Interview mit Professor Ashok Swain (Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Uppsala, Schweden)
von Varia Antares
Vorbemerkung:
Die landesweiten Proteste gegen das verfassungswidrige neue Staatsbürgerschaftsgesetz CAA (Citizenship Amendmend Act) und das nationale Bürgerregister NRC (National Register of Citizens) in Indien dauern an. Das Staatsbürgerschaftsgesetz erleichtert Migrantinnen und Migranten aus Bangladesh, Afghanistan und Pakistan den Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft, außer wenn diese Muslimas oder Muslime sind. Als Folge des nationalen Bürgerregisters verlieren zahlreiche Inderinnen und Inder ihre indische Staatsbürgerschaft, falls sie nicht in der Lage sind, diese durch entsprechende Dokumente nachzuweisen.
Varia Antares: Die Proteste in Indien werden in jüngster Zeit immer größer. Was können Sie dazu sagen?
Ashok Swain: Die Proteste dauern nun schon länger als drei Monate an. Die Menschen protestieren gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz, auch bekannt als CAA, welches Menschen aus Bangladesh betrifft, jedoch Muslimas und Muslime ausschließt. Dies ist das erste Mal, daß Menschen wegen ihrer Religion ausgeschlossen werden. Indien wurde 1947 als säkulärer Staat gegründet. Während Pakistan zu einem muslimischen Staat wurde, blieb Indien unabhängig. Das neue Gesetz ist auf drei Länder begrenzt und es ändert den Charakter der indischen Verfassung komplett. Die Menschen in Indien beginnen, Muslimas und Muslime als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse zu betrachten. Als das Gesetz verabschiedet wurde, begannen augenblicklich Proteste, die von Studierenden, Frauen, Muslimas und Muslimen angeführt wurden. Bis heute schließen sich immer mehr Menschen unterschiedlicher Religionen diesen friedlichen Protesten an.
Inwieweit beeinflussen Mitglieder der Regierungspartei BJP das Verhalten der indischen Bevölkerung gegenüber den Protestierenden?
In Uttar Pradesh, dem größten indischen Bundesstaat, war die Brutalität der Polizei gegenüber den Protestierenden am stärksten. Die Regierung ließ die Protestierenden ohne jegliche Gerichtsverhandlung festnehmen. Diese sollten Geld an das Land bezahlen. Weigerten sie sich, so wurden ihre Fotos auf Postern veröffentlicht, auf denen sie als Verräterinnen und Verräter dargestellt wurden, die aufgrund der Teilnahme am Protest zu einer Geldstrafe verurteilt worden wären. Am 9. März 2020 wurden diese Poster wieder entfernt, nachdem das Hohe Gericht von Uttar Pradesh geurteilt hatte, daß diese Poster illegal waren.
Auch in Bihar und Delhi gab es massive Polizeigewalt, die durch die Regierung initiiert worden war. Die Regierungspartei BJP wies die Leute an, sich gegen Protestierende zu stellen, und bezeichnete diese als Verräterinnen und Verräter. Einige Minister und Führungskräfte der Partei liefen umher, verbreiteten einen Slogan und forderten die Menschen dazu auf, die als "Verräterinnen und Verräter" bezeichneten Protestierenden zu erschießen.
Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund dafür, daß so viele Inderinnen und Inder ihre muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger attackierten und ihre Moscheen anzündeten?
Die Rivalität zwischen Menschen hinduistischer und muslimischer Religion in Indien ist nicht neu. Aber seit Premierminister Narendra Modi im Mai 2014 an die Macht gekommen ist, wurde die religiöse Spaltung des Landes stärker. Modis Partei, die BJP, mobilisiert radikale Hindus. Ursprünglich entstammt diese Ideologie der RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh), zu der Modi gehört. Es handelt sich hierbei um eine kulturelle Organisation, welche zum Ziel hat, Indien in einen hinduistischen Staat zu verwandeln.
Am 24. Februar 2020 besuchte US-Präsident Donald Trump Indien, um den indischen Premierminister Modi zu treffen. Wie äußerte er sich diesem gegenüber bezüglich der umstrittenen Gesetzesänderung und der Proteste, die auch zur Zeit seines Staatsbesuchs in Indien stattfanden?
Präsident Trump ist mit Modi befreundet. Modi gab sich große Mühe, um Trump gefallen. Der US-Präsident verlor bei seinem Besuch in Indien kein Wort über das Staatsbürgerschaftsgesetz, das Bürgerregister oder die Proteste. Er meinte dazu lediglich, dies sei eine interne Angelegenheit Indiens, mit welcher Modi selbst zurechtkäme.
Der UN-Menschenrechtsrat (United Nations Human Rights Council, kurz UNHRC) ging rechtlich gegen das neue Gesetz vor, indem er beantragte, im Fall des Staatsbürgerschaftsgesetzes vor dem Obersten Gericht in Indien als Partei auftreten zu dürfen. Was geschah dann?
Der UN-Menschenrechtsrat wollte in diesem Fall beim Obersten Gericht in Indien als Partei auftreten, weil das Staatsbürgerschaftsgesetz gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, indem muslimische Menschen aufgrund ihrer Religion ausgeschlossen werden. Die indische Regierung kommentierte dies mit der Aussage, daß die UN sich nicht in indische Angelegenheiten einzumischen hätten. Die Entscheidung des Obersten Gerichts, ob die UN als Partei in dem Fall zugelassen werden oder nicht, steht noch aus. In Anbetracht der Tatsache, daß das Oberste Gericht ziemlich nationalistisch ist und in vielen vorigen Fällen zugunsten von Hindus entschieden hat, ist nicht viel von dem Antrag der UN zu erwarten.
Amnesty India hat eine Petition gestartet, um Premierminister Modi aufzufordern, die Polizeitgewalt zu verurteilen, die immer noch gegen friedliche Demonstrierende eingesetzt wird. Auch wird darin gefordert, diejenigen Protestierenden, die unschuldig inhaftiert worden sind, freizulassen. Wie wird Modi voraussichtlich auf diese Petition reagieren?
Die Petition wird ihn nicht interessieren. Er hat in letzter Zeit Maßnahmen gegen Amneysty India und alle vergleichbaren Organisationen ergriffen. Er hat beispielsweise dafür gesorgt, daß ihnen finanzielle Mittel von außerhalb abgeschnitten wurden. Auch ging er juristisch gegen Amnesty India und ihre Mitglieder vor, indem er falsche Anschuldigungen nutzte.
Wie könnte Ihrer Meinung nach eine friedliche Lösung für Indien aussehen?
Das Problem ist, daß die oppositionellen Parteien Indiens die Proteste nicht öffentlich unterstützen, weil sie Angst davor haben, als Unterstützerinnen und Unterstützer des Islams angesehen werden zu können. Die Proteste könnten sogar von Modi dazu genutzt werden, daß er gegenüber seinen hinduistischen Anhängerinnen und Anhängern die Protestierenden als Problem darstellt. Er wird nicht aufhören, muslimische Menschen zu diskriminieren.
Eine unmittelbare Lösung des Problems durch politische oder institutionelle Aktionen erscheint nicht möglich. Stattdessen sehe ich die Chance auf eine Lösung eher bei der Bevölkerung. Normale Menschen, die sich in immer größeren Zahlen den Protesten anschließen, können das Land retten und Indien als das bewahren, was es ursprünglich war: ein säkulares Land. In jedem Fall aber können diese Proteste den Menschen Hoffnung geben, indem sie zeigen, daß unzählige Menschen bereit sind, sich auf friedliche Weise für den Erhalt der indischen Verfassung einzusetzen.
Danke für das Gespräch.
Hinweis auf zwei Petitionen gegen CAA und NRC, die auf den jeweiligen Webseiten unterzeichnet werden können:
Petition von #BerlinForIndia:
http://chng.it/NfQxqDPT9y
Petition von Amnesty India:
www.amnesty.org/en/get-involved/take-action/india-has-rights-to-peaceful-protests
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Religiöse Verfolgung durch CAA und NRC in Indien
Landesweite Proteste (28.02.20)
Boris Johnson wird Tory-Häuptling
und damit in Bälde britischer Premier (23.07.19)
US-Regierung warnt iranisches Regime
vor Blockade der Straße von Hormus (9.08.18)
Kurz bei Merkel zu Besuch
(17.01.18)
Türkische Killer-Kommandos in BRD?
Indizien belasten Erdogan (4.01.18)
Kritik deutscher Rüstungsexporte
GKKE-Bericht (18.12.17)
Ex-Kriegs-Minister Jung erhält
Versorgungs-Posten bei Rheinmetall (9.05.17)
Al-Aziz und Al-Sisi schweigen
zu Trumps Einreise-Stop (1.02.17)
Durchbruch bei Atom-Streit mit Iran
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Iran und USA weisen einträchtig
Gerücht über Explosion in Fordo zurück (28.01.13)
Cyber War gegen Iran
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Info-Serie Atomenergie - Folge 4