Stuttgart (LiZ). Daß sich mit dem Wechsel von "Schwarz-Gelb" zu "Grün-Rot" in Baden-Württem- berg im März 2011 nichts zum Positiven verändert, dringt allmählich ins Bewußtsein breiterer Kreise ein. So wurden 2011 sogar weniger Windräder im "Ländle" errichtet als 2010. Heute wurde der pseudo-grüne Minister- präsident Winfried Kretschmann zudem von "Stuttgart-21"-GegnerInnen mit Schuhen beworfen.
Mit dem "arabischen Frühling" und der weltweiten Sympathie für die Demokratie-Bewegungen in Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten hält offenbar eine aus dem islamischen Kulturraum importierte Protestform verstärkt Einzug in deutsche Demonstrationsgebräuche: Der zum Protest hoch in die Luft gehaltene Schuh. Dies oder gar der Wurf mit einem ausgelatschten Treter galt bislang vor allem jenseits des Mittelmeeres als Ausdruck ärgster Verachtung und Beleidigung.
Der pseudo-grüne baden-württembergische Minister- präsident Kretschmann mußte heute in Stuttgart fast selbst Bekanntschaft mit einem fliegenden Schuh machen. Vor Beginn des Neujahrsempfangs erwarteten ihn "Stuttgart-21"-GegnerInnen, die das gezinkte Spiel mit Schlichtungs-Farce und Volksabstimmung nicht einfach auf sich beruhen lassen wollten. Und trotz der Desinformation der Mainstream-Medien verbreitet sich unaufhaltsam das Wissen, daß die "grün-rote" Landesregierung durchaus über rechtliche Mittel verfügt, um das Mega-Projekt zu stoppen. So soll etwa entgegen dem ursprünglichen Planfeststellungsbeschluß mehr als die doppelte Menge an Grundwasser aus der für den Bau eines unterirdischen Bahnhofs vorgesehenen Baugrube abgepumpt werden.
Der fliegende Schuh traf leider einen der "Bodyguards". Zumindest in einer Hinsicht ist der für seine politische Flexibilität gerühmte Kretschmann stets konsequent geblieben, denn von der in der Anfangszeit der pazifistischen Grünen als eines von vier politischen Grundsätzen hochgehaltenen Gewaltfreiheit hatte Kretschmann nie etwas gehalten: Bombenwürfe, Polizeiknüppel und schlagkräftige "Bodyguards" hatte er schon immer befürwortet.
Wie kaum anders zu erwarten enttäuscht die Kretschmann-Regierung auch den Teil der WählerInnen, die ohne nähere Kenntnis der Karriere der heutigen Führungs-Clique der Pseudo-Grünen am 27. März 2011 ihr Kreuzchen-Malen mit der Hoffnung verbanden, wenigsten im Hinblick auf das Umwelt-Thema sei auf die Farbe Grün noch Verlaß. Doch im vergangenen Jahr wurden in Baden-Württemberg insgesamt nur 6 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 13 Megawatt errichtet. Im Jahr 2010 - also unter der "Regentschaft" von Stefan Mappus, der die Richtlinienkompetenz des Atomstrom-Konzerns EnBW allzu ungeschminkt exekutierte - waren es immerhin noch 8 Windräder.
Um das im Koalitionsvertrag festgelegte und von den Mainstream-Medien als "ehrgeizig" gefeierte Ziel von 10 Prozent Windenergie an der Stromerzeugung bis 2020 zu erreichen, müßten allerdings jährlich 100 Windräder mit einer Gesamtleistung von 300 Megawatt errichtet werden. Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt - ebenfalls ein Binnenland - konnte selbst unter einem "schwarzen" Ministerpräsidenten längst ein Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von über 40 Prozent durchgesetzt werden. Und in Baden-Württemberg liegt zudem ein gewaltiges Potential an Wasserkraft an kleinen Flüssen brach. Doch auch der Ausbau dieser erneuerbaren und umweltverträglichen Energieform wird in Baden-Württemberg weiterhin skrupellos blockiert.
Auch ein Einsatz der Kretschmann-Regierung für einen Atom-Ausstieg ist offenbar nicht zu erwarten. In den vergangenen neun Monaten ging von der neuen baden-württembergischen Landesregierung keinerlei gesetzliche Initiative aus. Trotz Merkels angeblichem Atom-Ausstieg dürfen die baden-württembergischen Atom-Reaktoren Neckarwestheim II (versprochener Stilllegungs-Zeitpunkt: 2022) und Philippsburg II (versprochener Stilllegungs-Zeitpunkt 2019) de facto unbefristet weiterbetrieben werden. Eine Äußerung der pseudo-grünen Führungspolitikerin Bärbel Höhn macht schon heute klar, daß auch im Falle einer Neuauflage von "Rot-Grün" nach der kommenden Bundestagswahl im Jahr 2013 kein Atom-Ausstieg zu erwarten ist: Es soll an der in 2011 von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" beschlossenen Terminplanung festgehalten werden. Und in dieser Terminplanung ist zwischen 2013 und 2017 keine AKW-Stilllegung vorgesehen. Nach der Bundestagswahl im Jahr 2017 kann dann "Schwarz-Gelb" den niemals ernsthaft erwogenen Atom-Ausstieg um weitere vier Jahre verschieben.
Kretschmanns politisches Vorbild Joseph Fischer hatte sich als hessischer "Turnschuh-Minister" in den 1980er-Jahren - von der Parteibasis gedrängt - immerhin noch Gefechte mit den damaligen Atom-Ministern Walter Wallmann und Klaus Töpfer unter dem "schwarz-gelben" Bundeskanzler Helmut Kohl geliefert. Um die Gefährlichkeit des hessischen AKW Biblis zu belegen, waren die Gesetzesinitiativen damals mit ausführlichen Gutachten unterfüttert worden. Der heutige baden-würtembergische Ministerpräsident kann sich an jene Jahre in Hessen sicherlich noch lebhaft erinnern. Er wurde damals von Fischer Dank guter KBW-Connnection als veritabler Ministerialrat eingestellt.
Mitte der 1980er-Jahre waren die beiden Blöcke des AKW Biblis gerade einmal zehn Jahre alt. Reaktor II des AKW Philippsburg hat die ursprünglich vorgesehene maximale Betriebsdauer von 25 Jahren bereits 2009 überschritten. Im Falle von Block II des AKW Neckarwestheim - des "jüngsten" deutschen Atomreaktors - wird diese Grenze bereits im Januar 2014 erreicht sein.
Die Beziehungen der neuen baden-württembergischen Landesregierung zum Atomstrom-Konzern EnBW gestalteten sich hingegen schon Anfang vergangenen Jahres in bestem Einvernehmen. Bereits wenige Tage nach der Wahl hatte sich "Grün-Rot" darauf geeinigt, daß die frühere Bundesvorsitzende der Pseudo-Grünen, Gunda Röstel, einen Aufsichtsratsposten bei EnBW erhält (Siehe unseren Bericht vom 19. April). Bereits im Jahr 2000 war Röstel nach dem erfolgreichen Deal mit den Atomstrom-Konzernen, der in den Mainstream-Medien zum ersten deutschen Atom-Ausstieg veredelt worden war, mit einem Managerposten bei der E.on-Tochter Gelsenwasser versorgt worden. Die neue Rolle Röstels besteht ersichtlich darin, dem baden-württembergischen AKW-Betreiber ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Im PR-Jargon wird dies als Greenwashing bezeichnet.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Stimmungsmache gegen Erneuerbare
im Dienste der "Großen Vier" (13.01.12)
Solon insolvent
Rückschlag für erneuerbare Energien (15.12.11)
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8KU in Konkurrenz zu den "Großen Vier" (17.10.11)
Energiewende - Neue Speichermethode
für Wasserstoff entdeckt (26.09.11)
Neuartiges Energie-Projekt
Kombination von Wind- und Wasserkraft (18.09.11)
Strom-Importe wegen Merkels "Atom-Ausstieg"?
Lügen! Lügen! Lügen! (12.09.11)
Erneuerbare bei über 20 Prozent
Energiewende dennoch gebremst (29.08.11)
David gegen Goliath
Neckargemünd kann Stromnetz kaufen (20.08.11)
Steuergelder für CO2-Schleudern
Kohlekraftwerke weiterhin subventioniert (14.07.11)
Atom-Ausstieg?
Lügenpack! (1.07.11)
Merkels "Atom-Ausstieg"
Täuschungsversuch wie vor 11 Jahren
Wie Kretschmann 2002 einen
"politischen Selbstmord" überlebte (30.05.11)
Atom-Ausstieg teuer?
Im Gegenteil: Ersparnis von jährlich
mehr als 8 Milliarden Euro (10.05.11)
Grünes Recycling?
Greenwashing bei EnBW (19.04.11)
David gegen Goliath
Titisee-Neustadt übernimmt Stromnetz (6.04.11)
Landtagswahl
Recycling in Baden-Württemberg (27.03.11)
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Auszeichnung für Planegg (27.01.11)
Erfolgsmeldung: RWE steigt
steigt aus AKW-Projekt Cernavoda aus (21.01.11)
Madagaskar
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Vattenfall
Ein Fall von Greenwashing (6.01.11)
Bürger-Energie Alpirsbach
mit zweiter Photovoltaik-Anlage (19.12.10)
86 Prozent der Deutschen:
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