27.10.2014

Gigantische Verschmutzung des Meeresbodens
Öl-Katastrophe 'Deep Horizon' bislang unterschätzt

Ölpest
Santa Barbara (LiZ). Wissen­schaftlerInnen von der Universität Kalifornien haben entdeckt, daß infolge der Öl-Katastrophe vom April 2010, als die Öl-Plattform 'Deepwater Horizon' explodiert war, mehr als 3.200 Quadratkilometer Meeresboden im Golf von Mexiko durch absinkendes Öl verschmutzt wurden.

Nach den Messungen der WissenschaftlerInnen um David Valentine von der Universität Kalifornien in Santa Barbara und des Woods Hole Oceanographic Instituts im Bundesstaat Massachusetts haben sich damals große Mengen des ausgetretenen Öls auf dem Meeresboden im Umkreis des Bohrlochs abgelagert. Dabei handelt es sich um jene Teile des ausgetretenen Öls, das in schichtartigen Ölfahnen unter Wasser gesichtet wurde.

Die Verschmutzung durch das ausgetretene Öl hat eine Vielzahl von Lebewesen nachhaltig geschädigt. "Das von uns beobachtete Muster der Verunreinigung kann nicht durch eine natürliche Sickerstelle hervorgerufen worden sein," erläutert David Valentine. So seien beispielsweise die Tiefseekorallen in der Region massiv beschädigt. Und in einer früheren Untersuchung wurden vierzehn Tierarten aufgelistet, die durch das Öl maßgeblich in ihrem Bestand gefährdet wurden. Dazu zählen Delphine, Seeschildkröten, Thunfische und diverse Seevögel. Bis heute zeigen sich die Folgen der Umweltverschmutzung im Meer beispielsweise durch einen weit überdurchschnittlichen Anteil von mißgebildeten Fischen.

Nach den bislang verlautbarten offiziellen Schätzungen waren rund 4,9 Millionen Barrel (780 Millionen Liter) Rohöl in den Golf von Mexiko und in den ökologisch besonders sensiblen Mündungsbereich des Mississippi gelangt. Dies ist mehr als das 13-fache der Menge, die bei der Öl-Katastrophe der Exxon Valdez im Jahr 1989 freigesetzt wurde. Der für die Katastrophe hauptsächlich (neben US-Regierung und Firmen wie Haliburton) verantwortliche Öl-Konzern BP nennt bis heute eine Menge von 3,1 Millionen Barrel. Die neue Untersuchung geht von mindestens 5 Millionen Barrel (rund 800 Millionen Liter) aus, von denen sich rund 2 Millionen Barrel (318 Millionen Liter) auf dem Meeresboden ablagerten. Diese Zahlen sind äußerst brisant, da sie die Höhe der "Entschädigungs"-Zahlung bestimmen, welche die US-Justiz dem britischen Öl-Konzern BP auferlegt.

BP hatte die Verantwortung für die Katastrophe übernommen und 5,4 Milliarden US-Dollar Strafgelder an die Regierung in Washington gezahlt. In einem weiteren Verfahren erklärte sich der Energiekonzern bereit, 7,8 Milliarden Dollar Schadenersatz an Unternehmen und Privatleute zu zahlen (Siehe unseren Artikel v. 22.12.12). Im vergangenen Monat bescheinigte ein Bundesrichter in New Orleans den Verantwortlichen "grobe Fahrlässigkeit" im Vorfeld des Unglücks, so daß auf BP weitere Milliarden-Strafen zukommen könnten.

Neben den großflächigen Verschmutzungen im Mündungsbereich des Mississippi ist offenbar auch eine gigantische Fläche des Meeresbodens betroffen. Rund 40 Prozent des ausgetretenen Öls verteilte sich im Umkreis des aufgerissenen Bohrlochs auf über 3.200 Quadratkilometern. Das Gebiet läßt sich bislang noch nicht eingrenzen, da das Öl sich nicht flächendeckend absetzte, sondern eher mosaikartig. Daher seien die Ablagerungen nur schwer aufzuspüren, berichten die WissenschaftlerInnen in einer Veröffentlichung im Fachmagazin 'Proceedings of the National Academy of Sciences'. Allerdings ist die jetzt ermittelte Fläche von 3.200 Quadratkilometern ein um das 20- bis 100-fache größeres Areal als bislang geschätzt wurde.

Die WissenschaftlerInnen werteten Meß-Daten von mehr als 3000 Sediment-Proben aus, die an insgesamt 534 Stellen in rund 1.300 Meter Tiefe im Umkreis des Bohrlochs entnommen worden waren. Sie bestimmten daraus die Hopan-Konzentration in den Sedimenten. Der Kohlenwasserstoff Hopan dient als Marker für das Vorhandensein von Öl, da er ein nicht reaktiver Öl-Bestandteil ist und damit zuglich ein langfristiger Indikator. So zeigten die WissenschaftlerInnen, daß Verschmutzungen westlich des Bohrlochs bis in mindestens 40 Kilometer Entfernung mosaikartig auftreten.

"Wenn das Öl sich auf dem Sediment ablagert, stirbt das Leben am Meeresboden für sehr lange Zeit ab," sagte Jörg Feddern, Experte bei der Umweltschutz-Organisation Greenpeace. Ein mikrobieller Abbau des Öls finde kaum statt, weil unter den Teermatten weder Sauerstoff noch Nährstoffe für die Bakterien vorhanden seien. Die ökologischen Folgen für die Region seien auch vier Jahre nach dem Unglück kaum abzuschätzen. Im Mai 2014 hatte eine Studie ergeben, daß Bakterien, entgegen der Hoffnung vieler Fachleute, das ausgetretene Öl nur unzureichend gefressen hatten. Umstritten ist bis heute, ob die chemischen Dispergentien, die direkt in das austretende Öl gesprüht wurden, mehr Schaden als Vorteile verursachten. Diese Mittel sollen das Schweröl aufbrechen und in leichter abbaubare Bestandteile zerlegen. Doch könnten sie auch verhindert haben, daß das Öl in höhere und wärmere Wasserschichten aufstieg, wo die höhere biologische Aktivität es vielleicht schneller unschädlich gemacht hätte.

Eine weitere Untersuchung vom Juli 2014 zeigte auf, daß die Ölpest nach Beginn der Katastrophe auch viele Korallen geschädigt hat. Demnach setzten Öl-Partikel oder die zu deren Zersetzung verwendeten Chemikalien Tiefsee-Korallen noch in einer Entfernung von 22 Kilometern zu. Pflanzen an dem betroffenen 75 Kilometer langen Küstenstreifen im US-Staat Louisiana erholten sich dagegen vergleichsweise rasch. Zunächst hatte das ausgeströmte Öl zahlreiche von ihnen absterben lassen, wodurch auch die Küstenlinie zum Teil erodierte. Betroffen war Marschland, wo salztolerante Pflanzen bis an die Wasserlinie heranreichen. Eine Bestandsaufnahme im Januar 2012 zeigte, daß sich einige Bereiche ganz erholt hatten, die Pflanzenbedeckung also komplett zurückgekehrt war. Dies ging auf das Aussprießen von Seitentrieben zurück. Wo die Erosion infolge des Ölunfalls schon zugeschlagen hatte, wuchs allerdings nichts mehr.

 

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Anmerkungen

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