Der Schwindel mit dem FSC-Siegel
Stockholm (LiZ). Nachdem vor etlichen Jahren der Schwedischen Forstwirtschaft mit dem FSC-Siegel Nachhaltigkeit attestiert wurde, geriet die Lage in Schwedens Wäldern aus dem Blickfeld der großen Umweltschutz- Organisationen. Doch mittlerweile wird immer deutlicher, daß das schwedische Forstwirtschaftsmodell die Artenvielfalt bedroht. Schwedens Wälder verwandeln sich zusehens in monotonen Altersklassenplantagen, die im Kahlschlag "geerntet" werden. Die Schwedische Gesellschaft für Naturschutz SSNC läutet nun die Alarmglocken, nachdem sie die Verschlechterung über Jahre dokumentiert hat. Mit dem Report "Cutting the Edge - the Loss of Natural Forests in Sweden" will sie die Weltöffentlichkeit über den Niedergang der Nachhaltigkeit in Schwedens Wäldern informieren.
"Cutting the Edge - die Ecke abschneiden", spielt auf den großen schwedischen Getränkekarton-Produzenten 'Tetra Pak' an. "Zukunft hat nur, was nachwächst" - unter diesem Motto tratt 'Tetra Pak' mit einer vermeintlichen Umweltkampagne an VerbraucherInnen und MeinungsbildnerInnen heran. O-Ton Tetra Pak: "Die Ressourcen auf der Erde werden immer knapper. Da ist es eine gute Sache, wenn Unternehmen auf unendlich verfügbare Rohstoffe setzen." Und dieser "unendlich verfügbare Rohstoffe" stammt zum überwiegenden Teil aus der mit dem vom Forest Stewardship Council (FSC) verliehenen Siegel ausgezeichneten schwedische Forstwirtschaft.
Das schwedische Forstbewirtschaftungskonzept wurde in ganz Europa als ein Beispiel für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung gepriesen - vor allem durch das Zertifizierungssystem FSC. In Wahrheit jedoch hat die schwedische Forstbewirtschaftung seit den Fünfziger Jahren, als mit dem Kahlschlag begonnen wurde, verheerende Auswirkungen auf die Vielfalt der Wälder. Die modernen Waldbewirtschaftungsmethoden bedrohen heute über 2000 der im Wald lebenden ungeschützten oder gefährdeten Arten.
Die SSNC, Schwedens größte Umweltschutz-Organisation, hat Dokumentationen über annähernd 500 gefährdete und ungeschütze boreale Altwaldbestände mit hohem Schutzwert (HCVF=High conservation value forest) durchgeführt. Diese Bestände sind sowohl im Besitz von großen Holzfirmen, als auch von kleineren Anteilseignern. "Die schwedischen Urwälder sind dabei, zu verschwinden. Es ist an der Zeit, daß Endverbraucher und das Beschaffungswesen sich darüber bewußt werden, daß die gegenwärtigen Bewirtschaftungsmethoden die Biodiversität in den einzigartigen Ökosystemen Schwedens bedrohen", sagt SSNC-Präsident Mikael Karlsson.
Schwedens größte Waldbewirtschaftungs-Unternehmen sind FSC-zertifiziert. Zahlreiche der während der vergangenen drei Jahre von der SSNC durchgeführten Feldstudien zeigen, daß eine beträchtliche Zahl der eingeschlagenen Flächen den grundlegendsten Kriterien des FSC-Standards nicht gerecht werden. Diese Verstöße gegen die Richtlinien haben die Unternehmen jedoch nicht um den Vorzug gebracht, das FSC-Siegel auch weiterhin benutzen zu dürfen. In gut einem Drittel der Fälle verstößt der Holzeinschlag auch gegen die schwedischen Naturschutzgesetze, stellt die Schwedische Forstagentur fest.
"Wir benötigen ein neues Forstbewirtschaftungsmodell, mit Regeln, welche die Artenvielfalt und das Waldökosystem Schwedens schützen. Wir benötigen jetzt möglichst schnell neue, strenge Sanktionen, um die Forstindustrie zur Einhaltung der schon bestehenden Gesetze zu zwingen. Außerdem benötigen wir ein neues Gesetz, welches das Ziel hat, den Naturwert schwedischer Wälder zu schützen," so Mikael Karlsson.
Während der Feldstudien der SSNC wurden hunderte von außergewöhnlich schützenswerten Urwäldern und wichtigen Lebensräumen im Wald entdeckt, die entweder schon abgeholzt oder für die Rodung vorbereitet wurden. Die Holzfirmen wurden kontaktiert, nachfolgende Überprüfungen ergaben jedoch, daß sich in der Vorgehensweise der Unternehmen kaum etwas geändert hat.
"Die Erkenntnisse aus unseren Ortsbegehungen sind niederschmetternd. Über 2000 der im Wald lebenden Arten stehen auf der roten Liste und hunderte sind gefährdet oder stark gefährdet. Trotz dieser Tatsache finden wir weiterhin Lebensräume eben dieser Arten, welche kahlgeschlagen oder zur Rodung freigegeben wurden," berichtet Malin Sahlin, Waldaktivistin der SSNC.
Das schwedische Forstmodell hat den Wandel von artenreichen, wertvollen Naturwäldern hin zu einheitlichen Plantagen mit gleichen Bäumen und wenig Vielfalt befördert. Versuche, die Situation etwas zu verbessern, wie zum Beispiel durch Zertifizierung, hatten nur einen minimalen Effekt. Der Bericht zeigt, daß die Verarmung des Ökosystems Wald weiter anhält und er wurde zahlreichen Naturschutzorganisationen sowie europäischen Abnehmern schwedischer Forstprodukte zur Verfügung gestellt.
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