1.02.2011

Keine Entwarnung bei Wald-AIDS
Zustand kaum verändert

Wald Berlin (LiZ). Bundesagrar- ministerin Ilse Aigner kam heute wie ihre VorgängerInnen frohgemut der traurigen Pflicht nach, den "Waldzustandsbericht" des Jahres 2010 der Öffentlichkeit vorzustellen. Wie gewohnt versuchte sie sich im Gesundbeten des kaum verändert an einer durch den Menschen verursachten anhaltenden Immunschwäche leidenden deutschen Waldes. Und ebenso wie kaum anders zu erwarten verschwieg sie die Hauptursache dieses fortwährenden Skandals: die Massentierhaltung. Mit ihren Ammoniak-Emissionen hat sie vor etlichen Jahren die anderen Schadensquellen für Wald-AIDS wie Autoverkehr sowie Industrie und Kraftwerken überholt.

Die von den Forstämtern vorgenommene Erhebung verzeichnet eine leichte Besserung, was jedoch angesichts der bei der Buche vorgelegten Zahlen wenig glaubwürdig erscheint. Insgesamt sei der Anteil der schwer erkrankten Waldbäume von 27 Prozent im Jahr 2009 auf 23 Prozent im Jahr 2010 zurückgegangen. Der Anteil der Waldbäume, die in den mittleren Schadensklassen eingestuft wurden, stieg hingegen laut Bericht von 37 auf 39 Prozent. Insgesamt wurden im Jahr 2010 38 Prozent der Waldbäume Gesundheit attestiert - entsprechen sind 62 Prozent der deutschen Waldbäume krank.

Waldschäden von 1983 bis 2010

vergrößerte Grafik: hier

Bei den Buchen soll der Anteil der Bäume in der höchsten Schadensklasse von 40 auf 33 Prozent und der in der mittleren Schadenklasse gar von 34 auf 23 Prozent zurückgegangen sein. Dies würde bedeuten, daß von einem Jahr aufs andere plötzlich statt nur 16 Prozent (im Jahr 2009) 44 Prozent der Buchen gesund seien. Selbst wenn wir die Erfahrung der vergangenen Jahre in Rechnung stellen, daß die Statistik geschönt wird, indem kranke Bäume schnellstmöglich gefällt werden und zugleich nachgepflanzt wird, sind diese Zahlen wenig glaubhaft. Aber vielleicht wird mittlerweile in der Statistik jeder Buchen-Keimling, der gerade eben mit der Lupe erkennbar ist, mitgezählt.

Bei den Eichen spiegelt auch der "Waldschadensbericht" eine trostlose Situation. Der Anteil der Eichen in der stärksten Krankheitsklasse stieg von 48 auf 51 Prozent. Die Prozentzahl bei der mittleren Krankheitsklasse stieg von 28 auf 30 Prozent. Damit trifft Wald-AIDS den - zumindest als Wohnzimmerschrank - beliebtesten Baum der Deutschen besonders hart. Ganz extrem ist die Lage für den symbolträchtigen Baum in Bayern, Baden-Württemberg und Berlin. (Wir berichteten am 27.11.2010) Über die vorgeschädigten Eichen machen sich - in der Ökologie als Gesundheitspolizei vorgesehen - mittlerweile massenhaft Insekten-Raupen her. Dies wird im "Waldschadensbericht" fälschlich als "Ursache" der Erkrankung bezeichnet. Hinzu kommt mittlerweile der Eichenmehltau, ein Pilz, der ebenfalls nur für geschwächte Bäume eine Gefahr darstellt. Die Zahlen bei Fichte und Kiefer blieben in der Statistik nahezu unverändert.

Entgegen der Frohbotschaft Aigners beurteilen die Umweltverbände die Lage des deutschen Waldes weiterhin als "kritisch". So konstatiert etwa der NABU: "Die Hauptschuld trägt die industrielle Landwirtschaft." Die Stickstoffeinträge gelangten aus dem Gülleaufkommen der Massentierhaltung über die Luft in den Wald und wirkten dort wie eine Überdosis an Nährstoffen. "Dem Wald wird praktisch eine falsche Ernährung verpaßt. Während Stamm und Krone an Masse zulegen, stagniert das Wachstum der Wurzel, der Boden versauert, wichtige Nährstoffe im Boden gehen verloren", erklärt NABU-Waldexperte Johannes Enssle. Die Probleme seien zwar bekannt, die Politik scheine sich dafür jedoch nicht zu interessieren, kritisierte der NABU. Statt endlich die Ursachen zu bekämpfen, werde weiter an den Symptomen herumgedoktert. So werde etwa tonnenweise Kalk in den Wald gekippt, um die Versauerung der Waldböden auszugleichen, anstatt direkt dagegen vorzugehen. "Wenn die Bundesregierung im Internationalen Jahr der Wälder den Waldschutz ernst nimmt, muß sie sich entschiedener gegen den weiteren Ausbau von Tierfabriken und die flächendeckende Überdüngung unserer Landschaft einsetzen," sagte heute NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Interessant dürfte es übrigens zu beobachten sein, welche Teile der NABU-Stellungnahme in den Mainstream-Medien nicht zitiert werden.

Doch trotz aller Skandale wird die industrielle Landwirtschaft weiterhin unbeirrt subventioniert. Dank einer verfehlten Landwirtschafts-Politik sank allein die Zahl der deutschen milcherzeugenden Höfe in den vergangenen 16 Jahren von 186.000 auf 93.500. Zugleich blieb die bei den Molkereien abgelieferte Gesamtmenge an Milch konstant. Von der Kritik an dieser ebenso natur- wie menschenfeindlichen Form der Landwirtschaft ausgenommen kann allein die Ökolandwirtschaft werden, die feste Bestandsobergrenzen pro Fläche einhält. Wenn ein Hof nur so viel Tiere halten darf, wie der Boden an Futter hergibt, ist dabei allerdings die gesamte Futtermittelindustrie in ihrem Bestand bedroht. Zugleich wären jedoch Fälle wie der kürzlich publik gewordene Dioxis-Skandal ausgeschlossen und der Nachfrage-Druck, der mit dem Soja-Anbau in Südamerika zur Zerstörung der Amazonas-Urwälder führt, verschwände.

Völlig unqualifiziert äußerte sich die Gentechnik-Lobbyistin und "F"DP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan: Die seit nahezu 30 Jahren angewandten Kriterien bei der Waldschadenserhebung seien veraltet und ungenau. Während Aigners Amts-Vorgänger Horst Seehofer noch vor wenigen Jahren die einmal jährlich stattfindende unangenehme Pflichtübung in der Schublade versenken wollte, denkt Happach-Kasan offenbar an eine ähnlich "kreative" Handhabung der statistischen Datengrundlage wie bei der Arbeitslosen-Statistik.

 

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Anmerkungen

Siehe auch:

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Schäden innerhalb der Schwankungsbreite
      Zustand der Eichen nach wie vor "alarmierend" (27.11.10)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      Globale Waldvernichtung:
      13 Millionen Hektar pro Jahr (26.03.10)

      Wald-AIDS weiter virulent
      Aigner veröffentlicht "Waldzustandsbericht 2009"
      (22.01.10)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg:
      Oettinger legt desaströsen "Waldzustandsbericht" vor
      Haupt-Verursacher Massentierhaltung weiter verleugnet
      (1.12.09)

      Baden-Württemberg: Wald liefert 37 Prozent
      weniger Gewinn
      Wald-AIDS, Nachwirkungen von Sturm Lothar
      und Klimawandel spürbar (21.08.09)

      Trotz Wald-AIDS:
      Deutsche Forstwirtschaft nicht nachhaltig (21.07.09)

      "Waldzustandsbericht" 2008 veröffentlicht
      Wald-AIDS verschlimmert sich schleichend (21.02.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Wald-AIDS:
      Elende Zustände in Baden-Württemberg (18.11.08)

      Wald-AIDS wird beschwiegen
      Mainstream-Medien leugnen weiterin Hauptverursacher
      (19.03.08)

      Wald-AIDS im Jahr 2007
      und das Elend der Politik (30.01.08)

      Wald-AIDS in Baden-Württemberg
      Nur drei Jahre seit 1983 waren schlimmer... (24.11.07)

      Wald-AIDS im Jahr 2006
      Haupverursacher Landwirtschaft (25.01.07)

      Seehofer will die jährlichen
      "Waldschadensberichte" canceln (14.07.06)

      Wald-AIDS im Jahr 2005
      Der Waldzustandsbericht und die Ursachen (22.01.06)

      Der Wald hat AIDS
      "Rot-Grün" schaut zu (18.03.05)

      Wald-AIDS so schlimm wie nie zuvor (8.12.04)

      Wald-AIDS - Zustand schlimmer als 1983 (19.10.04)

      WWF sieht "Rot-Grün" auf dem Holzweg
      "Holz-Charta" offenbart Mißachtung der Wälder (3.09.04)

      Der Wald hat AIDS
      Aktuelle Befunde am Krankenbett (28.06.04)

      Auch "Rot-Grün" kann nicht länger leugnen:
      Dem Wald geht's immer schlechter (12.12.03)

      Waldsterben trotzt Künast
      Optimismus allein nützt nichts (23.10.03)

      Waldsterben virulent (29.08.03)

      Künast zum Haartest? (15.07.03)