14.08.2011

Demo in Neckarwestheim
"Stilllegung sofort!"

Demo am AKW Neckarwestheim, 13.08.2011 Neckarwestheim (LiZ). Bei einer Demonstration am baden-württembergischen AKW Neckar- westheim richtete sich der Prostest vor allem gegen den de facto unbefristeten Weiterbetrieb von Block II, der seit 1989 in Betrieb ist. Laut dem von "Schwarz-Gelb" vor kurzem neu verkündeten "Atom-Ausstieg" soll der Betrieb des Reaktors bis in Jahr 2022 erlaubt bleiben.

Bei der Auftakt-Kundgebung am nahegelegenen Kirchheimer Bahnhof rief Monika Knoll den rund 700 DemonstrantInnen zu: "Wir müssen weitermachen!" Daß dieser Aufruf nötig ist, zeigte sich nicht allein an der beschämend geringen Zahl der Demo-TeilnehmerInnen, sondern zugleich daran, daß viele derer, die Anfangs dieses Jahres nach Beginn des Super-GAUs von Fukushima zu Menschenketten und Kundgebungen strömten, offenbar glauben, "Schwarz-Gelb" habe tatsächlich einen Atom-Ausstieg beschlossen. Zugleich hoffen anscheinend viele, eine "grün-rote" Landesregierung werde es schon irgendwie richten. Daß in Baden-Württemberg ein Super-GAU auch unter "Grün-Rot" möglich ist, dringt offenbar nur zögerlich ins Bewußtsein.

Der Arzt Franz Wagner von 'Energiewende Heilbronn' widersprach in seinem Redebeitrag vor dem AKW Neckarwestheim der offiziellen Propaganda: "Atom-Ausstieg sieht anders aus!" Ihm antworteten die DemonstrantInnen in Sprech-Chören: "Lügenpack! Lügenpack!" Wagner wies darauf hin, daß möglicherweise - entgegen den verbreiteten Hoffnungen - sogar der ältere der beiden Reaktoren nicht stillgelegt wird, denn dieser ist für den sogenannten Reservebetrieb im Gespräch. Auch an die Forderung nach Auflösen des Zwischenlagers am AKW Neckarwestheim erinnerte Wagner. Die "grün-rote" Landesregierung habe die Möglichkeit, das Zwischenlager wegen der nachgewiesen schlechten Beton-Qualität zu schließen: "Stellen Sie die Interessen der Bevölkerung über die der EnBW und machen Sie eine Atomaufsicht, die diesen Namen auch verdient!" Den Finger in eine weitere schwärende Wunde legte Wagner mit der Forderung an "Grün-Rot", mit der Geheimhaltung bei der Stilllegung des AKW Obrigheim Schluß zu machen. So bestünde hier die Möglichkeit, anhand des alten Reaktordruckbehälters die Versprödung des Materials und das damit verbundene erhöhte Risiko nachzuweisen.

Als prominenter Gast sprach auf der Kundgebung der Japaner Tomoyuki Takada. Noch wenige Tage zuvor war er in Japan und hatte mit Betroffenen aus der Evakuierungszone gesprochen. Er zeigte eine Jute-Tasche mit der in Europa seit 30 Jahren verbreiteten Anti-Atom-Sonne und dem japanischen Schriftzug "Atomkraft - Nein Danke!" Takada hofft, daß sich die Menschen in Japan in großer Zahl - etwa beim Einkauf - zur Forderung nach dem Atom-Ausstieg bekennen. Die seelische Bürde nach Erdbeben, Tsunami und dem Super-GAU von Fukushima beschrieb Takada als nahezu erdrückend, bei Gesprächen hätten viele Menschen plötzlich die Tränen nicht mehr unterdrücken können. "Die Evakuierung bedeutet Entwurzelung," erklärte er und berichtete von Selbstmorden von Bio-LandwirtInnen und Bio-RinderzüchterInnen. In das Dorf Iitate, das sich in der Nähe der AKW Fukushima Daiichi befindet, seien durch die Explosionen große Mengen radioaktives Cäsium getragen worden. Deshalb sollten sich in Iitate keine Menschen mehr aufhalten. Dennoch würden viele zwar in den Notunterkünften schlafen, aber tags in der Evakuierungszone arbeiten, weil sie ihre Reisfelder nicht unbestellt lassen wollen. Das Reisfeld sei in Japan ein Symbol für das Leben. Für viele sei die Vorstellung unerträglich, daß zum Sommer hin das Unkraut die Felder überwuchert. Häufig hörte er die Frage: "Wann können wir zurückkehren?" Nur allmählich werde den Menschen bewußt, daß sie möglicherweise niemals mehr in ihre Heimat zurückkehren können. Und so wachse nach und nach der Widerstand gegen die Atomenergie in Japan: "Als ich im Mai in Japan war, galt Kritik an der Atomindustrie noch als Tabu in der Gesellschaft. Das hat sich drastisch geändert."

Takada zog als Fazit seiner Erfahrungen: "Nicht nur sprechen, sondern gemeinsam handeln!" Gemeinsam mit den DemonstrantInnen übte er japanische Sprech-Chöre ein, die symbolisch nach Japan auf den Weg geschickt wurden. So bedeutet "Dame, Dame, Genpats!" "Nein, Nein, AKW!"

Valentin Hollain von Eurosolar sprach über die realen Erfolge bei der Realisierung der Energiewende in den vergangenen 30 Jahren. So stieg etwa der Anteil der erneuerbaren Energien von vier auf mittlerweile knapp 20 Prozent. Noch 1986 hatten namhafte Energie-Experten behauptet, bis 2010 könne allenfalls ein Anteil von fünf Prozent erreicht werden. Hollain warnte vor einer drohenden Verwässerung des Begriffs Energiewende und kritisierte den Versuch von Bundeskanzlerin Merkel auch den Bau neuer Kohlekraftwerke als "Energiewende" verkaufen zu wollen. Selbst Geld aus dem Klimaschutzfonds solle nun dazu verwendet werden, den Bau von Kohlekraftwerken voranzutreiben - dies sei eine "Pervertierung" des Begriffs, so Hollain.

Auch bei dem im Jahr 2000 verkündeten "Atom-Ausstieg" war die Hoffnung geweckt worden, die Atomkraftwerke würden - wenn auch nicht sofort so doch in den kommenden Jahrzehnten - stillgelegt werden. Es hieß, die Atom-Ausstieg sei "unumkehrbar." Diese Illusion ist zwar in den vergangenen Jahres verflogen, doch erneut scheinen sich große Teile der deutschen Bevölkerung durch ein unverbindliches Versprechen vertrösten zu lassen. Neun der 17 bis zur Reaktor-Katastrophe von Fukushima in Deutschland betriebenen Atom-Reaktoren sollen jedoch über die nächste Bundestagswahl im Jahr 2013 hinaus weiterbetrieben werden dürfen. Dabei kann der nächste Super-GAU schon morgen in Deutschland, möglicherweise in Baden-Württemberg, geschehen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Kinderkrebs im Umkreis von Atomkraftwerken
      deutlich erhöht (4.08.11)

      Steigende Strahlungswerte
      in Atom-Ruine Fukushima (19.11.10)

      Grünes Recycling?
      Greenwashing bei EnBW (19.04.11)

      Baden-Württemberg
      60.000 bei Menschenkette für Atom-Ausstieg (12.03.11)

      Mit Nebelwerfer gegen Terror-Gefahr?
      (21.07.10)

      "Profit für Jahre - Müll für Jahrmillionen!"
      Demo mit 5000 TeilnehmerInnen
      am AKW Neckarwestheim (31.03.10)

      Aus für AKW Neckarwestheim I
      in hundert Tagen? (11.01.10)

      AKW Neckarwestheim
      Hohe Tritium-Konzentration im Neckar (23.06.08)

      AKW Neckarwestheim I heruntergefahren
      Reaktordruckbehälter undicht (23.05.08)

      Minderwertiger Beton bei Bau des "Zwischenlagers"
      beim AKW Neckarwestheim? (8.05.08)

      Atommüll-Lager
      beim AKW Neckarwestheim erdbebengefährdet
      (16.01.05)

      Trittin entfernt kritischen Experten
      im Auftrag von EnBW / Ist Trittin erpreßbar? (25.12.04)

      AKW Neckarwestheim
      "Blankes Entsetzen" (29.11.04)

      Die stille Katastrophe
      Info-Serie Atomenergie - Folge 8