8.03.2015

Eltern tradieren Unterdrückung
Mädchen werden entmutigt

pink and stupid - Grafik: Samy
Paris (LiZ). Besonders in Deutschland tradieren Eltern nach wie vor die Rollenmuster, die Mädchen in Hinblick auf ihren Wissensdurst auf Gebieten wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik entmutigen. Dies belegt eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Längst ist wissenschaftlich erwiesen, daß Mädchen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) keineswegs weniger begabt sind als Jungen. Daß diese Unterschiede nicht genetisch bedingt sind, sondern aus der gesellschaftlichen Prägung resultieren, zeigt sich auch darin, daß sich in den bildungsstärksten, den asiatischen Ländern kaum noch Lern-Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen feststellen lassen. Allerdings ist in vielen Industrieländern der Abstand zwischen den Geschlechtern (englisch: gender gap) nach wie vor erschreckend groß. Bereits im Schulalter trauen sich Mädchen in den MINT-Fächern deutlich weniger zu als Jungen.

Geschlechterabstand im Selbstvertrauen

Laut der repräsentativen Befragung der OECD in zwölf Industrie-Staaten trauen sich auch in Deutschland nur rund 4 Prozent der Schülerinnen selbst eine Ingenieurs- oder IT-Karriere zu, währen dies bei den Jungen gleichen Alters 14 Prozent sind - ein Geschlechter-Abstand von nahezu 10 Prozent. Deutschland gehört sogar zu den Ländern mit dem größten Geschlechter-Abstand in der OECD bei der Einstellung von 15-jährigen Mädchen und Jungen zur Mathematik. Die OECD-Studie deckt nun zudem auf, daß das geringe Selbstvertrauen von Mädchen mit dem traditionellen Rollenbild der Eltern korreliert.

Erwartungshaltung der Eltern - MINT-Karriere

Stereotype Rollenmuster in den Köpfen der Eltern haben nach wie vor - meist unbewußt - einen großen Einfluß auf das Selbstbild ihrer Kinder. Dies verfestigt den Abstand zwischen den Geschlechtern. Deutsche Eltern "ermutigen" rund 40 Prozent der Jungen zu einem Beruf im Bereich der MINT-Fächer, aber nur 16 Prozent der Mädchen - ein Abstand von 24 Prozent. Laut OECD-Studie ist dies "problematisch", da Berufe im mathematisch-technischen und naturwissenschaftlichen Bereich oft "zu den bestbezahlten Karrieren führen". Immer noch verdienen Männer später "deutlich mehr als Frauen, selbst auf gleichem Bildungsniveau". Die Entscheidungen über den Karriere-Weg werden offenbar viel früher festgelegt als erwartet - sie seien oft schon bei 15-Jährigen vorprogrammiert.

Auch ein vorangegangener PISA-Test förderte zu Tage, daß 15-jährige Jungen selbst bei formal gleichem Bildungsstand deutlich mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten haben. Gefragt, ob sie mathematische Aufgaben schnell begreifen, antworten Jungen wesentlich häufiger mit "Ja" als Mädchen. Die wiederum halten sich viel häufiger für "einfach nicht gut in Mathe", selbst wenn sie im PISA-Test genauso erfolgreich abschneiden wie ihre männlichen Alterskameraden. Deutschland gehört innerhalb der OECD zu den Staaten mit dem größten Abstand zwischen den Geschlechtern (englisch: gender gap).

Aber auch bei einer spezifischen Benachteiligung der Jungen ist die Ungleichheit eklatant: Bei "Schulversagern" sind Jungen überrepräsentiert. Unter den besonders leistungsschwachen SchülerInnen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften finden sich zu 60 Prozent Jungen. Entsprechend höher als das von Mädchen ist auch ihr Risiko, die Schule ohne Abschluß zu verlassen.

Dies könnte damit zusammenhängen, daß in den traditionellen Rollenmustern Aggressivität den Jungen und Folgsamkeit den Mädchen zugeordnet wird. Die vorliegende OECD-Studie gibt Hinweise, die dies bestätigen: Jungen verbringen im OECD-Durchschnitt etwas weniger als 4,5 Stunden in der Woche mit Hausaufgaben. Mädchen investieren über eine Stunde mehr – und können dadurch ihre Ergebnisse im PISA-Test um einige Punkte steigern. Hinzu kommt die innere Einstellung zur Schule: Doppelt so viele Jungen wie Mädchen halten Schule für "reine Zeitverschwendung". Bei den Jungen sind es immerhin 15 Prozent, die ihre Zeit in der Schule ohne die Hoffnung absitzen, etwas Nützliches für ihr Leben zu lernen.

Von falschen Grundannahmen, die in der universitären Pädagogik bis heute nicht hinterfragt werden, geht die OECD-Studie allerdings aus, wenn sie die Frage aufwirft, mit welchen Strategien Mädchen und Jungen zu höheren Leistungen "angespornt" oder "ermuntert" werden könnten. Zu Grunde liegt hierbei das Paradigma, wonach die Motivation von außen durch "Anreize" und ähnliches erzeugt werden müsse. Wissensdurst ist jedoch in jedem Menschen von Natur aus angelegt. Nach wie vor ist das konventionelle Schulsystem - ohne "böse Absicht" aber de facto - darauf ausgerichtet, Kindern die Lust am Lernen abzutrainieren. Die primäre Motivation wird abgetötet. Bis heute ignoriert die universitäre Pädagogik den grundsätzlich entgegengesetzten Ansatz von Schul-Modellen wie dem von Summerhill.

Eine Bestätigung für die angenommene Wirkungsweise der sekundären Motivation - also: zu Lernen, um ein späteres Berufsziel erreichen zu können, ist der zeitliche Verlauf der unterschiedlichen typischen "Schul-Karrieren" von Mädchen und Jungen. Aufgrund der antrainierten "Bravheit" (Hausaufgaben erledigen etc.) haben Mädchen gegenüber den Jungen bis zum Alter von 15 Jahren die Nase vorne. Sie können die abgetötete primäre Motivation in aller Regel durch bessere Folgsamkeit kompensieren. Aus etlichen weiteren Studien geht hervor, daß Mädchen aufgrund ihrer "Bravheit" selbst bei schlechteren Leistungen in der Schule besser benotet werden als Jungen.

Im Alter von 16 bis 29 werden sie dann jedoch von den Männern überholt. Die Motivation zu lernen, ist in Hinblick auf frauentypische Berufe eher gering. Außerdem greift bei Mädchen ab 16 Jahren auch heute noch die Einstellung, "alles im Leben" durch die Heirat eines erfolgreichen Mannes erreichen zu können, um sich. Das "Outfit" wird dabei wichtiger als die "inneren Werte".

Umgekehrt greift bei Jungen ab 16 Jahren die in diesem Alter erwachende Orientierung an langfristig gesetzten Zielen. In diesem Alter wird ihnen in aller Regel klar, daß gesellschaftliches Ansehen, Renomee und auch Erfolg beim weiblichen Geschlecht weitgehend vom zukünftigen Beruf und vom Einkommen abhängen. Diese im Vergleich zu Mädchen des gleichen Alters stärkere sekundäre Motivation ist ausschlaggebend für den ab dem Alter von 16 Jahren wachsenden Vorsprung der Jungen gegenüber den Mädchen bei den schulischen Leistungen und beim Bildungsgrad. Und dieser wachsende Abstand trägt wiederum dazu bei, daß Mädchen ab 16 Jahren immer weniger Selbstvertrauen in den MINT-Fächern haben.

 

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