Paris (LiZ). Wie kaum anders zu erwarten erhält das französische AKW Fessenheim die vom Betreiber EdF gewünschte Unbedenklichkeitsbescheinigung ("Persilschein") und damit eine Verlängerung der Betriebsgeneh- migung. Das älteste französische Atomkraftwerk ist durch eine Vielzahl alljährlich auftretender "Pannen" und eine Reihe eklatanter Mängel bekannt.
Die von der französischen Atom-Aufsicht ASN genehmigte Laufzeitverlängerung ist mit der Auflage verbunden, die Betonbodenplatte des AKW zu verstärken. Außerdem behält sich die französische Regierung je nach Ergebnis eines sogenannten Stress-Tests vor, die Restlaufzeit im November dieses Jahres auf fünf oder zehn Jahre festzusetzen. Angeblich soll bei diesem "Stress-Test" auch geprüft werden, ob das AKW einer doppelten Belastung bei einem Erdbeben und zugleich brechendem Damm des Rheinseitenkanals standhalten könne. Geprüft werden soll allerdings lediglich nach Aktenlage - wie auch bei dem in Deutschland in den vergangenen Monaten inszenierten "Stress-Test".
Physikalische Modell-Versuche wie sie die ETH Zürich vorgenommen hatte, sind nicht vorgesehen. In der Schweiz hatte eine solche Untersuchung der ETH vor wenigen Tagen zum Abschalten des AKW Mühleberg geführt. Die Untersuchung war zum Ergebnis gekommen, daß eine Verstopfung des AKW-Kühlsystems durch Treibgut möglich ist und zu einer gefährlichen Situation führen kann. Eine solche Situation war Anfang Dezember 2009 im französischen AKW Cruas aufgetreten. Wegen vergleichbarer baulicher Merkmale sind sowohl das Schweizer AKW Mühleberg als auch das AKW Fessenheim von solchen Verstopfungen des Kühlsystems durch Treibgut bedroht.
Der französische "Pannenmeiler", der nur 24 Kilometer vom Stadtzentrum Freiburgs entfernt ist, hatte zuletzt Mitte Juni erneut für überregionale Aufmerksamkeit gesorgt. Eine Studie im Auftrag der regionalen Überwachungskommission und des Regionalrates in Colmar stellte fest, daß das 1977 in Betrieb gegangene Atomkraftwerk nicht ausreichend gegen die Folgen eines Dammbruchs des Rheinseitenkanals gesichert ist. Diese Studie bestätigte eines der von der Umwelt- und der Anti-Atom-Bewegung dies- und jenseits des Rheins seit Jahren vorgebrachten Argumente.
Nach dem Super-GAU von Fukushima ist auch in Frankreich der Ruf nach einem Atom-Ausstieg lauter geworden. Laut Meinungsumfragen sprechen sich mittlerweile über 66 Prozent der FranzösInnen gegen Atomenergie aus. Noch vor über einem halben Jahr wurde von den deutschen Mainstream-Medien immer wieder suggeriert, in Frankreich sei eine Mehrheit der Bevölkerung für Atomenergie. Auch eine Mehrheit der Deutschen saß diesem Vorurteil gegen die NachbarInnen im Westen auf. Bereits vor der Reaktor-Katastrophe von Fukushima ergab beispielsweise das Euro-Barometer 2006/2007 für Frankreich mit 56:33 Prozent eine deutliche Mehrheit gegen Atomenergie. Diese Mehrheit war zum damaligen Zeitpunkt sogar größer als in Deutschland (51:37). Zu einem ähnlichen Ergebnis war eine Umfrage im Auftrag der französischen Gewerkschaften im Jahr 2002 gelangt: Damals sprachen sich 61 Prozent gegen Atomenergie aus.
Die Reaktoren des AKW Fessenheim gingen im April und Oktober 1977 in Betrieb und sind lediglich für eine Laufzeit von 25 Jahren ausgelegt. Sie hätten wegen der Versprödung der Reaktordruckbehälter spätestens im Jahr 2002 stillgelegt werden müssen. Auch die Statik des Gebäudes und die Festigkeit der schon einmal nachträglich verstärkten Betonbodenplatte ist nach offiziellen Angaben lediglich für Erdbeben einer Stärke von maximal 6,7 auf der Richterskala ausgelegt. Hierbei ist allerdings offen, welche zusätzlichen Annahmen über die Entfernung des Epizentrum eines solchen Erdbebens Einfluß auf die Maßgaben etwa für die Stärke des Betonfundaments hatten. Bekanntlich wurde im Jahr 1356 die nahegelegene Schweizer Stadt Basel bei einem Erdbeben, das auf eine Stärke von 6,5 auf der Richterskala geschätzt wird, weitgehend zerstört.
Neben der Gefährdung durch Treibgut und durch Erdbeben sind eine Reihe weiterer Probleme bekannt. Die Betonhülle des Containments besteht aus nur 80 Zentimeter dickem Spannbeton und könnte dem gezielten Absturz eines Cessna-Kleinflugzeugs nicht standhalten, geschweige denn dem eines gekaperten Linienflugzeugs nach Vorbild des 11. September 2001.
Bereits im Herbst 1979 wurden durch die Aussagen eines vormaliger Sicherheits-Ingenieurs Risse an den Stutzen des Reaktordruckbehälters von Block I bekannt. In den Jahren 1991 und 1996 kam zu Tage, daß sich in den Deckeln der Reaktordruckbehälter Risse gebildet hatten. Die jeweils 54 Tonnen schweren Deckel wurden ausgetauscht. Doch die Reaktordruckbehälter können nicht ausgetauscht werden.
In jedem Atomkraftwerk wird jährlich pro Megawatt elektrischer Leistung die Radioaktivität einer Hiroshima-Bombe erzeugt. Umgerechnet auf die beiden Reaktorblöcke des AKW Fessenheim bedeutet dies, daß dort in jedem Betriebsjahr die kurz- und langlebige Radioaktivität von 1.760 Hiroshima-Bomben entsteht. Die Freisetzung auch nur eines geringen Teils dieser Radioaktivität hätte verheerende Folgen für alles Leben in der gesamten Region. Als Folge einer Reaktorkatastrophe kann bei der meist vorherrschenden Windrichtung ein Territorium bis in den Raum Nürnberg-Würzburg für Jahrzehnte unbewohnbar werden.
Seit vielen Jahren setzen sich Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung im Dreyeckland, der Region im Dreiländereck Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz, für die Stilllegung des AKW Fessenheim ein. Es handelt sich um das älteste Atomkraftwerk Frankreichs. Doch bereits 1979 hat der Super-Gau im US-amerikanischen AKW Harrisburg (offiziell: Three Mile Island) bewiesen, daß auch ein nur wenige Monate altes AKW nicht sicher ist.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Menschenkette am AKW Fessenheim
Für sofortige Stilllegung (27.06.11)
Anne Lauvergeon, eine der härtesten
Atomkraft-Kämpferinnen tritt ab (18.06.11)
Studie: AKW Fessenheim nicht ausreichend
gegen Dammbruch gesichert (14.06.11)
"Panne" im AKW Fessenheim
fünf Tage verspätet bekanntgegeben
Radioaktivität ausgetreten (7.04.11)
Sarkozy und die Atombombe
für Gaddafi (23.02.11)
Reihe schwerer Sicherheitsmängel
in französischen AKW (22.02.11)
Erhöhtes Risiko im AKW Fessenheim
20 Prozent Meßungenauigkeit bei Druck-Sensor (4.02.11)
Schrott-AKW Tricastin
ASN verlängert Laufzeit um 10 Jahre (6.12.10)
AKW Flamanville
Dach eingestürzt (5.12.10)
AKW Fessenheim: Kurzschluß
Automatische Abschaltung von Block I (20.10.10)
Radioaktives Cäsium im Kanal
beim AKW Fessenheim (14.10.10)
Radioaktive Wolke aus AKW Fessenheim
erst nach über einem Monat publik (26.09.10)
Atomkriegs-Gefahr wird unterschätzt"
IPPNW kämpft für Abrüstung (27.08.10)
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"..., weil sie das Leben nicht lieben" Erich Fromm (6.08.10)
Rheinerwärmung durch AKW Fessenheim
Gastbeitrag von Axel Mayer (16.07.10)
Brand im AKW Fessenheim
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(15.07.10)
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kostet 600 Millionen Euro pro Reaktor
AKW Fessenheim bis 2017? (27.06.10)
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Folge 11 der Info-Serie Atomenergie