Stop der VDS durch die
EU-Kommission?
Brüssel (LiZ). Die EU-Kommission hat festgestellt, daß in dem von Justizminister Heiko Maas vorgelegten Gesetz-Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) Passagen enthalten sind, die dem EU-Recht widersprechen. Das Gesetzgebungsverfahren mußte daher unterbrochen werden.
Justizminister Heiko Maas hatte, nachdem er von SPD-Partei-Chef Sigmar Gabriel auf Rechtskurs gebracht worden war, den Gesetz-Entwurf für die Vorratsdatenspeicherung in wenigen Wochen - Ende März bis Mitte Mai - mit der heißen Nadel gestrickt und nach Ansicht von Fachleuten ein offensichtlich mangelhaftes Machwerk vorgelegt (Siehe unseren Artikel v. 10.06.15). Nun kritisiert die EU-Kommission einen - de facto irrelevanten - Teil des Gesetz-Entwurfs; dieser gefährde die Chancengleichheit zwischen europäischen Unternehmen.
Denn vorgesehen ist im VDS-Gesetz, daß Telekommunikations-Unternehmen und Provider die Kommunikations-Daten ihrer KundInnen ausschließlich "im Inland" speichern sollen. Mit diesem Passus wollte Maas den berechtigten Verdacht beschwichtigen, daß die gespeicherten Daten etwa ins Ausland oder gar in die Rechenzentren US-amerikanischer Geheimdienste abfließen. Nun verletzt dies aber offensichtlich die sogenannte Dienstleistungsfreiheit. Denn diese Dienstleistungsfreiheit besagt, daß sich europäische Unternehmen gleichberechtigt mit deutschen darum bewerben dürfen, die "Dienstleistung" zu erbringen, deutsche Kommunikations-Daten - irgendwo - zu speichern.
Real ist es selbstverständlich völlig gleichgültig, wo diese gigantischen Daten-Pools gespeichert werden, denn - wie längst bekannt - hat der US-amerikanische Geheimdienst NSA auch Zugriff auf De-Cix in Frankfurt am Main, den größten Internet-Knoten der Welt (Siehe unseren Artikel v. 4.10.14). Und je größer diese Pools von Kommunikations-Daten werden, desto größer ist das Risiko, daß mit der VDS die Infrastruktur für einen Überwachungsstaat von Orwellschem Ausmaß geschaffen wird. Im Januar hatten BürgerrechtlerInnen und Datenschutz-Initiativen die Bestrebungen von "Rot-Grün" zur Wiedereinführung der VDS klar zurückgewiesen (Siehe unseren Artikel v. 12.01.15).
Selbst Vertreter der Internet-Wirtschaft hatten im März dieses Jahres deutlich gegen die VDS Stellung bezogen. Oliver Süme, Vorstand Politik und Recht des Provider-Verbands eco, monierte, daß nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine grundrechtskonforme gesetzliche Grundlage für eine VDS in Deutschland kaum mehr denkbar sei. Der Provider-Verbands eco lehnt die VDS nach wie vor "aus grundsätzlichen Erwägungen" ab. Sie sei ein Instrument, "dessen unbelegter Nutzen für die Strafverfolgung in keinem Verhältnis zum damit verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Bürger sowie den zu erwartenden Kosten für die Internetwirtschaft" stehe. Auch der Bundesverband IT-Mittelstand schloß sich dieser Position an. Verbandspräsident Oliver Grün wies wie Süme auf die höchstrichterlichen Urteile hin und ergänzt, die VDS belaste die deutsche IT-Wirtschaft erheblich, da diese die technische Grundlage schaffen und einen enormen Aufwand treiben müsse, um für solch ein Mega-Projekt die Infrastruktur zu stellen. Auch er ist der Ansicht, daß ein Nutzen weder in der Strafverfolgung noch in der Verbrechens-Prävention belegt ist (Artikel v. 17.03.15).
Um dem breiten Widerstand gegen die Wiedereinführung der VDS zu begegnen hatte Maas Anfang August eine große Show zusammen mit Generalbundesanwalt Harald Range inszeniert. Ein Verdacht gegen netzpolitik.org wurde zu einer vermeintlichen Affaire um "Landesverrat" aufgeblasen und es wurden sogar Vergleiche mit der 'spiegel'-Affaire gezogen, bei der 1962 auf Betreiben von Franz Josef Strauß zusammen mit Rudolf Augstein sieben 'spiegel'-Redakteure verhaftet wurden. Offenbar ging es Maas darum, mit der Entlassung Ranges sein Image als kämpferischer Verteidiger von Pressefreiheit und Bürgerrechten aufzupolieren.
Nach dem von Maas vorgelegten Gesetz-Entwurf sollen die Telekommunikations-Unternehmen die Telefon- und Internet-Verbindungs-Daten aller BürgerInnen zehn Wochen lang speichern. Dazu gehören die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer der Anrufe sowie die IP-Adressen der dabei benutzten Computer. Für die Standortdaten, die bei Mobiltelefon-Gesprächen anfallen, ist eine Speicherfrist von vier Wochen vorgesehen - auch in diesem Fall "anlaßlos", also: ohne irgend einen Verdacht.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2010 ein erstes deutsches VDS-Gesetz der vorangegangenen "schwarz-roten" Koalition aus dem Jahr 2007 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Und nachdem der Europäische Gerichtshof im April 2014 die EU-Richtlinie zur Speicherung aller Verbindungsdaten für rechtswidrig und nichtig erklärt hatte, wurden auch die nationalen VDS-Gesetze in Österreich, der Slowakei, Rumänien, den Niederlanden und Bulgarien zu Fall gebracht.
Die Eile, mit der Justizminister Maas in den Wochen von Ende März bis Mitte Mai zu Werke ging, war vor allem der Terminplanung geschuldet, das VDS-Gesetz noch im Juni - also vor der Sommerpause - zu beschließen. So hoffte zumindest der "rote" Teil der Bundesregierung, den zu erwartenden Aufschrei in der Bevölkerung schnell hinter sich zu bringen. Selbst die Bundesdatenschutzbeauftragte wurde erst im Nachgang um eine Stellungnahme gebeten und die ansonsten bei der Ausarbeitung von Gesetz-Entwürfen übliche "Anhörung von Verbänden und Fachkreisen" ließ Maas ausfallen. Das Justizministerium behauptete eine "Eilbedürftigkeit des Vorhabens", konnte diese jedoch nicht begründen.
Erst im Juni bemerkte "Schwarz-Rot", daß die im VDS-Gesetz enthaltenen technischen Regelungen zunächst der EU-Kommission und den anderen EU-Staaten zur Notifizierung vorzulegen sind. Hierdurch wurde eine dreimonatige Warteschleife ausgelöst. Aufgrund der jetzt vorliegenden ablehnenden Stellungnahme der EU-Kommission verlängerte sich diese Frist um einen Monat bis 6. Oktober und der Zeitplan von "Rot-Grün" wurde so erneut über den Haufen geworfen. Darin war eine Anhörung von ExpertInnen für den 21. September vorgesehen und noch in derselben Woche sollte das VDS-Gesetz abgenickt werden. Und möglicher Weise führen die Verschiebungen Woche um Woche dazu, daß das VDS-Gesetz letztlich noch gestoppt werden kann.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Jeep hacken kinderleicht
Türöffnen, Bremsen, Beschleunigen... (22.07.15)
Firma für Bespitzelungs-Software
wurde gehacked (6.07.15)
Wikileaks: NSA bespitzelt auch
die deutsche Regierung (1.07.15)
Wikileaks enthüllt:
Französische Präsidenten abgehört (24.06.15)
"S"PD stimmt für Vorratsdatenspeicherung
Gabriel und Maas setzen sich durch (20.06.15)
Maas hat VDS-Gesetz vermasselt
Mängelrügen von vielen Seiten (10.06.15)
Angriff auf Kaspersky-Lab
Anti-Viren-Firma berichtet über Infektion (10.06.15)
Neues Geheimdienst-Gesetz in Frankreich
Auf dem Weg in den Überwachungsstaat (3.05.15)
NSA/BND: Europäischer Spionage-Skandal
Merkel wußte Bescheid (1.05.15)
BND betrieb Wirtschaftsspionage
als Zulieferer der NSA (23.04.15)
Bespitzelung bis ins Kinderzimmer
BigBrotherAward für die "Daten-Kraken" (17.04.15)
Sammelt die NSA Penis-Fotos?
Ein Interview mit Edward Snowden (7.04.15)
facebook und der Daten-Transfer in die USA
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Justizminister Maas fällt um
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Angriff vermutlich aus den USA (17.02.15)
GCHQ droht Deutschland
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ADAC spielte mit Mobilfunk (30.01.15)
Wikileaks klagt Google an:
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(12.01.15)
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Tochter-Konzern erhielt monatlich
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Angeblicher Zweck: Terrorabwehr (28.10.14)
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wurden bereits verpulvert (18.06.14)
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Julian Assange auf Todesliste (18.02.14)
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wegen NSA-Schnüffelei (3.02.14)
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(29.12.13)
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beim Umgehen von Verschlüsselungen (12.07.13)
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