Stuttgart (LiZ). 60.000 Demon- strantInnen gingen am Freitag abend gegen das Mega-Projekt "Stuttgart 21" auf die Straße. Die Polizei sprach von 40.000, was immerhin bestätigt, daß es sich um die bislang größte Demonstration handelte. Sie zogen vom Schloßgarten aus, wo rund 300 Bäume gefällt werden sollen, durch die Stuttgarter Innenstadt. AktivistInnen der Umweltschutz-Organisation 'Robin Wood' und der 'Parkschützer' besetzten zwei Bäume.
Die Mainstream-Medien stellen derweil den von Bahn-Chef Rüdiger Grube, Ministerpräsident Stefan Mappus und dem pseudo-grünen Fraktions-Chef im baden-württembergischen Landtag Winfried Kretschmann beworbenen "runden Tisch" in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung. Ein erstes Treffen sei für Freitag, 10. September, vorgesehen. Das Werben von Kretschmann sowie dem pseudo-grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer um eine Teilnahme am "runden Tisch" löst unter den DemonstrantInnen immer tiefere Verbitterung aus. Viele Menschen auf der Straße äußern sich enttäuscht über den offensichtlichen Versuch, den Widerstand zu spalten. Sie fragen sich, worüber dort verhandelt werden soll, wenn weder der Abriß noch die laufende Vergabe der Bauaufträge gestoppt werden.
Gerhard Pfeifer vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) erklärt nüchtern: "Runde Tische sind immer da, um Kompromisse auszuhandeln." Eine Demo-Teilnehmerin meint dazu sarkastisch: "Vielleicht wollen sie uns anbieten, ein Modell des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf den Monte Scherbelino zu stellen." Für die Nicht-StuttgarterInnen sei erklärt, daß der Birkenkopf, mit 511 Metern der absolute Gipfel im Stadtgebiet, im Volksmund "Monte Scherbelino" heißt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs der Berg um rund 40 Meter, da dort über 15.000.000 Kubikmeter Trümmerschutt zerstörter Stuttgarter Häuser abgeladen wurden.
Auf einem der besetzten Bäume wurden derweil ein "Widerstands-Baumhaus" errichtet. Anlaß für die Aktion waren Probebohrungen am ehemaligen Zentralen Omnibusbahnhof in der Nähe des Parks. Dies seien vorbereitende Maßnahmen für die Absenkung des Grundwasserspiegels im Zuge der Bauarbeiten am geplanten unterirdischen Bahnhof.
Die "schwarz-rot-gelben" Reihen der expliziten ProjektbefürworterInnen zeigen die ersten Auflösungeserscheinungen: Der "S"PD-Landesvorsitzende Nils Schmid stellte heute erstmals Überlegungen über einen "zeitlich begrenzten Abrißstop" an. Selbst im Stuttgarter Rathaus gewann diese Idee Zustimmung. Neben "schwarzen" Kultur- und Bildungsbürgermeisterin Susanne Eisenmann sprach sich auch Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (ebenfalls "C"DU) dafür aus.
Skeptische Beobachter aus den oberen Konzernetagen rechnen jedoch mittlerweile eher damit, daß "Stuttgart 21" von den ausufernden Kosten gestoppt wird als von der beratungsresistenten Polititkaste. Das Prestige-Projekt von "Schwarz-Rot-Gelb" soll nach unabhängigen Schätzungen bis zu elf Milliarden Euro kosten. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, daß sich weitere Kosten in Höhe von 865 Millionen Euro für Baden-Württemberg abzeichnen. Sachkundige JuristInnen kommen daher zum Ergebnis, daß bei derart hohen Kostensteigerungen ein Stop sogar möglich sei, ohne daß Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können.
Bei einer Meinungsumfrage sprachen sich dieser Tage 51 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg gegen "Stuttgart 21" aus. Laut Forsa lehnt in Stuttgart sogar eine Zweidrittel-Mehrheit das Mega-Projekt ab.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Forsa-Umfrage: Absolute Mehrheit gegen Stuttgart 21
Pseudo-Grüne versuchen Widerstand zu spalten
865 Millionen Euro neue Kosten für Ba-Wü (2.09.10)
Stuttgart 21 - 40.000 protestieren
Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert (27.08.10)
Stuttgart 21 - Abriß begonnen
Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)
30.000 protestieren:
"Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)
Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)
21.000 bei Menschenkette
gegen Stuttgart 21 (14.08.10)
Studie des Umweltbundesamtes
Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)
Immer mehr Menschen protestieren
16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)
Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)
Protestival der Parkschützer
Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)
'stern' veröffentlicht geheime Studie
zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen
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