21.12.2016

EuGH: Vorratsdatenspeicherung
ist illegal

Vorratsdatenspeicherung -  Creative-Commons-Lizenz Nicht-Kommerziell 3.0
Luxemburg (LiZ). Der Europäische Gerichtshof hat heute die Gesetzgebung zur Vorratsdatenspeicherung in den EU-Staaten Großbritannien und Schweden - und damit implizit auch die deutsche - für illegal erklärt.

Schon im April hatte der EuGH die damalige EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für unzulässig befunden und damit gekippt. Nun mußte er im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungs-Ersuchens die Fragen eines britischen und eines schwedischen Gerichts zu den jeweiligen nationalen Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) beantworten. Und mit der heute veröffentlichten Entscheidung ist zugleich unübersehbar, daß auch das von "Schwarz-Rot" im Oktober 2015 verabschiedete deutsche VDS-Gesetz illegal ist.

Vor dem Bundesverfassungsgericht ist derzeit ein Verfahren gegen das deutsche VDS-Gesetz anhängig. Unter anderem haben der Verein Digitalcourage und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der Deutsche JournalistInnen-Verband geklagt. Es ist kaum vorstellbar, daß nach dem heutigen EuGH-Urteil das Bundesverfassungsgericht anders entscheiden wird. DatenschützerInnen, NetzaktivistInnen und VertreterInnen aus der Digitalwirtschaft haben das heutige Urteil einhellig begrüßt und fordern Konsequenzen. Es sei ein großer Erfolg für den Datenschutz und das Grundrecht auf Privatheit.

Die Vorratsspeicherung ist, anders als es dies die Mainstream-Medien mit dem Wortungetüm "anlaßlose Vorratsdatenspeicherung" zu suggerieren versuchen, immer anlaßlos - das ist ja der Sinn der Sache. Denn bei einem Anlaß gäbe es ja auch einen Verdacht, womit der Kreis der Verdächtigen definiert werden könnte. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden alle BürgerInnen - ausnahmslos - zu Verdächtigen.

Witziger Weise beruht das Urteil auf der bewußt zahnlos formulierten Europäischen Verfassung, die nach ihrem Scheitern als Europäische Grundrechtecharta durchgedrückt wurde. Die RichterInnen in Luxemburg interpretierten Artikel 7, 8, 11 und 52(1) dieser Charta im Sinne von Datenschutz und Freiheitsrechten. Beide seinen wichtiger als die Wünsche der Partei-PolitikerInnen nach einer anlaßlosen, also verdachtsunabhängigen Speicherung von Verbindungsdaten aller Bürger eines Landes.

Völlig lächerlich ist, es, wenn die Mainstream-Medien heute schreiben, das Urteil des EuGH lasse "Strafverfolgungsbehörden in der EU verzweifeln". Obwohl in Frankreich bereits 2006 die Vorratsdatenspeicherung in einer besonders scharfen Form eingeführt worden war, konnten die Anschläge in Paris im Januar und im November 2015 mit insgesamt 146 Toten nicht verhindert werden. Dennoch forderten deutsche Partei-PolitikerInnen bereits wenige Tage nach dem Anschlag am 7. Januar die Wieder-Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Nirgendwo in Europa ist auch nur in einem einzigen Fall belegt, daß Vorratsdatenspeicherung zur Verhinderung von Verbrechen beigetragen habe.

Sigmar Gabriel hatte sich noch im Mai 2014 während des Europa-Wahlkampfs eindeutig gegen eine (Wieder-)Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ausgesprochen. Doch schon wenige Monate später vollzog er, ohne irgendwelche neuen Argumente vorbringen zu können, einen Kurswechsel um 180 Grad. Auch der "rote" Justizminister Heiko Maas, der sich bis März 2015 als strikter Gegner der Vorratsdatenspeicherung gab, mußte diesen Kurswechsel ohne Rücksicht auf den Verlust seiner Glaubwürdigkeit übernehmen.

Und im März 2015 log Gabriel bei einem Interview im Deutschlandfunk: Die Vorratsdatenspeicherung habe bei der Aufklärung des Anschlags in Norwegen am 22. Juli 2011 geholfen. Tatsache ist dagegen: Es gab weder im Jahr 2015 noch im Jahr 2011 eine Vorratsdatenspeicherung in Norwegen.

Auf einem "S"PD-Konvent im Juni 2015 in Berlin behauptete Gabriel, das 2007 erstmals verabschiedete (und 2010 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärte) "schwarz-rote" Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung stamme "aus schwarz-gelben Zeiten". Dabei war der frühere Pop-Beauftragte der "S"PD von 2005 bis 2009 Bundes-"Umwelt"-Minister unter Kanzlerin Angela Merkel.

Nicht nur Wirtschafts-Minister und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel ist durch das EuGH-Urteil als Verfassungsfeind enttarnt, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im EuGH-Urteil ist zu lesen, daß eine nationale Regelung, "die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht," nicht mit EU-Recht zu vereinbaren ist.

Merkel und Gabriel haben nun zwei Möglichkeiten: Sie können versuchen, das VDS-Gesetz an die Vorgaben des EuGH anzupassen oder sie können dieses - wenn sie ehrlich wären - ersatzlos abschaffen. Die zweite und aller Erfahrung nach wahrscheinlichere Option ist, abzuwarten, bis das Bundesverfassungsgericht das VDS-Gesetz erneut kassiert - wie zuvor bereits im März 2010 (Siehe unseren Artikel v. 2.03.10).

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Verfassungsbruch: "Schwarz-Rot" beschließt
      Vorratsdatenspeicherung (16.10.15)

      Stop der VDS durch die
      EU-Kommission? (14.09.15)

      "S"PD stimmt für Vorratsdatenspeicherung
      Gabriel und Maas setzen sich durch (20.06.15)

      Maas hat VDS-Gesetz vermasselt
      Mängelrügen von vielen Seiten (10.06.15)

      Justizminister Maas fällt um
      VDS und totalitärer Staat (22.03.15)

      Witz der Woche
      Sigmar Gabriel, Norwegen und die VDS (18.03.15)

      Vorratsdatenspeicherung
      Widerstand gegen Gabriels Pläne (17.03.15)

      BürgerrechtlerInnen sagen Nein zu Forderung
      nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung
      (12.01.15)

      Max-Planck-Institut:
      Vorratsdatenspeicherung völlig ineffektiv (27.01.12)

      Vorratsdatenspeicherung
      Schünemann bestätigt KritikerInnen (6.06.11)

      Bundesverfassungsgericht:
      Vorratsdatenspeicherung war verfassungswidrig (2.03.10)

      Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
      20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)

      30.000 klagen gegen Vorratsdatenspeicherung
      Sensibilität wächst wie zu Zeiten
      des Volkszählungsboykotts 1987 (2.01.08)