigen Donnerstag Vormittag hatte es bei Nieselregen einen Polizei-Einsatz gegen DemonstrantInnen gegeben, die am Nordflügel vor dem Bauzaun ausharrten, um den Abtransport von Bauschutt zu verhindern. Gegen 9 Uhr wurden 30 BlockiererInnen von einer Einsatzhundertschaft unter dem Protest der Menge weggetragen. Die Festgenommenen müssen mit Anzeigen und mit einer in Baden-Württemberg geltenden "Wegtragegebühr" rechnen. Ein Versuch, den Bauplatz zu besetzten, scheiterte heute. Dutzenden war es gelungen einen Bauzaun umzukippen und in den Bereich der Baustelle zu geklangen. Da jedoch nicht genügend Menschen schnell genug reagierten und die Lücke nutzen, konnte die Polizei die Menschen zurückdrängen und den Bauzaun schließen. Später hatte ein SEK-Kommando sieben BesetzerInnen vom Dach des Stuttgarter Hauptbahnhofs geholt. Die Besetzungs-Aktion, die am Mittwoch begann, war isoliert geblieben, da es nicht gelungen war, einer größeren Zahl von DemonstrantInnen Zugang zum Gelände zu verschaffen.

Immer stärker versuchen die "Grünen", Einfluß auf die Ausrichtung der Proteste zu nehmen. Nicht zufällig erklärte Stuttgarts "schwarzer" Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, die "Grünen" müßten "einer Radikalisierung der Proteste entgegenwirken." Die Aufführung eines Film über die Platzbesetzung, mit der 1975 das AKW Wyhl in Baden verhindert werden konnte, wurde in Stuttgart derweil untersagt.

Der Stuttgarter Finanzbürgermeister und "C"DU-Kreis- vorsitzende Michael Föll geriet in die Kritik, weil er einen lukrativen Beirats-Job bei der Firma Wolff & Müller angenommen hatte. Die Firma wurde mit den Abriß-Arbeiten am Hauptbahnhof betraut, obwohl Wolff & Müller im Zusammenhang mit dem Mineralbad Cannstatt die Stadt Stuttgart viel Geld gekostet hatte. Auch Föll wiederholt nach dem Vorbild seines Chefs Schuster in Interviews vehement: "Es ist eine völlige Illusion zu glauben, man könne durch den Protest Stuttgart 21 stoppen."

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Stuttgart 21 - Abriß begonnen
      Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)

      30.000 protestieren:
      "Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)

      Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
      'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)

      21.000 bei Menschenkette
      gegen Stuttgart 21 (14.08.10)

      Studie des Umweltbundesamtes
      Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)

      Immer mehr Menschen protestieren
      16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)

      Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
      Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)

      Protestival der Parkschützer
      Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)

      'stern' veröffentlicht geheime Studie
      zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen
      (8.07.10)

      Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
      In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
      (29.04.10)

      Verkehrssicherheit
      Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)

      'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
      "Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)

      Investitionen in Schienenverkehr:
      BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)

      Bahn-Privatisierung abgesetzt
      Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)

      Aus für Transrapid
      Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)

      38.000 Unterschriften
      gegen Transrapid München (21.12.07)

      Stuttgart 21
      Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren
      (14.11.07)