CIA und Folter
Bericht des US-Kongresses enthält nichts Neues
Washington (LiZ). Wer bisher noch dem Topos von der "westlichen Wertegemeinschaft" Bedeutung beimaß, wird vielleicht nach den Bericht des US-Kongresses über einige vom US-Geheimdienst CIA angeandten Folter-Methoden umdenken. Für alle, die sich jedoch noch an gut belegte Berichte über die Praktiken der CIA aus den vergangenen Jahrzehnten erinnern, enthält dieser Bericht allerdings nichts Neues.
Da weder die angewandten Folter-Methoden wie Waterboarding noch die in aller Welt eingerichteten geheimen CIA-Gefängnisse länger geleugnet werden konnten, war dieser Bericht des US-Kongresses überfällig. Er bot zudem mal wieder einen Anlaß, vermeintliche Unterschiede zwischen der 'republican party' und der 'democratic party' zu inszenieren und Teilen des US-amerikanischen Wahlvolks zu suggerieren, zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem Vorgänger George W. Bush gäbe es tatsächlich Unterschiede.
Zur Entlastung Obamas wird der Kontrast zu Bush jr. betont - angeblich begann das im Bericht des US-Kongresses ausgebreitete Folter-Programm erst nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 und wurde "nach bisherigem Kenntnisstand" zweimal beendet: im Jahr 2006 und im Jahr 2009. Mit der "offiziellen" Stop durch Obama im Jahr 2009 fiele das Ganze also in die Amtszeit von George W. Bush.
Geheime CIA-Gefängnisse sollen in Afghanistan (vier), Thailand, Polen, Litauen und Rumänien angelegt worden sein. An Folter-Methoden wurden nun durch den US-Kongress neben Waterboarding, "rektale Fütterung", Scheinhinrichtung, Unterkühlung, Psycho-Terror durch Manipulationen vor dem Hintergrund verwandtschaftlicher Beziehungen, Schlafentzug sowie extreme Beschallung, Fesselung in schmerzhafter Körperhaltung und Ähnliches festgehalten. Gemeinsam an den aufgezählten Folter-Methoden ist, daß keine oder nur schwer nachweisbare körperliche Symptome zurückbleiben. Diese Art der Folter ist daher für die Opfer im Falle der Freilassung oder nach einer gelungenen Flucht kaum beweisbar. Ähnlich ist es bei der Folter-Methode, bei der durch Zahnbohrer Schmerzen zugefügt werden. Daß diese in dem Bericht nicht auftaucht, heißt keineswegs, daß sie heute nicht mehr zum Arsenal der CIA gehört.
Bei dem, was international über Folter-Methoden bekannt ist, muß die überzogene Reaktion der Mainstream-Medien, in denen von "äußerst brutal" und "tiefstem Mittelalter" die Rede ist, verwundern. Tatsächlich zählen die im über 6.300-seitigen Bericht des US-Kongresses aufgezählten Folter-Methoden bei weitem nicht zu den brutalsten. Und da sich die CIA - selbst bei Drogen-Geschäften und der Zusammenarbeit mit Mafia-Organisationen - im Vergleich zu den Geheimdiensten anderer Staaten kaum Beschränkungen auferlegte, darf davon ausgegangen werden, daß dieser Bericht eher eine Verharmlosung der CIA darstellt.
In der Vergangenheit hatte sich übrigens auch herausgestellt, daß die Verlautbarungen vermeintlich liberaler US-Präsidenten, sie hätten den US-Geheimdienste auferlegt, keine außergerichtlichen Ermordungen mehr vorzunehmen, keinerlei Substanz hatten. Auch aus jenen Amtsperioden wurden Fälle von Ermordungen politisch unliebsamer Gegner - meist außerhalb der US-Staatsgrenzen - durch CIA und andere US-Geheimdienste bekannt.
Schleichend und meist unkritisch wurde in die öffentliche Diskussion die Sprachregelung eingeschleust, die im aktuellen Bericht des US-Kongresses genannten Folter-Methoden hätten sich als "unwirksam" erwiesen. Damit soll scheinbar selbstkritisch suggeriert werden, es seien auf diese Weise keine Erkenntnisse aus den mit der Folter verbundenen Verhören erlangt worden. Dies ist aus zweierlei Gründen tückisch.
Zum einen eröffnet diese "reservatio mentalis" die Tür zu der Position, Folter könne dann gerechtfertigt sein, wenn sie zur Erlangung von Erkenntnissen - also vielleicht gar zur Rettung von Menschenleben - diene. Hier ist an die erfreulich klare Begründung der vorsitzenden Richterin Bärbel Stock im Prozeß gegen den Frankfurter Ex-Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner im sogenannten Fall Gäfgen zu erinnern, warum Folter in einem Rechtsstaat ausgeschlossen ist - oder in der Realität: ausgeschlossen sein sollte: Das unbedingte Verbot jeder Folter ist in der Unantastbarkeit der Menschenwürde verankert. Dies ist - so Richterin Stock - wegen der historischen Erfahrungen ganz bewußt an den Anfang des deutschen Grundgesetzes gestellt worden. Menschen sollen nie mehr wie bei den Nazis nur Träger von Wissen sein, das der Staat aus ihnen herauspressen kann. Die Menschenwürde ist durch die Ewigkeitsklausel im Grundgesetz geschützt. Es geht um die Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaats (Siehe unseren Artikel v. 21.12.04). Wer dies nicht versteht, sollte die Begriffe "Rechtsstaat" oder "Unrechtsstaat" nicht in den Mund nehmen.
Zum anderen suggeriert der Begriff der "Wirksamkeit", es gehe bei Folter tatsächlich um den Gewinn von Erkenntnissen. Dies läßt völlig außer acht, daß unter der Folter jede beliebige Aussage erpreßt werden kann. Zu erinnern ist auch heute noch - oder: wieder - an die prägnante Aussage des Folter-Gegners Friedrich von Spee, der im Jahr 1631 schrieb: "Was suchen wir so mühsam nach Zauberern? Hört auf mich, ihr Richter, ich will euch gleich zeigen, wo sie stecken. Auf, greift Kapuziner, Jesuiten, alle Ordenspersonen und foltert sie, und sie werden gestehen. Leugnen welche, so foltert sie drei-, viermal, sie werden schon bekennen. Bleiben sie noch immer verstockt, dann exorziert, schert ihnen die Haare vom Leib, sie schützen sich, der Teufel macht sie gefühllos. Fahrt nur fort, sie werden sich endlich doch ergeben müssen. Wollt ihr dann noch mehr, so packt Prälaten, Kanoniker, Kirchenlehrer, sie werden gestehen, denn wie sollen auch diese zarten, feinen Herren etwas aushalten können? Wollt ihr immer noch mehr, dann will ich euch selbst foltern lassen und ihr dann mich. Ich werde nicht in Abrede stellen, was ihr gestanden habt. So sind wir schließlich alle Zauberer."
Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich, daß Folter durchaus "wirksam" ist: Denn jede beliebige (Verschwörungs-)Theorie kann durch unter der Folter erpreßte Aussagen "bewiesen" werden. So basiert der offizielle Bericht der US-Regierung über die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 im Wesentlichen auf Folter-Geständnissen angeblicher Al-Qaida-Mitglieder. Und selbst der "Verhörspezialist" der CIA, Steven Kleinman, erklärte zu einem Pentagon-Dokument über sogenannte verschärfte Verhörmethoden ("Enhanced Interrogation Techniques"), das 2002 bei einem Regierungstreffen unter Vorsitz der damaligen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice verteilt worden war, mit solchen Methoden würden "falsche Geständnisse" produziert, "keine Erkenntnisse, sondern Propaganda" erzeugt. Ob allerdings die Folter-Programme - wie dies der Bericht des US-Kongresses nahelegt - erst nach dem 11. September 2001 möglich geworden seien, ist äußerst zweifelhaft. Und ebenso darf bezweifelt werden, daß US-Präsident Barack Obama tatsächlich im Jahr 2009 einen Stop der Folter-Verhöre anordnete.
Die Journalistin Marcy Wheeler wies auf eine weitere praktische Nutzanwendung der Folter hin: Neben gewünschten Aussagen für die eigene Propaganda ermögliche die Folter eine Rekrutierung von Doppel-AgentInnen.
Ben Emmerson, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, fordert, die Verantwortlichen für die nun eingeräumten Folter-Methoden müssten vor Gericht gestellt werden. Auch die Bürgerrechtsorganisationen American Civil Liberties Union und Amnesty International fordern Strafverfolgung. Und die frühere Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International Barbara Lochbihler, erklärte, es seien aber Konsequenzen für Europa notwendig. Schon Berichte des Europaparlaments hätten gezeigt, daß es US-Geheimgefängnisse in Polen, Rumänien und Litauen gegeben habe und Staaten wie Schweden, Italien und Großbritannien bei der Verschleppung von Verdächtigen geholfen hätten. Die Verantwortlichen müssten vor Gericht.
Doch US-Präsident Obama hat bereits entschieden, daß niemand zur Rechenschaft gezogen wird. Nicht einmal die Begründung geht die Öffentlichkeit etwas an - sie wird im US-Justiz-Ministerium unter Verschluß gehalten. Da drängt sich die Frage auf, welche "westlichen Wertegemeinschaft" wohl von Menschen wie Obama, Merkel oder Steinmeier repräsentiert wird. Wer jedoch weiter an der "atlantischen Partnerschaft" festhalten möchte, dem wird in einem ARD-Kommentar der geistige Salto mortale vorgeführt: Das US-amerikanische Geständnis der "Schande" sei eine "Sternstunde für die Demokratie".
Anmerkungen
Siehe auch unseren Artikel:
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