Linkspartei beschließt Wahlprogramm
Parteitag in Dresden
Dresden (LiZ). Ohne Konflikte offen auszutragen beschloß die Linkspartei ein Wahlprogramm, das echt linke Positionen markiert. Damit scheint die Perspektive einer "rot-grünen-roten" Regierungs-Koalition unrealistisch zu sein.
Die vor einem Jahr im Juni gewählte neue Doppelspitze aus Katja Kipping und Bernd Riexinger hat allem Anschein nach das in sie gesetzte Ziel erreicht und die Partei, die von Flügelkämpfen zerrissen schien und deren Spaltung an die Wand gemalt wurde, geeint. Doch offenbar besteht der gefundene Kompromiss darin, daß nach außen - zumindest bis zur Bundestagswahl im September - linke Positionen markiert werden, während sich die "Reformer" die wichtigen Schlüsselpositionen in der Partei sicherten, von wo aus sie hoffen, in Regierungsämter wechseln zu können. Und so durften Kipping und Riexinger denn auch harte Kritik an der "S"PD üben, während sie deren Chef-Etage zugleich signalisieren, daß sie dies keineswegs ernst meinen und gerne - zu welchen Konditionen auch immer - zur Koalition bereit sind.
Mehr als Rhetorik ist es denn auch nicht, wenn Riexinger die "S"PD dafür kritisiert, daß diese derzeit nicht an "Rot-Grün-Rot" interessiert sei. Die Steinbrück-Partei zeige eine "hirnlose und kindische Abgrenzungspolitik nach links". Die "S"PD könne die sozialen Teile ihres Programms nur mit seiner Partei umsetzen. Es stellt sich die Frage, ob Riexinger angesichts der Erfahrungen von 1998 bis 2005 und dem Schröder-Intimus Peer Steinbrück als Kanzler-Kandidaten die "sozialen Teile" des Steinbrück-Programms für glaubwürdig erachtet oder was er sich stattdessen mit einer "rot-grün-roten" Koalition erhofft. Und als wäre damit tatsächlich irgend etwas real erreicht, feierte es Riexinger als Erfolg seiner Partei, "daß alle Parteien im Wahlkampf von sozialer Gerechtigkeit reden". In der Öffentlichkeit spielt Riexinger damit jedoch nur die Rolle des Kronzeuge für "Rot-Grün" und beglaubigt so die Illusion, dieser Teil des Berliner Blockflöten-Spektrums biete eine soziale oder ökologische Alternative zur Merkel-Regierung.
Auch Oskar Lafontaine scheint seinen Frieden mit dieser verbal-radikalen Ausrichtung der Linkspartei geschlossen zu haben und sorgte lediglich mit seinen - offensichtlich nicht mehrheitsfähigen - Aspirationen auf einem Ausstieg aus dem Euro für etwas Aufregung. Auf dem Parteitag jedoch enthielt er sich jeglicher Wortmeldung. Derweil fiel Gregor Gysi die Rolle zu, den neuen "Parteifrieden" in einer Friede-Freude-Eierkuchen-Rede zu feiern. Während der "Aufbau West", der von Ulrich Maurer gemanagt hätte werden sollen, gescheitert ist, lobte Gysi Lafontaine dafür, daß dieser aus der "Partei eine Bundespartei" gemacht habe. Und bei Kipping und Riexinger bedankte sich Gysi dafür, daß sie seinen Respekt verdient hätten.
Das vom gesamten Bundesvorstand - also einer deutlichen Mehrheit von "Reformern" - vorgelegte linke Wahlprogramm wurde dann in einem Abstimmungs-Marathon ohne größere Änderungen bestätigt. Und entgegen dem von Lafontaine geforderten spektakulären Austritt aus dem Euro, heißt es nun im Wahlprogramm: "Auch wenn die Europäische Währungsunion große Konstruktionsfehler enthält, tritt die Linke nicht für ein Ende des Euro ein." Es wird nun gemunkelt, damit hätten sich Kipping, Riexinger und Gysi in der Euro-Thematik gegen Lafontaine positioniert und sich so von diesem "emanzipiert".
Die Linkspartei fordert in ihrem Wahlprogramm nun einen Anstieg des Spitzensteuersatzes von 42 auf 53 Prozent. Einkommen über eine Million Euro pro Jahr sollen mit 75 Prozent versteuert werden. Steigen soll ebenfalls die Erbschaftssteuer. Geplant ist zudem eine Vermögenssteuer. Die Linkspartei rechnet hierdurch mit Mehreinnahmen von insgesamt 180 Milliarden Euro pro Jahr. Die Sozialleistungen sollen ausgebaut werden. Der Hartz-IV-Regelsatz soll in einem ersten Schritt von 382 auf 500 Euro angehoben werden - zugleich fordert die Linkspartei nach wie vor die Abschaffung von Hartz IV. Im Gesundheitswesen soll es nur noch eine Krankenkasse für alle geben. Die Linkspartei fordert zugleich, die geplante Einführung der Rente mit 67 Jahren rückgängig zu machen und an der Rente mit 65 festhalten. Das Rentenniveau soll erhöht werden und eine garantierte Mindestrente von 1050 Euro netto eingeführt werden. Finanziert werden soll das unter anderem durch den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Rentenbeiträge sollen künftig auch auf darüber liegende Einkommen erhoben werden. Die Linkspartei fordert einen Mindestlohn von 10 Euro, der zwar einerseits erheblich über den Versprechungen von "Rot-Grün" mit 8,50 Euro liegt, andererseits aber im europäischen Vergleich nach wie vor einem Dumpinglohn gleichkäme. In den Wirtschaftspolitik ist die Linkspartei "klassisch sozialdemokratisch" (entsprechend der reformerischen Phase der "S"PD der Jahre ab 1914 bis Mitte der 1970er-Jahre) orientiert und propagiert einen keynesianischen Kurs: Mit staatlichen Subventionen soll die Wirtschaft "angekurbelt" werden. Sie tritt damit zwar der Austeritäts- und Kürzungspolitik entgegen, verbreitet aber zugleich die Illusion, es gäbe einen Ausweg aus der Krise unter Beibehaltung des Kapitalismus. Das Wahlprogramm ist zugleich überraschend pazifistisch ausgerichtet. Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen sofort beendet werden. Ebenfalls gefordert wird ein Ende der Rüstungsexporte und der Waffenproduktion in Deutschland. Militärische Drohnen sollen geächtet werden. Die Bundeswehr soll vollständig auf die Entwicklung, Beschaffung und Nutzung von Spionage- und Kampfdrohnen verzichten.
Offenbar haben mittlerweile auch die "Reformer", die in der Linkspartei die Mehrheit stellen, erkannt, daß der Prozeß des Mitgliederverlustes und des reihenweisen Ausscheidens aus Landtagen nur gestoppt werden kann, wenn nicht allzu deutlich wird, daß alle politischen Positionen Knall auf Fall geopfert werden, sobald die Chance besteht, an die Futtertröge von Ministerämtern und Ministerialdirigenten, Ministerialräten oder Staatssekretären zu gelangen. Und die gesamte Partei hofft darauf, daß bei den WählerInnen vergessen ist, was sie überall dort, wo sie mit der "S"PD regierte, wie zur Zeit in Brandenburg und davor jahrelang in Berlin, oder mit der Tolerierung eine "rot-grünen" Regierung etwa in NRW an Sozialabbau und ökologischen Schandtaten mittrug. All dies soll mit den großartigen Versprechen des Wahlprogramms übertönt werden. Und wie schnell das Wahlprogramm im September im Papierkorb verschwinden kann, wird deutlich, wenn Kipping und Riexinger stetig Signale an die "S"PD senden, die Linkspartei könne durchaus Peer Steinbrück mit zum Kanzler wählen. "Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl," heißt es augenzwinkernd in Richtung "S"PD.
Die "Reformer" sind daher nun auch damit einverstanden, das "Profil zu schärfen" und linke Positionen zu markieren. Außerdem wissen sie, daß ihnen in Bälde die wenigen restlichen Linken, die in westdeutschen Landesverbänden noch zu finden sind, kaum mehr etwas entgegensetzen können. Denn während laut dem Beschluß auf dem Vereinigungsparteitag des Jahres 2007 derzeit noch Ost- und Westverbände auf Parteitagen gleichstark vertreten sind, ist dann die Mitgliederstärke entscheidend. Und die Linkspartei hat in den ostdeutschen Landesverbänden dreimal so viele Mitglieder wie in den westdeutschen.
Bei der Bundestagswahl 2009 hatte die Linkspartei noch 11,9 Prozent erreicht. Doch in den aktuellen Umfragen liegt sie bei sechs bis neun Prozent und es gilt als mutig, mit einem Ergebnis von 10 Prozent zu rechnen. So beschwor Gysi wohlweislich nur nebulös: "Wir wollen ein zweistelliges Ergebnis erreichen." Die Delegierten reagierten hierauf nicht etwa mit Jubel, sondern mit Schweigen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Neustart bei der Linkspartei?
Kipping und Riexinger als Doppelspitze (4.06.12)
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