Prism ist nichts Neues
Whistleblower macht latenten Skandal publik
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Washington (LiZ). Wer sich informierte, konnte schon seit vielen Jahren wissen, daß US-Konzerne wie Microsoft, Google, YouTube, Yahoo, Facebook, PalTalk, Skype, AOL und Apple als ausgelagerte Agenturen der US-Geheimdienste fungieren: Über Hintertüren in den geheimen Quellcodes ihrer Programme, Vorratsspeicherung gigantischer Mengen von Kommunikationsdaten auf ihren Servern ohne irgendwelche technische Notwendigkeit bis hin zu aktiver Beihilfe bei der Zensur in offenen Diktaturen. Nun deckte ein Whistleblower auf, wie das im Einzelnen funktioniert - und Mainstream-Medien wie 'Guardian' oder 'Washington Post' geben sich schockiert.
Im Gegensatz zu den Mainstream-Medien muß zudem hervorgehoben werden, daß es keinesfalls um die Alternative geht, die allenthalben als Begründung herangezogen wird: Vorgeblich müsse zwischen dem Sicherheitsbedürfnis im "Krieg gegen den Terror" und den bürgerlichen Grundrechten abgewogen werden. Doch der "Krieg gegen den Terror" ist nur vorgeschoben. Die schleichende Erosion der demokratischen Freiheitsrechte, die dem Kapitalismus in den vergangenen beiden Jahrhunderten abgerungen werden konnten, ist schon seit weitaus mehr als zwölf Jahren zu beobachten. Der Sozialphilosoph Erich Fromm hat schon vor mehr als 50 Jahren die Tendenz der westlichen Gesellschaften analysiert, die Menschen zu "gut genährten und gut gepflegten Automaten" umzuformen, wodurch sie ihre "Individualität, Unabhängigkeit und Humanität" verlieren. Zugleich stellte er um 1960 fest, daß "selbst im reichsten Land der Welt, in den USA, etwa ein Fünftel der Bevölkerung an dem »guten Leben« der Mehrzahl keinen Anteil hat" und "den materiellen Lebensstandard nicht erreicht hat, der die Grundlage für eine menschliche Existenz ist."
In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich die Krise des Kapitalismus in immer schnellerem Tempo verschärft und der Verteilungskampf um den gesamtgesellschaftlichen "Kuchen" wird zunehmend rücksichtsloser. Die verheißene Perspektive "Wohlstand für Alle" (Ludwig Erhard) aus der Zeit des "Wirtschaftswunders" ist längst obsolet geworden. Und so darf es nicht verwundern, wenn der "militärisch-industrielle Komplex" - eine Wortschöpfung des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower aus dem Jahr 1961 - immer mehr Anstrengungen unternimmt, um die Bevölkerung zu kontrollieren und zu überwachen. Partei-PolitikerInnen gleich welcher Couleur stellen sich dem nicht etwa in den Weg, sondern wetteifern - sobald sie an die Schalthebel gelangen - darin, den Mächtigen zu Diensten zu sein und den Überwachungsstaat zu perfektionieren. Wir berichteten über solche Tendenzen unter "Rot-Grün" bereits vor über zehn Jahren (siehe unsere Artikel der Jahre 2001 bis 2004).
Der im Wahlkampf des Jahres 2008 geradezu als neuer Messias gepushte Barack Obama (siehe unseren Artikel v. 9.10.08) erwies sich als mindestens ebenso versierter Blender wie die deutschen Politiker Gerhard Schröder und Joseph Fischer: Noch am 3. August 2007 stimmte der damalige Senator Obama gegen den 'Protect America Act', vor dem damals viele BürgerrechtlerInnen warnten. US-Präsident George W. Bush hatte dieses "Sicherheitsgesetz" ganz offen als "dringend notwendige Modernisierung" der Geheimdienstarbeit gepriesen. Der 'Protect America Act' passierte auch den US-Kongress und ermöglichte seitdem genau das, worüber sich nun 'Guardian' und 'Washington Post' schockiert zeigen. Noch Ende 2007 schloß der Militärgeheimdienst NSA - wie jetzt die von dem Whistleblower aufgedeckten Dokumente zeigen - mit dem US-Konzern Microsoft eine Überwachungspartnerschaft. Doch erst in der Amtszeit Barack Obamas nahm ein Großteil des Überwachungsprogramms 'Prism' Gestalt an. Der direkte Zugriff der US-Geheimdienste wie CIA, NSA, DIA und etlicher weiterer auf die Server und Daten von Microsoft, Google, Yahoo, Facebook, PalTalk, YouTube, Skype, AOL und Apple wurde damit - wenn auch vermutlich nicht erst ermöglicht, so doch - erheblich erleichtert. Und mit einer Gesetzeserweiterung des 'Foreign Intelligence and Surveillance Act' im Jahr 2008 erlangten die Unternehmen eine Immunität gegen eventuelle Klagen von Betroffenen.
Die jetzt veröffentlichten geheimen Dokumenten offenbaren, daß 'Prism' den Geheimdiensten weitaus mehr Zugriffsmöglichkeiten verschafft als 'Echelon': Neben dem Zugang zu eMails können nun auch Videos, Fotos, Text- und Videochats, gespeicherte und versendete Daten sowie Logins abgesaugt werden. Wenn der britische 'Guardian' nun allerdings als Sensation vermeldet, daß der US-Geheimdienst NSA heimlich Telefondaten von Millionen US-Bürgern sammelt, ist dies wohl eher der Unkenntnis der britischen JournalistInnen geschuldet. Nach dem Wortlaut des 'Protect America Act' ist zwar nur eine Überwachung von Nicht-US-BürgerInnen zulässig. Doch dies kann leicht umgangen werden, denn die Kriterien, nach denen Gerichte eine vorgesehene Überwachung prüfen sollen, sind äußerst schwammig. Offenbar haben US-Gerichte die Überwachungs-Gesuche der US-Geheimdienste ebenso wie am Fließband abgefertigt wie etwa deutsche Gerichte seit vielen Jahren die zu genehmigenden "Lauschangriffe". Und im übrigen zeigen die veröffentlichen Geheim-Dokumente, daß AgentInnen des NSA und auch Regierungsmitglieder etwa bei Anhörungen des Kongresses über das Ausmaß der Überwachung in den USA regelmäßig lügen.
Benjamin Franklin, der geniale Erfinder der zum Kreis der Gründer der USA gehörte, sagte einmal: "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety." ("Jene, die bereit sind, grundlegende Freiheit aufzugeben, um eine geringe vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.") Was würde Franklin wohl heute angesichts der Tatsache sagen, daß grundlegende Freiheiten für einen nur scheinbaren Zugewinn an Sicherheit preisgegeben wurden.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Big Brother wächst
Bundesrat macht Weg frei für Überwachungs-Staat (3.05.13)
"Anti-Terror-Datei"
Urteil der Bundesverfassungsgerichts
ebnet Weg zu neuer Gestapo (25.04.13)
Big Brother liest mit
Allein im Jahr 2011: 2,9 Millionen eMails und SMS (5.04.13)
Daniel Cohn-Bendit als Lobbyist
für Facebook & Co. (27.03.13)
Datenschutz und Meldegesetz
Verpatzter Schnellschuß im Bundestag (7.07.12)
Dein Handy, der Bewegungsmelder
Mobilfunkanbieter speichern illegal (18.06.12)
Schaar: Mit Staats-Trojaner
wurden Grundrechte verletzt (16.02.12)
Max-Planck-Institut:
Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv (27.01.12)
Sicherheitslücke bei Apple entdeckt
IT-Sicherheitsexperte ausgesperrt (9.11.11)
Trojaner-Skandal weitet sich aus
"Big Brother" kann noch mehr (19.10.11)
0zapftis
CCC analysiert "Bundes-Trojaner"
Verfassungsignoranz und Dilettantismus (8.10.11)
Vorratsdatenspeicherung
Schünemann bestätigt KritikerInnen (6.06.11)
Daten-Skandal
Schnüffel-Software in Apples iPhone (21.04.11)
Big Brother Award 2011 für
Facebook, Apple und Daimler (1.04.11)
Die virtuelle Diskussions-Armee
ist im Anmarsch (22.02.11)
EU-Kommissarin Malmström
kämpft weiter für Internet-Zensur (17.02.11)
EU mit Appetit auf Passagier-Daten
Speicherung angeblich zum Zweck der Terrorabwehr
(3.02.11)
google und Zensur
Deutschland weit vorne (21.04.10)
Bundesverfassungsgericht:
Vorratsdatenspeicherung war verfassungswidrig
(2.03.10)
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Sicherheitsexperte knackt Mobilfunk-Code (29.12.09)
Mielke geistert weiter durch deutsche Telefone
Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch (23.09.09)
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Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
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Barack Obama und das Nadelöhr
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