10.05.2011

ARD und ZDF mit
Volkszählungs-Propaganda
TV-Beiträge schlicht fehlerhaft

Nur Schafe lassen sich zählen Berlin (LiZ). Die beiden "öffent- lich-rechtlichen" TV-Sender ARD und ZDF haben in der Hauptsendezeit gestern zum offiziellen Start des "Zensus 2011" Propaganda verbreitet und dabei selbst die wichtigsten Argumente der Gegenseite unterschlagen. Zudem waren die Beiträge fehlerhaft.

Nach dem Daten-Super-GAU bei Sony müßte es eigentlich auch den hochbezahlten JournalistInnen bei ARD und ZDF bekannt sein, daß begründete Zweifel an der Sicherheit der zentral für bis zu vier Jahre reanonymisierbar aufbewarten Daten der Volkszählung "Zensus 2011" bestehen. Doch in den gestern zur besten Sendezeit ausgestrahlten Beiträgen von ARD und ZDF war hiervon keine Rede. Seit gestern sind die sogenannten Erhebungsbeauftragten unterwegs, um dafür zu sorgen, daß die Fragebögen vollständig und korrekt ausgefüllt werden. Doch auch davon, daß die ausgefüllten Fragebögen danach tagelang in der Wohnung eines "Erhebungsbeauftragten" offen herumliegen können, war bei ZDF und ARD keine Rede. Auch von der Kritik, daß es keine effektive Handhabe gibt, Neo-Nazis von der Tätigkeit als "Erhebungsbeauftragte" auszuschließen, erfuhren die TV-KonsumentInnen nichts.

Erwähnt wurde auch nicht die Erkenntnis von IT-SpezialistInnen, wonach der Übertragungsweg der Daten nicht ausreichend geschützt ist. Und "zu guter letzt" blieb ausgespart, daß die zentrale Sammlung eines schon allein in finanzieller Hinsicht äußerst wertvollen Datensatzes über rund 80 Millionen Menschen Begehrlichkeiten weckt. Der Datensatz liegt reanonymisierbar auf einem Zentral-Computer für bis zu vier Jahre quasi auf dem Präsentierteller. Nach dem Daten-Super-GAU bei Sony, wo nach bisherigen Erkenntnissen sensible Daten von über 100 Millionen KundInnen gehackt wurden, ist diese Art "öffentlich-rechtlichen" Journalismus doch ein wenig merkwürdig.

So hieß es bei ARD und ZDF, "etwa zehn Prozent der Bevölkerung muß Auskunft geben." Erwähnt wurde darüber hinaus lediglich, daß alle ImmobilienbesitzerInnen ebenfalls zur Auskunft beim "Zensus 2011" verpflichtet sind. Unterschlagen wurde jedoch, daß weiter zwei Millionen Menschen die in den sogenannten "Sonderbereichen" leben, ebenfalls zwangsweise erfaßt werden sollen. Mit diesen "Sonderbereichen" sind die Strafvollzugsanstalten, Heime für psychisch Kranke, Demente und Behinderte, Altenheime und Pflegeheime, Internate für Kinder und Jugendliche, Heime für AsylbewerberInnen und Flüchtlinge, Frauenhäuser und Obdachlosenheime gemeint - Bereiche, in denen Menschen leben, die sich gegen ihre Erfassung oft nur schwer zur Wehr setzen können. Tatsächlich sind nicht nur zehn Prozent der Bevölkerung - also rund acht Millionen Deutsche - von der Volkszählung direkt betroffen, sondern insgesamt rund 30 Millionen. Und durch den Abgleich mit Melderegistern und anderen dezentralen Datensammlungen entsteht ein brisanter Datensatz von rund 80 Millionen Menschen.

In den TV-Beiträgen wurde zudem suggriert, die Daten seien deshalb sicher, weil die Datenschutzbehörden die Volkszählung "begleiten". Dies stellt nichts anderes als Propaganda dar, denn die von KritikerInnen des "Zensus 2011" aufgezeigten Lücken in der Sicherung der Daten, können durch diese "Begleitung" nicht geschlossen werden. So wurde beispielsweise in den vergangenen Wochen bekannt, daß die niedersächsische Landesdatenschutz- behörde nicht über eine ausreichende Zahl an Personal verfügt, um diese "Begleitung" auch nur ansatzweise zu realisieren.

Mittlerweile ist unbestreitbar, daß nicht nur zentrale Datenbanken wie die von Sony, der von JournalistInnen noch kürzlich bescheinigt wurde, sie sei "besonders sicher", gehackt werden können. Bekannt wurde nun auch, daß auch der Daten-Übertragungsweg unsicher ist. Jan Schejbal, ein deutscher IT-Experte mit Wohnsitz in Schweden fand heraus, daß von ausreichender Sicherheit bei der Datenübertragung keine Rede sein kann. Es ist bereits Software verfügbar, die es ermöglicht, Daten, die bei der Weiterleitung von "Zensus-2011"-Fragebögen, versendet werden, auf ihrem Weg abzufangen. Der Trick besteht einfach darin, daß Kriminelle - eventuell im Auftrag gut zahlender "Kunden" - die Empfänger-Websites imitieren. Ähnlich wie beim Kampf gegen Phishing, bei dem Konto-Daten "gefischt" werden, soll ein solcher Angriff mit Hilfe des "Hypertext Transfer Protocol Secure" (https) verhindert werden. Die zusätzliche Sicherheit, die https bietet, kann jedoch ausgehebelt werden, da beim ersten Aufbau der Verbindung zum Übertragen der Fragebogen-Daten lediglich http verwendet wird. Angreifer können die Verbindung entführen und https-Links gegen http-Links austauschen, um die Daten mitzulesen.

Bekannt ist ebenso, daß beispielsweise die Software SSLstrip des kalifornischen Hackers Moxie Marlinspike eingesetzt werden kann, um http-Traffic zu hacken und in diesem https-Links durch http-Links zu ersetzen. Jan Schejbal überprüfte dies und kam zum Ergebnis, daß es ein leichtes ist, bei entsprechendem Zugang beispielsweise über das Intranet einer Firma oder den Zugriff auf einen Domain-Name-Sever, Datenströme auf dem Weg zum zentralen Datenspeicher des "Zensus 2011" mitzulesen. Schejbal kam daher zum Schluß, daß sich die Verantwortlichen des "Zensus 2011" bei der Datensicherheit "offenbar nicht viel Mühe gegeben haben."

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Hier die Links zu den entsprechenden Seiten bei ARD und ZDF:

      ARD Tagesschau, 20 Uhr
      http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=7111018

      ZDF "heute", 19 Uhr
      http://hstreaming.zdf.de/zdf/veryhigh/110509_h19.mov

Siehe auch unsere Artikel:

      Daten-Super-GAU bei Sony weitet sich aus
      100 Millionen KundInnen betroffen (3.05.11)

      Daten-Super-GAU bei Sony
      Daten von 77 Millionen KundInnen gehackt (27.04.11)

      Daten-Skandal
      Schnüffel-Software in Apples iPhone (21.04.11)

      Zweiter Anlauf
      zur Internet-Zensur (11.04.11)

      Erfolg gegen Internet-Zensur
      Das Gesetz zur Sperrung von Internet-Seiten fällt
      (5.04.11)

      Volkszählung "Zensus 2011"
      Daten in sicheren Händen? (4.04.11)

      Big Brother Award 2011 für
      Facebook, Apple und Daimler (1.04.11)

      Paßwort-Dienst greift zu Holzhammer
      c't-Redaktion ausgesperrt (24.03.11)

      Die virtuelle Diskussions-Armee
      ist im Anmarsch (22.02.11)

      EU-Kommissarin Malmström
      kämpft weiter für Internet-Zensur (17.02.11)

      EU mit Appetit auf Passagier-Daten
      Speicherung angeblich zum Zweck der Terrorabwehr
      (3.02.11)

      Luxenburger Piratenpartei
      gegen Volkszählung (28.01.11)

      Neo-Nazis wollen bundesweit schnüffeln
      "Zensus 2011" bietet Einfallstor (23.01.11)

      Datenspeicher Küchentisch
      "Zensus 2011" wenig durchdacht (21.01.11)

      Internationale Liga für Menschenrechte
      unterstützt Volkszählungs-Boykott (8.01.11)

      Volkszählung "Zensus 2011"
      Die NPD will helfen (6.01.11)