Wirkungsloses Kreislaufwirtschaftsgesetz
Hat Ministerin Svenja Schulze versagt
oder agiert sie erfolgreich?
Berlin (LiZ). Laut der offiziellen Zielsetzung soll das Kreislaufwirtschaftsgesetz die Vernichtung neuwertiger Ware beenden. Als aufgedeckt wurde, daß in Europa jährlich 230 Millionen neuwertige Bekleidungsstücke geschreddert werden, reagierten Millionen Menschen mit Empörung. Diese Empörung mußte im Dienste großer Konzerne wie Amazon eingeschläfert werden. In diesem Sinne war "Umwelt"-Ministerin Svenja Schulze erfolgreich: Zwei Jahre nach der Ankündigung sind die Rechtsverordnungen noch nicht umgesetzt. Dies belegt eine 'Kontraste'-Recherche.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie erweist sich die Problematik der Warenvernichtung als höchst brisant. EinzelhändlerInnen sitzen bei drastisch eingebrochenem Umsatz auf unverkaufter Ware. Nach Schätzungen der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) sind das bis zu 500 Millionen Kleidungsstücke allein aus der Herbst-Winter-Kollektion. Von diesen Zahlen geht auch das Ministerium von Frau Schulze aus.
Ein großer Teil der Ware ist vermutlich an Häfen und Flughäfen eingelagert, zum Teil sogar in noch nicht gelöschten Containern. Selbst zu Zeiten vor der Corona-Pandemie wurden einer Marktanalyse von Euromonitor zufolge jährlich 230 Millionen neuwertige Bekleidungsstücke geschreddert. Angesichts der schieren Mengen werden die Sorgen der EinzelhändlerInnen somit auch zu einem gesellschaftlichen Problem und zu einer Umweltfrage. Müll ist heute eines der größten Umweltprobleme.
Zu dem Kleiderberg kommen auch noch Waren aus den zahlreichen Retouren beim Online-Handel hinzu. Laut einer Schätzung der Universität Bamberg waren das im vergangenen Jahr 315 Millionen Pakete — 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr (2019: 301 Mio. Retourenpakete) — jedes Paket mit jeweils einem oder mehreren Artikeln.
Wie viele davon 2020 vernichtet wurden, ist bislang nicht erfaßt. Um welche Größenordnungen es geht, läßt sich aber schätzen: 2018 wurden nach Angaben der Bamberger ForscherInnen annähernd 20 Millionen Artikel vernichtet. In etwa 40 Prozent der Fälle wäre auch eine Spende zumindest theoretisch möglich gewesen. Aus wirtschaftlichen Gründen habe man sich aber dagegen entschieden — 7,5 Millionen technisch einwandfreie Produkte landeten so auf dem Müll.
Damit diese sogenannten "gebrauchsfertigen Güter" nicht einfach vernichtet werden, hatte Bundes-"Umwelt"-Ministerin Svenja Schulze bereits im Juni 2019 eine Gesetzesänderung angekündigt. Angeblich wollte sie rechtlich gegen die unmittelbare Vernichtung von Retouren oder sonstiger Neuwaren vorgehen. Schulze kündigte an, eine "Obhutspflicht" gesetzlich zu verankern.
Seit Oktober 2020 ist das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft. Eine entsprechende Rechtsverordnung liegt allerdings noch immer nicht vor, so daß dieses Gesetz trotz der vollmundigen Ankündigung von vor zwei Jahren bislang wirkungslos blieb. KritikerInnen sprechen daher mittlerweile von einer "reinen Shownummer" der Ministerin. Das Gesetz ist in der derzeitigen Fassung nicht mehr als eine freundliche Erinnerung an die Hersteller, ihrer Produktverantwortung gerecht zu werden.
Das "Umwelt"-Ministerium mußte nun selbst eingestehen, daß "erzwingbare Rechtspflichten" nicht ohne die ausstehenden Rechtsverordnungen umgesetzt werden können.
Zur Vorbereitung einer solchen Rechtsverordnung sei zunächst die Herstellung von Transparenz bei den Herstellern und Vertreibern notwendig, "damit der konkrete Handlungsbedarf deutlich wird". Zunächst solle deshalb "in einem ersten Schritt" ein Transparenzbericht erstellt werden. Die Eckpunkte für eine entsprechende Transparenzverordnung würden derzeit erarbeitet und dazu Transparenzdialoge mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden geführt.
Manche KritikerInnen übersehen ähnlich gelagerte Fälle der vergangenen Jahre und wollen bei Ministerin Schulze keine Absicht erkennen. Sie vermuten wohlwollend bloße Unfähigkeit. So lautet etwa eine Erklärung, Schulze habe "in endlosen Gesprächen mit Lobbyverbänden" ihr Ziel aus den Augen verloren.
Daß es auch anders geht, zeigt das Beispiel Frankreich. Bereits seit Februar 2020 sind dort HändlerInnen "neuwertiger Non-Food-Produkte, die zum Verkauf bestimmt sind" verpflichtet, ihre unverkauften Waren "wiederzuverwenden oder zu recyceln, insbesondere durch das Spenden von Gütern des Grundbedarfs". Ein generelles Retouren-Vernichtungsverbot gibt es allerdings auch in Frankreich nicht. Das Gesetz bezieht sich nur auf neuwertige Waren. Zudem sind die Strafen mit Beträgen zwischen 3000 und 15.000 Euro verhältnismäßig niedrig.
"Umwelt"-Ministerin Svenja Schulze hat jedoch auch das im Frühjahr 2018 im Koalitionsvertrag einvernehmlich mit der Union vereinbarte Ziel, den Export von Brennelementen aus Deutschland in Atomkraftwerke in Belgien, Frankreich und der Schweiz zu stoppen, so lange verzögert, daß dieses in dieser Legislaturperiode - laut ihrer eigenen Aussage - nicht mehr realisiert werden kann.
Anmerkungen
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