16.10.2015

Verfassungsbruch: "Schwarz-Rot" beschließt
Vorratsdatenspeicherung

Vorratsdatenspeicherung -  Grafik: Samy - Creative-Commons-Lizenz Nemensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Berlin (LiZ). Obwohl Vize-Kanzler Sigmar Gabriel und Justizminister Heiko Maas sich noch vor wenigen Monaten vehement gegen die (Wieder-)Einführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatten, reichten sie nun ihre Hand für einen Verfassungsbruch, der den Weg in einen totalitären Staat ebnet.

Verbindungs- und Standortdaten von Telefon- und Internet-NutzerInnen müssen nun ab 1. Juli 2017 von den Telekommunikations-Unternehmen im Staatsauftrag gespeichert werden, um sie - auf Vorrat - für den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zehn Wochen lang bereit zu halten. Mit großer Mehrheit stimmten die Fraktionen von Union und "S"PD im Bundestag dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und damit dem offenen Verfassungsbruch zu.

404 Abgeordnete stimmten für die Vorratsdatenspeicherung (VDS) – 99 weniger als "Schwarz-Rot" Stimmen hat. 148 stimmten dagegen, 7 enthielten sich. Unter anderen stimmte der "S"PD-Netzpolitiker Lars Klingbeil mit Nein.

Entsprechend dem nun beschlossenen VDS-Gesetz sollen die Rufnummern der beteiligten Telefon-Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer der Anrufe sowie die IP-Adressen von Computern gespeichert werden. Wie kurz vor der Abstimmung bekannt wurde, speichern die Mobilfunkbetreiber auch die Inhalte von SMS-Nachrichten, weil sie sich technisch nicht von den Stammdaten trennen lassen.

Bereits im Jahr 2008 hatte "Schwarz-Rot" ein VDS-Gesetz beschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dieses mit Urteil vom 2. März 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärt (Siehe unseren Artikel v. 2.03.10). Es stellte in seinem Urteil unmißverständlich fest, daß dieses VDS-Gesetz gegen Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes - der trotz etlicher Verstümmelungen immer noch gültigen Verfassung Deutschlands - verstieß.

"Schwarz-Rot" hatte sich damals darauf berufen, durch eine Richtlinie der EU-Kommission aus dem Jahr 2006 gezwungen zu sein, ein solches VDS-Gesetz zu beschließen. Am 8. April 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig, da sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

Das heute beschlossene VDS-Gesetz ist ganz offensichtlich mit "heißer Nadel" gestrickt. Justizminister Maas sah sich schon im Juni massiven Vorwürfen gegenüber, das von ihm zu verantwortende Gesetz enthalte "unklare Formulierungen" und erhebliche Mängel. Zudem kritisierten Bundestags-JuristInnen, daß auch dieses VDS-Gesetz "nicht verfassungskonform" sei (Siehe unseren Artikel v. 10.06.15). Nun kam auch noch zutage, daß laut dem neuen VDS-Gesetz auch die Inhalte von SMS-Nachrichten entgegen der datenschutzrechtlichen Vorschriften bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden müssen. Ungeachtet solcher Kuriositäten stimmten die Bundestagsabgeordneten dem mehrheitlich zu.

Dabei ist unbestreitbar, daß sich die Telekommunikations­unternehmen strafbar machen würden, wenn sie aufgrund des VDS-Gesetzes die für zehn Wochen gespeicherten SMS-Inhalte an Strafverfolgungsbehörden weitergeben würden. Entweder ist also diese Vorratsspeicherung völlig sinnlos oder die Telekommunikationsunternehmen sollen zum Gesetzesbuch gezwungen werden.

Außer Zweifel steht, daß auch gegen das heute beschlossene VDS-Gesetz das Bundesverfassungsgericht angerufen werden wird.

 

LINKSZEITUNG

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Stop der VDS durch die
      EU-Kommission? (14.09.15)

      "S"PD stimmt für Vorratsdatenspeicherung
      Gabriel und Maas setzen sich durch (20.06.15)

      Maas hat VDS-Gesetz vermasselt
      Mängelrügen von vielen Seiten (10.06.15)

      Justizminister Maas fällt um
      VDS und totalitärer Staat (22.03.15)

      Witz der Woche
      Sigmar Gabriel, Norwegen und die VDS (18.03.15)

      Vorratsdatenspeicherung
      Widerstand gegen Gabriels Pläne (17.03.15)

      BürgerrechtlerInnen sagen Nein zu Forderung
      nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung
      (12.01.15)

      Max-Planck-Institut:
      Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv (27.01.12)

      Vorratsdatenspeicherung
      Schünemann bestätigt KritikerInnen (6.06.11)

      Bundesverfassungsgericht:
      Vorratsdatenspeicherung war verfassungswidrig (2.03.10)

      Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
      20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)

      30.000 klagen gegen Vorratsdatenspeicherung
      Sensibilität wächst wie zu Zeiten
      des Volkszählungsboykotts 1987 (2.01.08)