Berlin (LiZ). Wie zu erwarten haben Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und Bundesatomminister Norbert Röttgen heute drastische Kürzungen im Bereich der Solarenergie verkündet. Dies dient eindeutig den Interessen der vier großen Strom-Konzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, die nach wie vor den deutschen Strommarkt beherrschen.
Selbst in der Tagesschau kommentierte heute der ARD-Energieexperte Jürgen Döschner: "Der Ausbau der Solarenergie wird dramatisch einbrechen. Das nützt weder den Stromkunden, die durch diese Entscheidung kaum auf niedrigere Preise hoffen können. Es hilft auch nicht dem Staat, aus dessen Kassen die Solarförderung ohnehin nicht bezahlt wird, und schon gar nicht dem Klima und der Umwelt. Nein, die einzigen, die von dieser Entscheidung profitieren, sind RWE, E.on, Vattenfall und Co.. Denn deren Großkraftwerke - ob mit Atom, Kohle oder Gas betrieben, verloren mit jeder neuen Solaranlage an Wert, weil das Gesetz über Erneuerbare Energien unter anderem vorschreibt, daß Wind- und Solarstrom Vorrang vor konventionellem Strom haben. Der Wertverfall und damit der Machtverlust der Energieriesen soll aufgehalten werden."
Bislang wurden in Deutschland - bei einem Stand von knapp über 20 Prozent erneuerbare Energien am gesamten Strombedarf - über 350.000 Arbeitsplätze durch diese Branche geschaffen. Dies ist weit mehr als die gesamte Atom-Branche in ihren besten Zeiten beschäftigte. Heute protestierten Beschäftigte der Solar-Branche an vielen Standorten mit Aktionen wie symblischen Betriebsniederlegungen gegen den von Rösler und Röttgen verkündeten Beschluß. Unter dem Motto "Kein Kahlschlag bei der Solarförderung - die Energie-Wende gelingt nur mit mehr Solarstrom!" beteiligen sich bundesweit über 50 Solar-Unternehmen wie Bosch Solar Energy, SolarWorld, First Solar, SMA Solar, IBC Solar, Masdar PV, maxx solar & energie, PV Silicon, Sunways, Abakus Solar, Wagner & Co Solartechnik, Frankensolar und die Centrosolar Sonnenstromfabrik.
Die Beschäftigten in der deutschen Solar-Branche fürchten wegen der massiven Kürzungen um ihre Arbeitsplätze. "Was hier geplant ist, ist ein Solar-Ausstiegsgesetz. Dem Solarstrom soll der Stecker gezogen werden," sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft, Carsten Körnig. "Die Existenz von vielen zehntausend Arbeitsplätzen in einer der wichtigsten Zukunftsbranchen steht auf dem Spiel." Im vergangenen Jahr konnte die Photovoltaik gemessen an der Leistung in Deutschland verdoppelt werden. Gleichzeitig haben sich seit 2006 die Preise halbiert.
Obwohl die Solarstromförderung in den vergangenen drei Jahren bereits halbiert wurde, setzen die Minister Rösler und Röttgen zu beispiellosen Restriktionen an. Ausgerechnet der neoliberale Philipp Rösler steuerte planwirtschaftliche Vorgaben bei, nach denen der Ausbau der Solarenergie in Deutschland im Rahmen eines Korridors von zunächst 2,5 bis 3,5 Gigawatt beschränkt werden soll. Ab 2014 soll dieser Korridor sogar jährlich um 400 Megawatt gedrosselt werden. Widersinniger Weise sollen um so weniger Photovoltaik-Anlagen gebaut werden, je preisgünstiger sie werden.
In einem ersten Schritt sollen die Vergütungen drastisch gesenkt werden. Die Kürzungen gehen zum Teil deutlich über die 30-Prozent-Kürzung hinaus, die in den Mainstream-Medien in den vergangenen Wochen als die extremste Variante der Planungen vorgestellt wurde. Photovoltaik-Anlagen zwischen 10 und 30 kW sollen zukünftig nur noch die Vergütung wie Großanlagen bis 1000 kW erhalten. Hinzu kommt, daß die Zahl der vergüteten Kilowattstunden prozentual begrenzt wird. Besonders gute Anlagen werden also stärker behindert. Bei Anlagen bis 10 kW werden künftig nur noch 85 Prozent des erzeugten Solarstroms vergütet, bei allen übrigen nur noch 90 Prozent. Außerdem soll ab Mai eine monatliche Absenkung um 0,15 Cent pro Kilowattstunde hinzukommen. Alles in allem laufen diese Maßnahmen auf eine Kürzung um nicht selten mehr als 40 Prozent hinaus. Zusammen mit der bereits zu Jahresbeginn erfolgten Absenkung kommen so in diesem Jahr Kürzungen um bis zu 50 Prozent zusammen.
Während in China die Solar-Branche mit großzügigen Subventionen unterstützt wird, fallen die nicht nur in Europa, sondern auch in den USA wirtschaftspolitisch behinderten und gebremsten Solar-Unternehmen in der Konkurrenz zurück. Wie in Deutschland im Dezember im Falle des Berliner Solar-Unternehmens Solon, gehen in der Folge immer mehr Firmen der Solar-Branche pleite.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bewertet den heute von Rösler und Röttgen verkündeten Beschluß als "gewaltigen Rückschritt für die Energie-Wende in Deutschland". "Das ist ein Riesen-Fiasko für eine zukunftsfähige Energieversorgung. Mit der Photovoltaik droht ein wesentlicher Eckpfeiler der Energie-Wende abgewürgt zu werden. Gleichzeitig sind Rösler und Röttgen dafür verantwortlich, daß in Sachen Energieeffizienz und Senkung des Energieverbrauchs nichts voran geht. So scheitert die Energie-Wende," erklärte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Außerdem weist der BUND darauf hin, daß die deutsche Positionierung zur EU-Effizienzrichtlinie die von EU-Kommissar Günther Oettinger vorgeschlagenen verbindlichen Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs zu Fall zu bringen droht. Sie setze auf "windelweiche" und auf EU-Ebene kaum durchsetzbare Ziele. "Am Ende würde das eine EU-Richtlinie ohne verbindliche Ziele und ohne verbindliche Maßnahmen bedeuten," so Weiger.
Die weitere Absenkung der Förderung der Photovoltaik per Verordnung und deren Vergabe nur noch für einen Teil der Stromproduktion sei außerdem ein Systembruch im Erneuerbare-Energien-Gesetz und bedeute für viele Investoren das Aus, so der BUND in seiner heutigen Stellungnahme. Die Photovoltaik habe eine wichtige Rolle gespielt, daß es in diesem Winter eine stabile Stromversorgung in Deutschland gegeben habe.
BUND-Vorsitzender Weiger fordert die Abgeordneten des Bundestages und die VertreterInnen der Bundesländer auf, diese Politik nicht mitzutragen. Deutschland benötige dringend den weiteren Ausbau der Photovoltaik und der erneuerbaren Energien insgesamt. Hinzu kommen müssen laut BUND endlich konkrete und verbindliche Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs.
Auch der Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) verurteilt die heute angekündigte Schwächung der EU-Effizienzrichtlinie in scharfer Form. Es sei absehbar, daß die Bundesregierung nun auf Effizienzmaßnahmen aus der Vergangenheit verweise, um in der Zukunft die Hände in den Schoß zu legen. "Darüber kann man nur den Kopf schütteln, vor allem wenn man bedenkt, daß Energieeffizienz eine wichtige Kostenbremse ist," erläutert DNR-Präsident Hubert Weinzierl. "Ausgerechnet die Maßnahme, die Verbrauchern in den nächsten zehn Jahren 14 Milliarden Euro an Energiekosten erspart hätte, wird jetzt abgeschwächt."
Weiterhin deutet alles darauf hin, daß sich Deutschland von dem 1997 vereinbarten EU-Energiesparziel abwendet. Statt den Energieverbrauch bis 2020 wie vereinbart um 20 Prozent gegenüber dem damaligen Stand zu senken, will Deutschland im EU-Ministerrat lediglich für eine Verbesserung der Energieintensität eintreten. Dies würde das EU-Ziel erheblich schwächen. Ein Vergleich: Während Europa die Energieintensität seit 1990 um fast 30 Prozent steigern konnte, stieg der Energieverbrauch in der gleichen Zeit um zehn Prozent.
"Daß die Minister nun davon sprechen, daß erstmals ein verbindliches nationales Ziel festgelegt würde, ist unverschämt," ärgert sich DNR-Präsident Weinzierl. Statt das EU-Ziel von 20 Prozent Energieeinsparung verbindlich festzuschreiben, beziehen Rösler und Röttgen sich dabei auf die deutlich geringere Vorgabe in Artikel 6. Diese war bereits im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission als verbindlich vorgesehen und wird von dem deutschen Vorschlag sogar noch abgeschwächt.
Vor wenigen Jahren noch präsentierte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Vorreiterin" im Klimaschutz. Nun jedoch werden die Minister Rösler und Röttgen mit den angekündigten Kürzungen dafür sorgen, daß Deutschland die vollmundig angekündigten Reduktionsziele nicht wird einhalten können. Wieder einmal stellen sich die Versprechungen von Partei-PolitikerInnen als heiße Luft heraus.
So kommt Jürgen Döschner heute in seinem Tagesschau-Kommentar zu dem Schluß: "Während sich alle Welt Gedanken macht, wie man den CO2-Ausstoß senken kann, wie der Klimawandel gestoppt und auf die gefährliche Atomenergie verzichtet werden kann, während immer mehr Länder mit Neid und Anerkennung auf das deutsche Modell zur Förderung erneuerbarer Energien schauen, machen sich die Minister Philipp Rösler und Norbert Röttgen daran, eben diese Erfolgsgeschichte zu demontieren. Der jetzt vorgestellte rasante und radikale Umbau der Solarförderung ist de facto ein Ausstieg."
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Massive Kürzung bei Photovoltaik
Energie-Wende erfordet realen Atom-Ausstieg (22.02.12)
Stuttgart ergrünt
EWS steigt bei Stuttgarter Stadtwerken ein (19.02.12)
Erneuerbare Energien
haben auch in Frankreich eine Chance (16.02.12)
Trotz Kälte
kein Strommangel in Deutschland (3.02.12)
Energie-Wende in den USA?
90 Prozent für erneuerbare Energie (15.01.12)
Baden-Württemberg bleibt schwarz
Atomenergie unangefochten, Erneuerbare gebremst
(14.01.12)
Stimmungsmache gegen Erneuerbare
im Dienste der "Großen Vier" (13.01.12)
Solon insolvent
Rückschlag für erneuerbare Energien (15.12.11)
Südwest Presse
hängt sich an Stromimport-Lüge an (8.10.11)
Strom-Importe wegen Merkels "Atom-Ausstieg"?
Lügen! Lügen! Lügen! (12.09.11)
Erneuerbare bei über 20 Prozent
Energiewende dennoch gebremst (29.08.11)
Merkels "Atom-Ausstieg"
Täuschungsversuch wie vor 11 Jahren
Wie Kretschmann 2002 einen
"politischen Selbstmord" überlebte (30.05.11)
Atom-Ausstieg teuer?
Im Gegenteil: Ersparnis von jährlich
mehr als 8 Milliarden Euro (10.05.11)
86 Prozent der Deutschen:
Erneuerbare Energien sind wichtig
Wieviel kostet Öko-Strom wirklich? (16.10.10)
Greenpeace deckt auf: Deutsche Kohle-Subvention
mit jährlich 13 Milliarden Euro (4.06.10)
Die Subventionierung
der Atomenergie
Folge 3 der Info-Serie Atomenergie