Gastbeitrag von Rüdiger Rauls
Es hat wieder Tote gegeben in Syrien. Die Medien waren voll davon und die meisten reagierten nach dem alt bekannten Muster: Die Version der syrischen Opposition wurde bevorzugt verbreitet, die der Regierung nur nebenbei erwähnt. Beweise wurden keine geliefert.
Waren nach den ersten Meldungen am Wochenende die Opfer in Hula verursacht worden durch Beschuß vonseiten der syrischen Armee, so sprach die Tagesschau am 29. Mai bereits davon, daß die meisten Opfer aus nächster Nähe getötet worden seien wie bei einer Hinrichtung. Fortan machte man regierungsnahe Milizen verantwortlich. Das heißt aber, daß die Armee nicht in dem Ausmaß an dem Massaker beteiligt gewesen sein kann, wie ursprünglich gemeldet worden war.
Nunmehr berichtete die 'Frankfurter Allgemeine' in ihrer online-Ausgabe am 30. Mai: "Überlebende hätten regierungstreue Schabbiha-Milizen für das Massaker verantwortlich gemacht." Eine weitere Version - veröffentlicht im selben Beitrag - besagt: "Augenzeugen aus der Gegend von Hula berichten, eine Räuberbande aus benachbarten Dörfern mit alawitischer Bevölkerung habe das sunnitische Dorf Hula überfallen, um einen Angriff auf ihre Gemeinden am Vortag zu rächen." Neben der Behauptung der Regierung, daß terroristische Kräfte hinter dem Massaker stecken, existieren damit innerhalb von nur wenigen Tagen mehrere sich widersprechende Versionen des Vorfalls, von denen keiner durch Beweise belegt ist.
Selbst der Leiter der UN-Friedensmission, Hervé Ladsous, spricht von einer unklaren Lage: Es gebe keine klaren Anhaltspunkte dafür, "daß außenstehende Gruppen in das Massaker verwickelt gewesen seien, schloß dies aber auch nicht aus." Dennoch hält "der Westen" an der Verantwortlichkeit der syrischen Regierung fest: "Die Vereinten Nationen machten unterdessen regimetreue Kämpfer für zahlreiche Todesopfer beim Massaker im syrischen Hula verantwortlich.“
('Frankfurter Allgemeine' in ihrer online-Ausgabe am 30. Mai)
Der Verdacht gegen die Armee und dahinter die Regierung Assad kann in der ursprünglichen Form nicht mehr aufrecht erhalten werden. Stattdessen spricht man nun von "regimetreuen Kämpfern", was immer das sein soll und wer immer sie zu solchen erklärt. Der Wahrheitsgehalt der Verlautbarungen der Opposition jedoch wird nicht hinterfragt. Dabei hatte bereits ein UN-Report festgestellt, den die Tageszeitung 'Luxemburger Wort' in ihrer Ausgabe vom 25. Mai erwähnt, daß auch die Opposition sich "schwerer Verbrechen" schuldig mache wie "Erschießungen, Entführungen, Geiselnahmen, Folter". Und am 28. April hatte die renommierte luxemburgische Zeitung unter Verweis auf die 'Washington Post' einen stetig anwachsenden Einfluß islamistischer Extremisten gemeldet.
Ähnlich war das Verhalten der Mainstream-Medien beim Anschlag vom 10. Mai in Damaskus auf ein Gebäude des Geheimdienstes, dem nach unterschiedlichen Quellen 70 bis 100 Menschen zum Opfer fielen. Auch hier wurde zuerst die Version der Opposition verbreitet, daß die Armee hinter dem Anschlag stehe. Das 'Luxemburger Wort' (11. Mai) stellte die kritische Frage: Weshalb sollte die Regierung gerade einen Anschlag auf eine eigene Institution - die Zentrale eines militärischen Geheimdienstes - verüben, auf die sie doch bei der Niederschlagung des Aufstandes dringend angewiesen war? Diese Frage konnte die Opposition nicht beantworten, und die deutschen Mainstream-Medien stellten sie erst gar nicht.
Als diese Version offensichtlich nicht mehr zu halten war, wurde über den Anschlag lange Zeit nicht mehr berichtet, bis man dann etwa eine Woche später Al-Qaida als den Urheber präsentierte. Aber weder wurde die Armee rehabilitiert noch die Falschmeldung der Opposition beim Namen genannt. Noch weniger wurde eine eventuelle Verstrickung der Opposition selbst in die Anschläge thematisiert oder gar untersucht. Es scheint, daß alleine die Beschuldigung der Armee das wirkliche und einzige Interesse dieser Art von Berichterstattung ist und war.
Trotz der häufig sich als falsch erweisenden Meldungen der Opposition stützen sich die westlichen Mainstream-Medien weiterhin fast ausschließlich auf deren Verlautbarungen und Propaganda über die Vorgänge in Syrien Wenn aber die westlichen Mainstream-Medien und Regierungen immer häufiger bei den Anschlägen Al-Qaida ins Spiel bringen, stärken sie damit ungewollt das Ansehen der Armee und der Regierung Assad als Ordnungsfaktor im Kampf gegen Al-Qaida. Denn wenn im Jemen die USA und die Regierung Al-Qaida bekämpfen, wieso sollte das der syrischen Regierung nicht auch erlaubt sein. Und unter diesem Gesichtspunkt stellt das 'Luxemburger Wort' zurecht fest, daß die Terror-Anschläge dem Ansehen der Assad-Regierung nützen (26. Mai)
Aus dem fernen Deutschland ist nicht zu überprüfen, wer die Verursacher der Massaker sind und wie weit und ob überhaupt Al-Qaida in diesen Kämpfen eine Rolle spielt. Zudem ist es naiv und weltfremd, an die Einhaltung der Menschenrechte in einem militärischen Konflikt zu glauben. Nur: Wenn "der Westen" sich immer als Hüter der Menschenrechte aufspielt, muß er sich auch selbst an diesem Maßstab messen lassen. Das führt dann aber zu argumentativen Seiltänzen, in einem militärischen Konflikt der Gegenseite immer die Verletzung der Menschenrechte nachweisen, die eigenen Parteigänger aber von solchen Anschuldigungen frei halten zu müssen.
Deshalb sollte sich der an der Wahrheit interessierte Leser vor zu schnellen Schuldzuweisungen hüten, auch nicht in Richtung der syrischen Opposition. Zu viel wird manipuliert mit den Mitteln der "Berichterstattung". Und da wir es nicht überprüfen können, sollten wir Vernunft walten und uns nicht zu Emotionalisierung hinreißen und mißbrauchen lassen. So fällt an der Berichterstattung der westlichen Mainstream-Medien seit dem Beginn der Waffenruhe auf, daß die UN-Mission von den verschiedenen, am Konflikt beteiligten Kräften sehr unterschiedlich aufgenommen worden war. Sie wurde von der Opposition und ihren Unterstützern außerhalb Syriens mehr kritisiert als unterstützt und willkommen geheißen. "Verhandlungen mit dem Assad-Regime wurden von großen Teilen der Opposition bereits bei der Vorstellung des Annan-Plans abgelehnt." ('Luxemburger Wort', 30. Mai)
Wie aber soll ein Friedensprozeß eingeleitet werden, wenn eine der Konfliktparteien sich den Verhandlungen widersetzt? Diejenigen, die Annan zur Ausarbeitung des Friedensplans gedrängt hatten, kritisieren ihn nun dafür, daß er alles daran setzt, ihm zum Erfolg zu verhelfen. Die syrische Opposition bezeichnet Annans Treffen mit Assad als "Schlag in unser Gesicht", weil er angesichts der Vorgänge in Hula zu retten versucht, was noch zu retten ist. Die Freie Syrische Armee bezeichnet Assad als Mörder, mit dem sie Gespräche kategorisch ablehnt, blendet dabei aber aus, daß auch von der Hand der Opposition getötet wird. Das 'Luxemburger Wort' berichtete beispielsweise, daß am 29. Mai in Syrien 40 Menschen ums Leben kamen, 22 davon waren Soldaten der Armee. Und nicht zu Unrecht verweisen Annan und das 'Luxemburger Wort' darauf, daß nach Abzug der 300 Beobachter, "der Bürgerkrieg auf das ganze Land übergreifen würde. Massaker wie in Hula wären dann vermutlich an der Tagesordnung." ('Luxemburger Wort', 30. Mai)
Der Druck auf Kofi Annan wächst, die Mission abzubrechen. Selbst das 'Luxemburger Wort', das die Vorgänge in Syrien bisher sehr kritisch begleitet hat, behauptet mittlerweile, "daß Chancen zur erfolgreichen Umsetzung seines Friedensplanes nicht existieren." (30. Mai). Einzig Assad scheint ihn noch zu unterstützen und ein Interesse am Erfolg des Friedensplans zu haben. Gegenüber Annan bekräftigte er seine Entschlossenheit, "sich an die Vorgaben des Friedensplanes zu halten." ('Luxemburger Wort', 30. Mai)
Selbst wenn man Assad Lippenbekenntnisse unterstellt, so scheinen seine Gegner mittlerweile selbst daran schon kein Interesse mehr zu haben, geschweige denn am Erfolg des Friedensplans. Der Verdacht liegt nahe, daß die Opposition und deren Unterstützer der Waffenruhe nur zugestimmt hatten, um die völlige Niederlage zu verhindern. Der Verdacht liegt nahe, daß man Zeit gewinnen wollte, die Opposition neu zu organisieren und mit neuen Waffen, auch panzerbrechenden, auszustatten. Dafür spricht die Meldung, daß westliche Geheimdienste verstärkt den Kontakt zur innersyrischen Opposition aufbauten, weil der Syrische Nationalrat mit Sitz im türkischen Istambul nicht in der Lage sei, die oppositionellen Kräfte zu vereinen und einem einheitlichen Kommando zu unterstellen. (Siehe hierzu insbesondere: 'Luxemburger Wort', 18. Mai)
Jetzt aber scheint der Zeitpunkt für die syrische Opposition gekommen zu sein, an Friedensplan und Waffenruhe nicht mehr interessiert sein zu müssen. Der Vorfall in Hula scheint als willkommener Vorwand genutzt zu werden, beides aufkündigen zu können. Diese Vermutung hatte auch der russische Außenminister Lawrow geäußert. Denn auf die Aufklärung der Vorgänge scheint "der Westen" keinen Wert zu legen. Zweifel an der Ernsthaftigkeit, alle Kräfte für den Erfolg des Friedensprozesses einzusetzen, sind angebracht und waren schon früh aufgekommen. Vermutlich hatte man auch deshalb die Sollstärke der UN-Beobachtertruppe nur sehr schleppend aufgefüllt, die allein ein wirklicher Garant für eine objektive Untersuchung aller Vorfälle hätte sein können.
Die maßgeblichen Kräfte des "Westens" hatten sich mehr um Koordination und Finanzierung von Waffenlieferungen gekümmert als um die Aufstockung der Beobachter-Mission. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß die französische und die US-Regierung seit dem Beginn der Waffenruhe ihre Wirksamkeit immer wieder bezweifelten und weiterhin militärische Interventionen gefordert hatten. Weiterhin wurden Waffen an die Opposition geliefert, was von den USA und den Golf-Emiraten nicht einmal bestritten wurde. All dies sind nachweisbare Tatsachen, die Zweifel berechtigt erscheinen lassen an der Ernsthaftigkeit des Friedenswillens besonders der US-Regierung und der Regime Saudi-Arabiens und der Golf-Emirate.
Am 20. Mai meldete die 'Frankfurter Allgemeine', daß in Jordanien das Manöver 'Eager Lion 2012' unter Einsatz von 12.000 Soldaten aus 19 Nationen an der Grenze zu Syrien stattfindet. Die USA und Verbündete aus Europa und der Region bereiteten sich dabei auf die "Sicherung des chemischen Waffenarsenals in Syrien" vor. Jordanien als südlichem Nachbarland wird eine Schlüsselrolle im Syrien-Konflikt eingeräumt neben dem nördlichen Nachbarn Türkei. So führt Washington laut der 'Frankfurter Allgemeinen' vom 20. Mai bereits Gespräche mit Jordanien "über die dauerhafte Stationierung von kleinen Truppenkontingenten". Sollte Assad fallen und ganze Landstriche unter die Kontrolle der Assad-feindlichen Rebellen oder auch Al-Qaida-Gruppen geraten, dann soll es Aufgabe dieser US-amerikanischen Spezialtruppen sein, die chemischen Waffen unter ihre Kontrolle zu bringen.
Aber schon einmal - im Irakkrieg - war die Angst der Weltöffentlichkeit vor chemischen Waffen das Mittel, hinter dem man die wirklichen Absichten hatte verstecken können. Zuerst einmal aber machen diese Manöver und Truppenstationierungen Druck auf Syrien mit der Drohung einer bevorstehenden Intervention, wenn diese auch von den US-Regierung und vielen europäischen Verbündeten derzeit noch als undurchführbar dargestellt wird. Und sie stärken die Position der Rebellen, deren Interesse an Friedensverhandlungen dadurch an Dringlichkeit verliert.
Im Schatten der Grenzen zur Türkei und Jordanien halten syrische Oppositionsgruppen größere Gebiete unter ihrer Kontrolle. Von hier aus können sie mit Waffen versorgt werden und allem, was sie benötigen, um sich dem Druck der Regierungstruppen erwehren zu können. Vermutlich werden die Truppen Assads im Grenzgebiet vorsichtig operieren, um keinen Vorwand zu bieten, von der Türkei aus oder jetzt auch von Jordanien direkte militärische Unterstützung für die Rebellen zu rechtfertigen. Daß "der Westen" den Flüchtlingslagern eine besondere Bedeutung beimißt für seine Pläne der direkten Invasion, wurde an anderer Stelle bereits erwähnt ('Luxemburger Wort', 21. April).
Unter den Syrern im Grenzgebiet zum Libanon ist es bereits zwischen Anhängern und Gegnern Assads zu Kämpfen und Toten gekommen. Der Schutz, den die Rebellen an den Grenzen zu Jordanien und der Türkei genießen, birgt die Gefahr, daß diese beiden Länder in die innersyrischen Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Damit verließe der Konflikt seine nationale Ebene und würde zu einem regionalen.
Die Kräfte der Opposition - soweit sie aus der Unterstützung durch die Bevölkerung genährt werden - scheinen nach dem Referendum und den Wahlen immer mehr zu schwinden. Die syrische Opposition kann sich offensichtlich nur halten, weil sie von mächtigen Kräften außerhalb Syriens gestützt wird. Dadurch wird sie aber auch immer mehr von diesen Kräften abhängig und verkommt zum Werkzeug für die Durchsetzung derer Interessen.
Bereits am 26. April hatte der Patriarch von Damaskus, der sich als Vertreter der syrischen Christen anlässlich der Heilig-Rock-Tage in Trier aufhielt, in einem Interview mit dem 'Luxemburger Wort' auf diese große Gefahr hingewiesen, die von den fremden Interessen für sein Land und das friedliche Zusammenleben der Religionen in seinem Land ausgehen. Er hatte Europa und die USA aufgerufen, sich aus dem innersyrischen Konflikt herauszuhalten. Die Waffenlieferungen und der Zufluß von Geld an die Opposition schürten nur das Feuer und erschwerten die friedliche Lösung des Konfliktes. Als Beispiel für diesen schädlichen Einfluß des Westens hatte er die Beobachtermission der Arabischen Liga aufgeführt. Dieser Bericht war nach seiner eigenen Kenntnis der Situation im Lande "objektiv und gerecht und er hat Assad ein gutes Zeugnis ausgestellt, deshalb wollte niemand diesen Bericht zur Kenntnis nehmen." ('Luxemburger Wort', 26. April).
Es war nicht Assad, der den Beobachtern den Zutritt zu seinem Land verwehrt hatte. Sie waren abberufen und nicht mehr zurückgeschickt worden. Und so wie der Bericht der Beobachtermission von den westlichen Mainstream-Medien nicht zur Kenntnis genommen worden war, so wurde auch dem Besuch des Vertreters der syrischen Christen in Deutschland wenig Bedeutung beigemessen. Dabei hätte man sich hier aus einer Quelle informieren können, die vermutlich über qualifiziertere und objektivere Kenntnisse verfügt als die unbestätigten Quellen, auf die sich die westlichen Mainstream-Medien ständig stützen. Und obwohl den westlichen Mainstream-Medien das Schicksal der Christen in der arabischen Welt immer sehr am Herzen zu liegen scheint, wenn sie dort verfolgt werden, liegt ihnen scheinbar wenig daran, wenn sich eine andere Sicht auf die Verhältnisse ergibt. "Wir leben in Syrien als Christen und Muslime schon über tausend Jahre zusammen, keiner kann uns Vorschriften machen, wie wir unser Zusammenleben gestalten," sagte der Vertreter der Christen in Syrien, Patriarch Gregorius III. Aber das ist eine Sicht, die im Westen nicht gerne wahrgenommen wird. Der Frieden soll anscheinend in Syrien keine Chance bekommen. Und diese Gefahr kommt zunehmend von außen, nicht mehr von innen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Wir lieben Syrien, aber nicht sein Regime
Gastbeitrag von Hakam Abdel-Hadi (2.04.12)
UN-Sicherheitsrat:
Friedensplan für Syrien (21.03.12)
Arabische Liga suspendiert Syrien
Mehr als ein symbolischer Akt? (12.11.11)
Libyen-Krieg beendet + Demokratisierung
gescheitert + Gaddafi tot + Erdöl okkupiert (20.10.11)
CIA und MI6 arbeiteten
mit Gaddafi-Geheimdienst zusammen (2.09.11)
Libyen-Krieg - "Humanitärer" Schutz
von ZivilistInnen ist Vorwand (26.07.11)
Panzer für die Saudi-Diktatur?
Öl oder Demokratie (2.07.11)
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Waffenausbildung durch Bundespolizei (8.06.11)
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für Gaddafi (23.02.11)
Schein-Wahl in Ägypten
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(14.09.10)
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(19.08.10)
Milliarden im Vergleich
Militär-Ausgaben * Hunger * Umsatzzahlen (31.12.09)
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