Berlin (LiZ). Die derzeit in Deutschland in den Mainstream-Medien geführte Diskussion vor dem Hintergrund der ange- kündigten massiven Kürzung der Einspeisevergütung für Strom aus Photovoltaik lenkt von einer ehrlichen Bilanz von Kosten und Einsparungen ab. Eine Energie- Wende in Deutschland setzt einen Atom-Ausstieg voraus und würde unterm Strich auch finanziell positiv zu Buche schlagen.
Derzeit wird in den Mainstream-Medien über Pro und Contra der "Förderung" erneuerbarer Energien eine Schein-Diskussion veranstaltet. Es werden Zahlen in den Raum geworfen, wonach die erneuerbaren Energien mit 5 bis 6 oder gar mit 13,5 Milliarden Euro (Bundesnetzagentur) subventioniert würden.
Dies stellt eine doppelte Irreführung der Öffentlichkeit dar. Denn zum einen wird trotz des im Sommer 2011 von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" angekündigten Atom-Ausstiegs die Atomenergie in Deutschland nach wie vor auf direktem und indirektem Weg mit über 14 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert. Zum anderen flossen zwar tatsächlich über die Einspeisevergütung im vergangenen Jahr 13,5 Milliarden Euro anteilig aus den überwiegend von den Haushalten bezahlten Stromrechnungen an die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energien - doch meist wird bei der Nennung dieser Zahl unterschlagen, daß die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien zugleich den Strompreis senkt und etliche andere geldwerte Auswirkungen mit sich bringt, die bei einer fairen Bilanz einberechnet werden müßten.
Einzuberechnen sind erstens die vermiedenen Kosten durch die unbestreitbare Absenkung des an den Strombörsen ausgehandelten Strompreises. Allein dieser Betrag beläuft sich nach Berechnungen des Fraunhofer Instituts für Innovationsforschung auf 0,5 Cent pro Kilowattstunde und damit rund 3 Milliarden Euro pro Jahr. Zweitens sind die vermiedenen externen Kosten in eine Bilanz einzusetzen. Diese zweite Kategorie der vermiedenen Kosten ergibt sich daraus, daß Strom aus erneuerbaren Energien dieselbe Menge an Strom aus klimaschädlicher Erzeugung verdrängt. Anzusetzen sind dabei durchschnittlich 550 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde. Allein nach offiziellen Zahlen sind pro Tonne Kohlendioxid 70 Euro externe Kosten anzusetzen. Daraus ergibt sich, daß rund 4 Cent pro Kilowattstunde an externen Kosten vermieden werden. Dies ist bereits mehr als die 3,6 Cent pro Kilowattstunde, die ein durchschnittlicher Haushalt anteilig mit der Stromrechnung für die Einspeisevergütung der erneuerbaren Energien aufbringt.
Im vergangenen Jahr haben die erneuerbaren Energien einen Anteil von 20 Prozent am Stromverbrauch Deutschlands von insgesamt rund 600 TWh (Terawattstunden) überschritten. Dies entspricht rund 120 TWh. 4 Cent pro Kilowattstunde an vermiedenen externen Kosten ergeben daher eine Summe von 4,8 Milliarden Euro, die den erneuerbaren Energien in einer fairen Bilanz gutgeschrieben werden müssen.
Drittens sind die vermiedenen Kosten des ansonsten bei der Strombörse einzukaufenden Stroms in der Bilanz für die erneuerbaren Energien in Rechnung zu stellen. Diese liegen im Mittel des vergangenen Jahres bei 7 bis 8 Cent pro Kilowattstunde. Vorsichtig mit 7 Cent eingesetzt ergibt sich ein weiterer Betrag von 8,4 Milliarden Euro, der den erneuerbaren Energien gutgeschrieben werden muß. Die realen Kosten des Atomstoms, bei dessen betriebswirtschaftlicher Berechnung die Kosten im Falle eines Super-GAU in Deutschland ebenso wenig einberechnet sind wie die Kosten einer Endlagerung des Atommülls für mehrere Millionen Jahre, sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Der Abzug, der bei einer Bilanz also zumindest zu berücksichtigen ist, beträgt als Summe aus 3 Milliarden, 4,8 Milliarden und 8,4 Milliarden insgesamt 16,2 Milliarden. Dies ist bereits mehr als die Einspeisevergütung, die sich laut Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr auf 13,5 Milliarden Euro belief.
Während zur Zeit im öffentlichen Diskurs meist nur diese Zahl von 13,5 Milliarden Euro als Subventionierung des Stroms aus erneuerbaren Energien auftaucht, hat zumindest der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einer im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten Studie einen Teil der vermiedenen Kosten berücksichtigt und so eine Summe von 51 Milliarden Euro der Öffentlichkeit präsentiert, die ein "übereilter" Umbau der Energieversorgung bis zum Jahr 2020 hin zu erneuerbaren Energien kosten würde. Dies ergäbe bei der betrachteten Zeitspanne von neun Jahren immerhin eine - fiktive - Subventionierung der erneuerbaren Energien von rund 5,7 Milliarden Euro pro Jahr. Doch selbst bei der höchst einseitigen Betrachtungsweise des BDI ergäbe sich folgende Bilanz: Da der BDI behauptet, Atomkraftwerke würden auch ohne staatliche Subventionierung betrieben, kann die Summe von 14 Milliarden pro Jahr eingespart werden und so stünde den genannten 51 Milliarden Euro in neun Jahren eine Einsparung von 126 Milliarden Euro gegenüber. Euro unterm Strich ergibt sich also ein Plus von satten 75 Milliarden Euro.
Da im öffentlichen Diskurs zur Zeit die Subventionierung der Atomenergie mit jährlich über 14 Milliarden Euro in Deutschland meist völlig ausgeblendet wird, entsteht ein völlig schiefes Bild. Erwähnt sei der Vollständigkeit halber, daß sich die deutsche Kohle-Subvention auf jährlich 13 Milliarden Euro beläuft. Auf der anderen Seite jedoch gleichen die erneuerbaren Energien die Einspeisevergütung, die sich im vergangenen Jahr auf 13,5 Milliarden Euro belief, mehr als aus und schlagen daher finanziell positiv zu Buche. Im Vergleich zur Subventionierung von Atomenergie und Kohle sind die Fördermittel für erneuerbare Energien mit den in die Menge gestreuten Kamellen eines Kölner Karnevals-Prinzen zu vergleichen.
Daß sich die deutsche Bevölkerung trotz der großangelegten und breit von den Mainstream-Medien unterstützten Kampagne gegen die erneuerbaren Energien nicht im erhofften Ausmaß irreführen läßt, zeigen aktuelle Umgfrageergebnisse: Nach wie vor ist eine Mehrheit für einen beschleunigten Ausbau insbesondere der Solarenergie. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungs- instituts TNS Emnid halten 69 Prozent den bisherigen Ausbau dieser Energieform nicht für zu schnell. 60 Prozent der Befragten vertreten die Ansicht, die Politik tue zu wenig zur Förderung des Solarstroms.
Vorbereitet wurde der vorhersehbare und von den Ministern Norbert Röttgen und Philipp Rösler nun zu verkündende Kahlschlag bei der Einspeisevergütung durch eine jahrelange kaum beachtete Verschiebung der Lasten zu Ungunsten der privaten Haushalte. Und diese Verschiebung dient nun offenbar als willkommener Vorwand für die derzeitige Kampagne von den "ausufernden Kosten", die angeblich durch die erneuerbaren Energien verursacht werden. Ursprünglich sollten alle StromkundInnen - private wie unternehmerische - die Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien anteilig über die Stromrechnung bezahlen. Doch zunächst wurden ausgerechnet stromintensive Groß-Konzerne wie etwa Aluminium-Produzenten und Chemie-Unternehmen geschont. Nach und nach wurden immer mehr Ausnahmen eingeführt. Zu Beginn erfreuten sich bundesweit lediglich rund 600 Betriebe einer Ausnahmegenehmigung. Heute sind dies über 6000. Und so bezahlen inzwischen nahezu ausschließlich Privathaushalte und Handwerksbetriebe die Einspeisevergütung. Deren Last stieg auf diese Weise überproportional. Und VerbraucherInnen-Verbände, deren Führungspersonal nicht selten ein gelbes Parteibuch besitzt, griffen dies auf, um nunmehr eine "untragbare Belastung" der VerbraucherInnen zu beklagen. Wäre die Verteilung jedoch entsprechend dem realen Anteil am Stromverbrauch, müßte ein deutscher Durchschnittshaushalt lediglich 7,60 Euro statt 10,50 Euro pro Monat für die Einspeisevergütung aufbringen.
Angesichts der realen Geldflüsse und Subventionen ist es schlicht absurd, wenn in den Mainstream-Medien zur Zeit suggestiv die Frage gestellt wird, ob 10,50 Euro pro deutschem Durchschnittshaushalt viel oder wenig Förderung der erneuerbaren Energien sei. Würde in Deutschland tatsächlich ein Atom-Ausstieg vollzogen - und die sofortige Stilllegung der neun Atom-Reaktoren, die de facto unbefristet weiter betrieben werden dürfen, wäre versorgungstechnisch kein Problem - und würden zudem in den kommenden acht Jahren Steinkohle- und Braunkohle-Kraftwerke schrittweise stillgelegt, müßten überhaupt keine Einspeisevergütungen für Strom aus erneuerbaren Energien gezahlt werden, denn die Strompreise würden über die üblichen Marktmechanismen dafür sorgen, daß der Ausbau von Windkraftanlagen, Solarzellen, Wasserkraftwerken und Biogasanlagen auf der Grundlage landwirtschaftlicher Abfälle und Mist weitaus zügiger vonstatten ginge als in den vergangenen Jahren. In nur acht Jahren wäre so eine Energie-Wende zu einer Vollversorgung des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien realisierbar.
All diese Überlegungen zu den Kosten - oder finanziellen Vorteilen - einer Energie-Wende sollten jedoch in Anbetracht der herannahende Klimakatastrophe zweitrangig sein. Vor wenigen Jahren noch präsentierte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Vorreiterin" im Klimaschutz. Nun jedoch werden die Minister Röttgen und Rösler mit den angekündigten Kürzungen dafür sorgen, daß Deutschland die vollmundig angekündigten Reduktionsziele nicht wird einhalten können. Wieder einmal stellen sich die Versprechungen von Partei-PolitikerInnen als heiße Luft heraus.
Und nicht zuletzt sollten die möglichen Kosten einer Energie-Wende in Relation gesetzt werden - nicht nur zu den Kosten eines Super-GAU, die auf mehrere hundert Milliarden Euro zu veranschlagen sind, sondern - insbesondere zu dem Leid, das den von einem Super-GAU betroffenen Menschen zugefügt wird. Denn das, was sich in Tschernobyl und Fukushima ereignete, kann uns schon morgen auch in Deutschland treffen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Stuttgart ergrünt
EWS steigt bei Stuttgarter Stadtwerken ein (19.02.12)
Erneuerbare Energien
haben auch in Frankreich eine Chance (16.02.12)
Trotz Kälte
kein Strommangel in Deutschland (3.02.12)
Energie-Wende in den USA?
90 Prozent für erneuerbare Energie (15.01.12)
Baden-Württemberg bleibt schwarz
Atomenergie unangefochten, Erneuerbare gebremst
(14.01.12)
Stimmungsmache gegen Erneuerbare
im Dienste der "Großen Vier" (13.01.12)
Solon insolvent
Rückschlag für erneuerbare Energien (15.12.11)
Südwest Presse
hängt sich an Stromimport-Lüge an (8.10.11)
Strom-Importe wegen Merkels "Atom-Ausstieg"?
Lügen! Lügen! Lügen! (12.09.11)
Erneuerbare bei über 20 Prozent
Energiewende dennoch gebremst (29.08.11)
Merkels "Atom-Ausstieg"
Täuschungsversuch wie vor 11 Jahren
Wie Kretschmann 2002 einen
"politischen Selbstmord" überlebte (30.05.11)
Atom-Ausstieg teuer?
Im Gegenteil: Ersparnis von jährlich
mehr als 8 Milliarden Euro (10.05.11)
86 Prozent der Deutschen:
Erneuerbare Energien sind wichtig
Wieviel kostet Öko-Strom wirklich? (16.10.10)
Greenpeace deckt auf: Deutsche Kohle-Subvention
mit jährlich 13 Milliarden Euro (4.06.10)
Die Subventionierung
der Atomenergie
Folge 3 der Info-Serie Atomenergie