Stuttgart (LiZ). Der Protest gegen das Mega-Projekt "Stuttgart 21" bringt auch nach dem Ende der Sommerferien weiter Zehntau- sende auf die Straßen. Nach der gestrigen Demo, die friedlich verlief, wurden laut Polizei 27 Menschen festgenommen, die eine Straßenkreuzung blockierten. Drei weiteren Festgenommenen warf die Polizei vor, bei den Protesten BeamtInnen verletzt zu haben. Innerhalb der Protest-Bewegung wird derzeit über Aktionsformen diskutiert, da die Gefahr besteht, daß durch die wöchentlichen Aufrufe zu Demos die Resonanz nachlassen könnte.
In manchen Redaktionen der Mainstream-Medien wächst offenbar die Hoffnung, den Protest gegen "Stuttgart 21" in die extremistische Ecke stellen zu können. So schreibt die 'Süddeutsche Zeitung' allein wegen der gestrigen 30 Festnahmen: "Die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird rauher." Und nur wenige Worte diesem einleitenden Satz wird der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus zitiert: "Es gibt einen nicht unerheblichen Teil von Berufsdemonstranten, zum Beispiel von Robin Wood, die der Polizei das Leben sehr schwer machen. Bei ihnen nimmt Aggressivität und Gewaltbereitschaft zu." Die Umweltschutz-Organisation 'Robin Wood' ist für die strikte Einhaltung der Gewaltfreiheit bei ihren Aktionen bekannt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte derweil ihre Unterstützung für ihren Parteifreund Mappus und erklärte, das "Bahnprojekt" sei nicht nur eine regionale Angelegenheit, sondern habe europäische Dimensionen. Merkel lehnt einen Volksentscheid über "Stuttgart 21" ab und rechtfertigt dies damit, daß die kommende Landtagswahl am 27. März 2011 diese Funktion erfüllen werde. Und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, sagte der 'Wirtschaftswoche': "Dort steht nicht nur ein sorgfältig geplantes Investitionsprojekt auf dem Prüfstand, sondern unsere repräsentative Demokratie." Die Unternehmen müßten aus der "schweigenden Mehrheit ausbrechen."
Tatsächlich jedoch ist seit Anfang dieses Monats nach einer vom 'stern' in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts Forsa bekannt: 51 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg sprechen sich gegen "Stuttgart 21" aus und in Stuttgart lehnt sogar eine Zweidrittel-Mehrheit das Mega-Projekt ab.
Nach dem Rücktritt des bisherigen Projekt-Sprechers Wolfgang Drexler von der "S"PD, präsentierten Ministerpräsident Mappus und Bahn-Chef Rüdiger Grube ein neues Führungsduo für "Stuttgart 21": Der ehemalige Stuttgarter Regierungspräsident Udo Andriof und der Leonberger IT-Unternehmer Wolfgang Dietrich sollen den "S"PD-Politiker Wolfgang Drexler ersetzen. Drexler war zurückgetreten, nachdem seine Partei sich für einen Volksentscheid über "Stuttgart 21" ausgesprochen hatte. Ein solcher Volksentscheid wird jedoch nicht stattfinden, da hierzu die Zustimmung von "Schwarz-Gelb" im baden-württembergischen Landtag nötig wäre.
Auffallend ist, daß sich an den Protesten gegen "Stuttgart 21" alle Bevölkerungsschichten beteiligen. Der 'spiegel' nutzte dies sogar, um von einer "bürgerlichen Revolte" zu schreiben und die Protest-Bewegung gegen "Stuttgart 21" in der Titel-Sory "Die Dagegen-Republik" (Ausgabe 35 / 2010) mit dem reaktionären und erfolgreichen Hamburger Volksbegehren gegen eine "schwarz-grüne" Schulreform, die vermeintlich die Sprößlinge gutbürgerlicher Kreise benachteiligt hätte, in einen Topf zu werfen. In diesem Artikel des ehemaligen Nachrichtenmagazins hieß es gar, die Proteste richteten sich "gegen eine Modernisierung des Landes". Unter der Zweit-Überschrift "Volk der Widerborste" stellte der 'spiegel' zudem rhetorisch die Frage, ob es sich um eine "Bremse für den Fortschritt" handele. Argumente oder Fakten kamen in dem Artikel dagegen kaum zur Sprache.
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Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
69.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
Bahn-Chef Grube schließt höhere Kosten
für das Mega-Projekt nicht mehr aus (11.09.10)
Stuttgart 21: Polizei beendet Baumbesetzung
"S"PD plötzlich für Volksentscheid (7.09.10)
Stuttgart 21
Spaltungsversuch der Pseudo-Grünen gescheitert
(6.09.10)
60.000 demonstrieren gegen Stuttgart 21
Baumbesetzung im Schloßgarten (3.09.10)
Forsa-Umfrage: Absolute Mehrheit gegen Stuttgart 21
Pseudo-Grüne versuchen Widerstand zu spalten
865 Millionen Euro neue Kosten für Ba-Wü (2.09.10)
Stuttgart 21 - 40.000 protestieren
Erster Durchbruch am Bauzaun gescheitert (27.08.10)
Stuttgart 21 - Abriß begonnen
Hilft nur noch Bauplatzbesetzung? (25.08.10)
30.000 protestieren:
"Stoppt Stuttgart 21" (21.08.10)
Millionen-Schmiergeld für Stuttgart 21?
'spiegel' berichtet über heimlichen Deal (16.08.10)
21.000 bei Menschenkette
gegen Stuttgart 21 (14.08.10)
Studie des Umweltbundesamtes
Stuttgart 21 provoziert Nadelöhr (12.08.10)
Immer mehr Menschen protestieren
16.000 gegen Stuttgart 21 (7.08.10)
Wachsender Protest gegen "Stuttgart 21"
Tausende legen Verkehr lahm (2.08.10)
Protestival der Parkschützer
Zehntausende gegen "Stuttgart 21" (10.07.10)
'stern' veröffentlicht geheime Studie
zu "Stuttgart 21" / Steilvorlage für GegnerInnen
(8.07.10)
Europäische Nachbarn bauen Eisenbahn aus
In Deutschland wird das Schienennetz abgebaut
(29.04.10)
Verkehrssicherheit
Bahn weit vor Konkurrenten (30.03.10)
'Robin-Wood'-Aktion gegen "Stuttgart 21"
"Stuttgart verscherzt es sich - Zug um Zug" (2.02.10)
Investitionen in Schienenverkehr:
BRD ist ganz hinten in der EU (21.01.10)
Bahn-Privatisierung abgesetzt
Weltwirtschaftskrise rettet Deutsche Bahn (4.03.09)
Aus für Transrapid
Erfolg für Umwelt und Klima (27.03.08)
38.000 Unterschriften
gegen Transrapid München (21.12.07)
Stuttgart 21
Unerwartet starke Beteiligung am Bürgerbegehren
(14.11.07)