Stuttgart: 2.500 beim Ostermarsch
"Verantwortung für den Frieden!"
Stuttgart (LiZ). Zum baden-württembergischen Ostermarsch kamen in diesem Jahr 2.500 Menschen nach Stuttgart. Damit setzte sich der seit vier Jahren zu beobachtende Aufwärtstrend fort. Beigetragen hatte hierzu sicherlich auch die jüngste militärische Eskalation in Afghanistan, Syrien und Ost-Europa.
Erst zwei Tage zuvor ließ US-Präsident Donald Trump die mit mehr als 8000 Kilogramm Sprengstoff und elf Tonnen TNT-Äquivalent als größter konventioneller Sprengkörper der US-Streitkräfte geltende Bombe vom Typ GBU-43 auf vermutete unterirdische Stellungen der IS-Terror-Miliz in Afghanistan abwerfen (Siehe unseren Artikel v. 13.04.17). Und am 7. April hatte Trumpf einen Flughafen der syrischen Armee bombardieren lassen, was er als Reaktion auf einen Giftgas-Einsatz zu rechtfertigen versuchte. Höchstwahrscheinlich hatte es sich jedoch dabei um einen Giftgas-Einsatz der Aufständischen gehandelt, der dem syrischen Militär lediglich in die Schuhe geschoben wurde.
Roland Blach von der DFG/VK Baden-Württemberg hob bei der Auftakt-Kundgebung auf der Lautenschlagerstraße kurz vor 12 Uhr einen Wecker in die Höhe, um auf das derzeit extrem hohe Risiko eines Atomkriegs hinzuweisen. Er berief sich dabei auf die sogenannte "Doomsday Clock", die von einer Gruppe von WissenschaftlerInnen regelmäßig in der Zeitschrift 'Bulletin of the Atomic Scientists' veröffentlicht wird. Umstritten ist allerdings die Einschätzung, daß sich seit dem Amtsantritt Trumps das Risiko eines Atomkriegs erhöht habe. Ausgeblendet wird häufig aus parteipolitischen Gründen, daß Trumps Vorgänger, US-Präsident Barack Obama, im Gegensatz zu seinen Ankündigungen, Atomwaffen abzurüsten, im Mai 2010 eine aggressive Modernisierung der US-amerikanischen Atomwaffen in Auftrag gab und hierfür 80 Milliarden US-Dollar bereitstellte (Siehe hierzu unsere Artikel v. 15.05.10 und vom v. 4.11.13).
Auf der Hauptkundgebung auf dem Stuttgarter Schloßplatz spielte zwischendurch die Band 'Los Cholerikos'. Paul Schobel vom der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung brachte die urchristliche Einsicht in den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen Oben und Unten ein, indem er ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium an den Anfang seiner Rede stellte: "Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht mißbrauchen." (Mt 20,25 / Mk 10,42 / Lk 22,25 - und im Jakobus-Brief findet sich die rhetorische Frage: "Sind es nicht die Reichen, die euch unterdrücken?")
Schobel nannte in diesem Zusammenhang die jüngsten Gewalttaten Donald Trumps: Die Bombardierung des Flugplatzes in Syrien und den Abwurf der Bombe in Afghanistan. Auch er wies darauf hin, daß ein US-Präsident jederzeit auf den "roten Knopf" drücken und damit das Leben auf dem gesamten Planeten auslöschen kann: "Manchmal fürchte ich, das Überleben der Menschheit hinge grad mal noch am seidenen Faden einer Befehlsverweigerung."
"Rüstung tötet - auch ohne Krieg!", rief Paul Schobel und erinnerte daran, daß Afrika erneut vor einer verheerenden Hungersnot steht. "Allein im Jemen sind 7 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht. Ganze 2 Milliarden US-Dollar könnten das Massensterben verhindern, mahnt die Welthungerhilfe – bislang vergebens! Ein Klacks gegenüber den 130 Milliarden Euro, mit denen nun allein die Bundeswehr aufgepäppelt wird", so Schobel.
Er frage sich, wie dies in den Köpfen der Mächtigen zusammengehe. Es sei wohl kaum anzunehmen, daß jenen die Daten und Fakten fehlten. Am liebsten würde er ihnen "ein verhungerndes Kind in die Arme legen. Ich will wissen, ob sie diesem Blick standhalten."
"Es darf nicht sein, und wir lassen das nicht zu, daß Kinder verhungern, weil man Milliarden in Rüstung verpulvert. Rüstung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
"Es darf nicht sein, und wir lassen das nicht zu, daß der von uns mühsam erwirtschaftete Reichtum als Schießzeug gebunkert und an die Waffen-Lobby verfüttert wird."
"Es darf nicht sein, und wir dulden nicht länger eine Politik, die tötet und trennt, statt heilt und verbindet."
Zornig und empört sei er, Paul Schobel, daß "man seit Jahrzehnten die Erkenntnisse der Friedensforschung und bewährte Konzepte der Gewaltfreiheit in die Tonne tritt. Daß Friedensarbeit nichts wert ist und ziviler Widerstand nicht eingeübt wird."
Vielleicht war es auch eine Anspielung auf Barack Obama, als Schobel forderte: "Die ehrenamtliche Helferin, die syrischen Kindern Deutsch beibringt, verdient den Friedens-Nobelpreis!" Schobel ging zudem in seiner Rede auf die Rechtsentwicklung in der deutschen Gesellschaft ein: "Nehmt Euch derer an, die von sozialem Abstieg betroffen oder bedroht sind. Sie laufen am meisten Gefahr, den Schalmeienklängen der Rattenfänger von rechts nachzulaufen. Denen aber, die die Ängste schüren, müssen wir das Maul stopfen." Friedenspolitik sei vorrangig Sozialpolitik. "Soziales Unrecht ist der Sprengstoff, mit dem man Kanonen stopft und Raketen befüllt", so Schobel.
Christoph Marischka von der IMI, Tübingen, ergänzte die düstere Rundschau auf die kriegerischen Konflikte weltweit mit Informationen zu den Bürgerkriegen in Somalia und dem Südsudan. Durchgängig zeige die Analyse dieser Konflikte, daß sich die Großmächte in jenen Ländern "auf dem Rücken der Menschen vor Ort" gegenseitig bekämpfen. Dabei spiele auch die deutsche Bundesregierung eine größere Rolle. Marischka kritisierte ein Bekenntnis der deutschen Kriegs-Ministerin Ursula von der Leyen zum Bombardement des syrischen Flugplatzes. Damit habe diese sich offenen für den Bruch des Völkerrechts ausgesprochen.
De facto gebe es aber schon lange ein "Zwei-Klassen-Völkerrecht". Denn auf der einen Seite verbiete dieses den militärischen Eingriff in einen Staat durch andere Staaten. Auf der anderen Seite setzen sich die Großmächte nicht selten einfach darüber hinweg. So hatte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder in erfrischender Offenheit im März 2014 kundgetan, "der Westen" könne Putin im Falle der Krim schlecht den Bruch des Völkerrechts vorwerfen, nachdem die USA - im Verein mit Schröder - 1999 im Kosovo-Krieg ebenfalls das Völkerrecht gebrochen habe.
Vehement wies Marischka auch darauf hin, daß eine deutliche Mehrheit der Deutschen keine Atomwaffen wolle - auch nicht die in Büchel stationierten Atombomben mit "deutscher Teilhabe". Er verurteilte scharf die Äußerungen deutscher WissenschaftlerInnen, die in jüngster Zeit Atomwaffen als "einsetzbar" erklärten. Marischka forderte die Schließung der US-amerikanischer Militär-Zentralen AFRICOM und EUCOM in Stuttgart.
Die schwäbische Waffenschmiede Heckler&Koch werde von der Bundesregierung gedeckt, prangerte Christoph Marischka an. Er nannte auch weitere Todes-Firmen mit Sitz in Baden-Württemberg beim Namen: Diehl und Airbus am Bodensee, und Thales in Ditzingen bei Stuttgart. Zu verurteilen sei zudem die Zusammenarbeit ziviler Universitäten mit dem Militär - auch die von ISE-Einrichtungen, die als Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme einen guten Ruf haben, während ihre dunkle Seite wenig bekannt ist.
Marischka forderte ein Ende der Militarisierung von Forschung und Lehre. Das Militär müsse "raus aus den Schulen". Verhindert werde dies bislang durch die "Komplizenschaft" des baden-württembergischen Kultusministeriums mit der Bundeswehr. Gedeckt wird dies seit 2011 vom pseudo-grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Dieser wurde von Marischka auch direkt angegriffen wegen seinen Äußerungen zu "sicheren Herkunftsländern" - wie etwa Afghanistan, in das auch aus Baden-Württemberg Flüchtlinge abgeschoben werden, während die Bundeswehr dort zugleich Krieg führt.
Als weiterer Redner sprach Konrad Ott von der IG Metall. Der Ludwigsburger zitierte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK), das allein im Jahr 2016 18 Kriege und 402 bewaffnete Konflikte zählte. Über 20 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das bekannte schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI befürchtet derzeit die größte weltweite Aufrüstung seit dem Kalten Krieg.
Ott wies darauf hin, daß die Kriege nicht - wie häufig vorgeschoben - im Auftrag von Menschenrechten und der Demokratie, sondern aus politischen Gründe und aus Profitinteressen geführt würden. Der Beschluß der NATO-Staaten von 2014 - mit Zustimmung der Bundesregierung - ihre Rüstungsausgaben auf mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, bedeutet eine Verdoppelung der Rüstungsausgaben von derzeit offiziellen 37 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf über 70 Milliarden Euro pro Jahr.
Die "Schuldenbremse" spiele bei den Rüstungsausgaben offenbar keine Rolle - "Zugleich verfallen in Deutschland die öffentliche Infrastruktur, Sportstätten, Bahnhöfen und Straßen", so Ott. Die israelische Tageszeitung 'Haaretz' habe bereits am 1. Februar geschrieben, Trump benötige einen "Heiligen Krieg". Es sei falsch, der Trump-Administration vorzuwerfen, sie habe keinen Plan. Furchterregend sei vielmehr, daß sie einen Plan habe. Trump benötige Krieg, um die Widersprüche eines populistischen Wahlkampfs mit gegenläufigen Zielen zu überspielen und gleichzeitig das Militär auf eine historisch nie zuvor erreichte Größenordnung zu verstärken. Im Hintergrund stehen die Profitinteressen der US-amerikanischen Kohle- und Stahlindustrie.
Der "Brexit" werde nach Ansicht Otts einen weiteren Schub der Rüstungsausgaben in den EU-Staaten bewirken. Zur "Revitalisierung der EU" solle als wesentliches Projekt der Ausbau des Militär-Apparates vorangetrieben werden, hierzu gehöre vor allem eine Schnelle Eingreiftruppe zur Interventionsausrichtung der EU. Laut Ott habe bislang Großbritannien dies aus Sorge um die eigene Militärpolitik bisher verhindert.
Die NATO forciere den militärischen Aufmarsch an den Grenzen Rußlands - mit Stationierung von Truppen und Personal in nicht gekannter Dimension. "Und deutsche Truppen marschieren vorne weg," so Ott. Er forderte:
"Schluß mit allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr!"
"Atomwaffen raus aus Deutschland!"
Ott erinnerte an das Wort Willy Brandts, der vor 40 Jahren sagte: "Wenn wir die Probleme der 3. Welt nicht lösen, werden die Probleme zu uns kommen!" Die durch Rüstungs-Kontrolle freiwerdenden Mittel sollten für die Entwicklungspolitik als "Hilfe zu Selbsthilfe" verwendet werden.
1.700 Milliarden US-Dollar wurden allein 2012 weltweit für die Rüstung ausgegeben. Das Geld, das für die Rüstung verpulvert wird, fehle dringend für Entwicklungshilfe. Diese diene auch dazu, um Fluchtursachen zu bekämpfen.
Zugleich fehle das Geld, das für die Rüstung verpulvert wird, für gesellschaftlich wichtige Aufgaben wie Bildung, Gesundheit und Schutz vor Altersarmut. "Rüstung und Sozialabbau sind zwei Seiten ein und derselben Medaille", sagte Ott.
Er prangerte an, daß "Reichtum und Verschuldung ebenfalls zwei Seiten ein und derselben Medaille" sind. Die Bundesrepublik werde jedes Jahr reicher und nicht ärmer. Zugleich gebe es rund zwei Billionen Euro Staatsschulden. Dem steht laut Ott über 10 Billionen Euro privates Geldvermögen gegenüber. Geld sei genug da für eine soziale und solidarische Gesellschaft - "Die Verteilungsfrage ist das Problem."
Zum Schluß ein kleiner Witz am Rande: Die in längst vergangenen Zeiten einmal als links geltende 'Frankfurter Rundschau' veröffentlichte: "Ebenfalls friedlich verlief in Stuttgart ein Ostermarsch, an dem sich laut Polizei allerdings nur 35 Menschen beteiligten."
Immerhin vermerkte der SWR, daß in diesem Jahr wieder mehr Menschen am Ostermarsch teilnahmen als in den Jahren zuvor.
Hier die Zahlen der vergangenen Jahre
2013: 500
2014: 1.100
2015: 1.300
2016: 1.600
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
"Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten"
Beteiligung am Ostermarsch leicht gestiegen (28.03.16)
Stuttgart: 1.600 beim Ostermarsch
"Flucht-Ursache Krieg bekämpfen! -
Kriegs-Einsätze sofort beenden!" (26.03.16)
300.000 auf Friedens-Demo in London
gegen Modernisierung der Atombomben (27.02.16)
Mahnwachen zum 70. Jahrestag
des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
(6.08.15)
3000 auf Ostermarsch in Glasgow
gegen die britische Atombombe (4.04.15)
Wachsende Beteiligung beim Ostermarsch
trotz naßkaltem Wetter (4.04.15)
Starke Resonanz der Ostermärsche
Ukraine-Konflikt macht Angst (19.04.14)
Mehr Menschen beim Ostermarsch
Protest gegen Atombombe, Drohnen und Waffenexporte
(30.03.13)
Zehntausende beim Ostermarsch
Gegen Krieg und Atomwaffen (9.04.12)
Ostermarsch in vielen Städten
Protest gegen Atomenergie und Atombombe (23.04.11)
50 Jahre Ostermarsch
Gegen Atomwaffen und für Abzug aus Afghanistan
(3.04.10)
"Bewegung am Boden"?
Die Friedensbewegung nach dem NATO-Gipfel (5.04.09)
60.000 beim Ostermarsch
Protest gegen fortgesetzte Kriege
und gegen Unterdrückung in Tibet (24.03.08)
Baden-württembergischer Ostermarsch in Stuttgart
"Vernunft muß her statt Militär!" (23.03.08)
Demonstration gegen Bombodrom am Neujahrstag
Bundeswehr will Bombenabwurf üben (1.01.08)
Ostermärsche setzen Zeichen gegen Tornado-Einsatz
(8.04.07)
Zehnausende bei Ostermärschen der Friedensbewegung
(16.04.06)