EU-Kommission genehmigt Subvention
für AKW Hinkley Point
Brüssel (LiZ). Trotz internationaler Kritik an der durch nichts zu rechtfertigenden Subventionierung einer gefährlichen und nicht mehr konkurrenzfähigen Technologie, hat die EU-Kommission die Entscheidung der britischen Regierung gebilligt. Der nach offiziellen Angaben 31 Milliarden Euro teure Neubau zweier Reaktoren am Standort des AKW Hinkley Point wird durch den EURATOM-Vertrag gerechtfertigt.
In Großbritannien sind derzeit 16 Atom-Reaktoren in Betrieb (Siehe unseren Artikel v. 2.11.13) — darunter einige der ältesten der Welt. Zwei dieser "Technik-Museen" — beide seit 38 Jahren in Betrieb — stehen in Hinkley Point im idyllischen Somerset, an der Südwestküste Englands.
Diese Region war zu Beginn 2014 stark von den Stürmen und Überflutungen betroffen, die weite Teile Süd-Englands unter Wasser setzten. Atom-Reaktoren mit ihrer anfälligen Kühlung gerade hier zu betreiben, ist nach Ansicht von Atomkraft-GegnerInnen mit russischem Roulette vergleichbar. Wenn die Kühlung eines Reaktors für längere Zeit unterbrochen wird, überhitzt er und es kommt zum Super-GAU — so wie zuletzt am 11. März 2011 in Fukushima.
Vor rund einem Jahr war bekannt geworden, daß die britische Regierung plant, dem französischen Strom-Konzern und AKW-Betreiber EdF finanzielle Garantien zu geben, damit dieser zwei neue Atom-Reaktoren am Standort des AKW Hinkley Point baut. Zugleich wurden Pläne publik, daß sie über eine Dauer von 35 Jahren einen garantierten Abnahmepreis von umgerechnet rund 108 Euro pro Megawattstunde Atomstrom gewähren will (Siehe unseren Artikel v. 2.11.13).
Mittlerweile haben EdF und Areva in Verhandlungen offenbar sogar noch einen höheren Garantie-Preis herausgeschlagen: Die britische Regierung verpflichtet sich, 117 Euro pro Megawattstunde Atomstrom (92,50 Pfund) zu gewährleisten. Mit weiteren zugesagten Garantien und vertraglich zugesichertem Inflationsausgleich stünde laut Berechnungen der Tageszeitung 'Financial Times' der Stromabnahmepreis im Jahr 2058 — also 35 Jahre nach der anvisierten Inbetriebnahme — bei 279 Pfund pro Megawattstunde (355 Euro nach heutigem Kurs). Das entspricht rund dem 10-fachen des aktuellen Großhandels-Preises für Strom an der Leipziger Börse.
Die Regierung Österreichs hat bereits angekündigt, gegen die Pro-Atom-Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) zu klagen. Über EURATOM müßte Österreich, das 1979 einen Atom-Ausstieg realisierte (nicht: ankündigte), mit dem dennoch Jahr für Jahr zu zahlenden zweistelligen Millionenbetrag den britischen Atom-Irrsinn mitfinanzieren. Auch die österreichische Umweltschutz-Organisation 'Global 2000' und der deutsche Ökostrom-Anbieter EWS wollen sich der Klage anschließen.
Der Vorstand der EWS hatte die EU-Kommissare und Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Offenen Brief aufgefordert, sich gegen die britische Atom-Subventionierung einzusetzen. Von der deutschen "schwarz-roten" Bundesregierung ist jedoch keine Hilfe zu erwarten. Der angekündigte "deutsche Atom-Ausstieg" ist wieder einmal nur ein leeres Versprechen wie schon im Jahr 2001. Und laut einem Bericht der gewöhnlich gut informierten Wirtschafts-Zeitung 'Handelsblatt' haben Angela Merkel und Sigmar Gabriel im Gegenzug für ihr "Ja" zur britischen Atom-Subventionierung von der EU-Kommission einen Freibrief für die — ebenfalls als Subventionierung dem neoliberalen ökonomischen Credo zuwiderlaufende — Befreiung großer Teile der deutschen Industrie von der EEG-Umlage erhalten.
Auf der einen Seite hieß es in den vergangenen beiden Jahren immer wieder, die EEG-Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien müsse drastisch reduziert werden. Und dies wurde mit der Lüge begründet, die EEG-Umlage sei ursächlich für die in Deutschland steigenden Strompreise. Auf der anderen Seite wird mit der Subventionierung der Atomenergie in Kauf genommen, daß nicht nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa die Strompreise dramatisch ansteigen werden.
Dabei ist heute trotz der gigantischen finanziellen Zusagen der britischen Regierung keineswegs sicher, daß das Projekt Hinkley Point jemals fertiggestellt wird. Denn die beiden Prestige-Projekte, mit denen die EdF und Areva der Welt beweisen wollten, daß die neue Atom-Reaktor-Linie vom Typ EPR "schlüsselfertig" zum Festpreis von 3,2 Milliarden pro Reaktor angeboten werden könne, haben sich bereits als Flop herausgestellt. Auch für Hinkley Point sind Atom-Reaktoren vom Typ EPR vorgesehen.
Das "Vorzeige-Projekt" im französischen Flamanville wurde im August 2006 begonnen. Von der ursprünglich verkündeten Fertigstellung bis 2012 ist längst keine Rede mehr. Ende 2008 hieß es offiziell, daß sich die Bauzeit bis 2013 verzögere und die Baukosten 4 Milliarden Euro betragen werden. Mitte 2010 verkündete EdF, daß der kommerzielle Betrieb erst für 2014 erwartet werde und schätzte die Kosten auf 5 Milliarden Euro. Im Juli 2011 bezifferte EdF die Kosten auf 6 Milliarden Euro und verschob die geplante Inbetriebnahme auf 2016. Im Dezember 2012 gab EdF bekannt, daß die Bau-Kosten um mehr als das Doppelte auf 8,5 Milliarden Euro gestiegen seien. Anfang Dezember 2012 zog sich der italienische Konzern Enel aus der Finanzierung des Reaktors zurück. Enel begründete den Schritt damit, daß der EPR-Reaktor aufgrund der hohen Investitionskosten nie wirtschaftlich sein werde.
Das andere "Vorzeige-Projekt" eines EPR-Reaktors wurde im finnischen Olkiluoto im August 2005 begonnen. Ende 2006 hieß es offiziell, die Fertigstellung verzögere sich bis 2011. Bis 2008 hatten sich die veranschlagten Bau-Kosten von 3,2 auf 4,5 Milliarden Euro erhöht und die Fertigstellung wurde für 2012 in Aussicht gestellt. 2009 wurden die Baukosten auf 5,5 Milliarden Euro geschätzt. Im Oktober 2011 hieß es: Fertigstellung 2014 und veranschlagte Bau-Kosten 6,6 Milliarden Euro. Im Dezember 2012: Fertigstellung 2015 und veranschlagte Bau-Kosten 8,5 Milliarden Euro. Anfang 2013 wurde erklärt, die Inbetriebnahme würde sich auf 2016 verschieben.
Und so ist es kein Wunder, daß der französische AKW-Projektierer Areva im ersten Halbjahr 2014 einen Verlust von über 500 Millionen Euro zu verzeichnen hatte. Das ambitionierte Ziel, bis 2016 zehn Verträge für EPR-Atomreaktoren abzuschließen, wurde still begraben. Es würde "einige Jahre" länger dauern, erklärte Konzern-Chef Luc Oursel.
Im Falle der Reaktor-Projekte von Hinkley Point war in diesem Sommer noch die Rede von Baukosten in Höhe von zwei Mal 10 Milliarden Euro — also insgesamt 20 Milliarden Euro. Unverhohlen aber kalkulieren die Atomiker in Brüssel und in London bereits mit 24,5 Milliarden Pfund und somit umgerechnet 31 Milliarden Euro. Diese Angabe ist in der am 8. Oktober veröffentlichten Entscheidung der EU-Kommission enthalten, wonach die Subventionspläne der britischen Regierung zum Bau und Betrieb der beiden EPR-Atomreaktoren mit EU-Beihilferecht vereinbar seien. Der Brüsseler Bescheid enthält neben den geschätzten Baukosten weitere brisante Angaben. So wird sich das "Gesamtkapital auf ungefähr 34 Milliarden Pfund (43 Milliarden Euro) belaufen". Es ist also deutlich erkennbar, daß es der politischen Kaste in Brüssel ebenso wie in London oder Berlin darum geht, der sterbenden Atom-Branche — und damit ihrem Auftraggeber — lebensverlängernde Maßnahmen auf Kosten der europäischen SteuerzahlerInnen zu gewähren.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
AKW Temelin: Ausbau verzögert
EU-Kommission streitet mit Tschechien (10.11.13)
Atom-Ausstieg?
Ein Vergleich zwischen D und GB (2.11.13)
EU-Kommissar Oettinger manipuliert
Subventionsbericht zu erneuerbaren Energien (14.10.13)
Tschechien: Stop der Förderung
der erneuerbaren Energien -
Subventionierung der Atomenergie? (15.09.13)
General Electric: Atomenergie zu teuer
Das Ende des Atomenergie-Zeitalters (30.07.12)
Aus für AKW-Pläne in Großbritannien
E.on und RWE machen Rückzieher (29.03.12)
Obama subventioniert die Atom-Mafia
Bau zweier Atom-Reaktoren angekündigt (9.02.12)
Studie der Citibank:
Atomenergie ist unwirtschaftlich (12.02.10)
Obama verspricht
Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)
EURATOM,
Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.09)
Schwedische Regierung wünscht neue Atomkraftwerke
Kommt nun doch die "Renaissance der Atomenergie"?
(5.02.09)
Neubau britischer AKWs aus Steuermitteln?
Sterbende britische Atom-Branche hofft auf Brown (11.01.08)
Europa und Euratom
(25.02.07)
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(11.06.04)
'British Energy' und der europäische Atom-Ausstieg
Blair kämpft ums Überleben des Atom-Konzerns
'British Energy' (8.05.04)
Neue Atommacht EU?
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Zwangsweiser Atomausstieg
in Großbritannien? (11.04.04)
EURATOM-Täuschung und weitere Atom-Subventionierung
(27.07.03)
Die Subventionierung der Atomenergie
Folge 3 der Info-Serie Atomenergie