Pestizide vernichten Amphibien
Umweltbundesamt fordert Beschränkungen
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Dessau-Roßlau (LiZ). Der Einsatz von Pestiziden in der industrialisierten Landwirtschaft gefährdet das Überleben von Fröschen, Salamandern, Kröten und anderen Amphibien in Deutschland. Dies ist das Ergebnis eines Forschungsvorhabens im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA). Amphibien sind die weltweit am stärksten gefährdeten Wirbeltiere. Hierzulande stehen mehr als die Hälfte aller Amphibien auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten.
Die Ergebnisse der von einem ForscherInnen-Team um Carsten Brühl vom Institut für Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz-Landau im Wissenschaftsfachblatt 'nature' veröffentlichten Studie zeigen, daß ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pestiziden in der industrialisierten Landwirtschaft und dem Verschwinden der Amphibien in weiten Teilen Deutschlands besteht. In den Versuchsreihen führten die getesteten "Pflanzenschutzmittel" schon in anwendungsüblichen Mengen bei Grasfröschen zu Sterblichkeitsraten von 20 bis 100 Prozent. UBA-Präsident Jochen Flasbarth richtete bei der Vorstellung der Studie am heutigen Freitag am Hauptsitz der Bundesbehörde in Dessau-Roßlau die Mahnung an die EU, "den Schutz der Amphibien in der Produktzulassung, aber auch in der landwirtschaftlichen Praxis stärker zu berücksichtigen." ExpertInnen empfehlen drüber hinaus, die Bio-Landwirtschaft auszuweiten, die auf chemische Pestizide verzichtet.
Bislang wurden bei der Zulassung von Pestiziden zwar "Risikobewertungen bei Wildtieren" vorgenommen - dabei wurden jedoch Amphibien nicht berücksichtigt. Die Zulassung erfolgt durch EU-Behörden. Angeblich muß hierbei eine "umfangreiche Untersuchung ihrer Umweltverträglichkeit" stattfinden. Dazu vertritt die EU den hehren Anspruch: "Wenn dabei unvertretbare Risiken für den Naturhaushalt festgestellt werden, sind die Pflanzenschutzmittel nach europäischem Recht nicht zulassungsfähig." Offensichtlich läßt dieses "Wenn" den Schleichweg offen, daß bestimmte "unvertretbare Risiken" eben einfach nicht untersucht und daher auch nicht festgestellt werden.
Auf ihren Wanderungen müssen etliche Amphibien-Arten landwirtschaftliche Flächen etwa auf dem Weg zu ihren Laichgewässern durchqueren. Einige der Arten halten sich auch außerhalb der Wanderungszeiten auf Äckern und Wiesen auf. Dort können sie während oder nach der Ausbringung mit Pestiziden in Kontakt kommen.
Bei den Versuchen wurden zur Simulation des Pestizid-Einsatzes Grasfrösche (Rana temporaria) mit sieben verschiedenen Präparaten übersprüht. Sechs der getesteten Produkte führten zum Tod von 40 bis 100 Prozent der Frösche. Akut toxisch wirkte bei dreien der Produkte bereits der Kontakt mit nur einem Zehntel der zugelassenen Aufwandmengen – er tötete 40 Prozent der Tiere innerhalb von sieben Tagen. Auf welche Mechanismen die beobachtete tödliche Wirkung der Pestizide auf Frösche zurückzuführen ist, konnte allerdings noch nicht geklärt werden. Die Stärke der Wirkung scheint auch von Lösemitteln abzuhängen, die Pestizidprodukten beigemischt werden. Diese wirken entweder selbst toxisch oder begünstigen das Eindringen der Wirkstoffe in den Körper.
Die schleichende Ausrottung der Amphibien ist in Deutschland bereits seit drei Jahrzehnten zu beobachten. Laut der Weltnaturschutzunion (IUCN), die für die Aktualisierung der Roten Listen zuständig ist, sind Amphibien die weltweit am stärksten gefährdeten Wirbeltiere. Es ist eine Schande für die Wissenschaft und insbesondere für die Biologie und deren Teilgebiet Herpetologie, daß Untersuchungen über die Auswirkungen von Pestiziden auf Amphibien über einen solch langen Zeitraum unterblieben.
Weitgehend unbemerkt ist es in Deutschland politische Realität, daß die industrielle Landwirtschaft, die immer größere Gebiete der Ostsee in Todeszonen verwandelt, mit Milliarden Euro aus Steuermitteln subventioniert wird. Kohle etwa wird in Deutschland mit jährlich rund 13 Milliarden Euro ähnlich hoch wie Atomenergie subventioniert - die erneuerbaren Energien dagegen, denen verleumderisch die Verantwortung für Strompreis-Erhöhungen zugeschoben wird, erhalten insgesamt eine erheblich geringere finanzielle Förderung. Auch die Kohle-Subventionierung hat etwas mit der Vernichtung der Amphibien-Arten in Deutschland zu tun. Beispiel Vattenfall. Dem Strom-Konzern ist es erlaubt, für den Abbau des klimaschädlichsten Energieträgers Braunkohle ganze Landschaften in Brandenburg zu zerstören, Menschen aus ihren Dörfern zu vertreiben und dort die nominell unter Schutz stehende Rotbauchunke auszurotten. Solange solche Verbrechen unter Beihilfe staatlicher Institutionen möglich sind, wird sich in Deutschland kaum etwas zum Besseren verändern.
Veröffentlichung der Studie unter 'scientific reports':
http://www.nature.com/srep/2013/130124/srep01135/full/srep01135.html
Presseinformation der Universität Koblenz-Landau:
http://idw-online.de/pages/de/news516411
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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