17.01.2011

AKW Grafenrheinfeld
Riß im Rohr?

mögliche Todeszone des AKW Grafenrheinfeld München (LiZ). Die Interpretation einer Ultraschall-Messung im 29 Jahre alten bayerischen AKW Grafenrheinfeld löst Kontroversen aus: Deutet die Messung auf einen Riß in einem Leitungsrohr im nuklearen Teil oder nicht? Ist ein Riß von 2,7 Millimeter Länge und unbekannter Tiefe in einem Rohr mit einer Wandstärke von 4 Zentimetern sicherheitsrelevant oder nicht? Der Betreiber E.on kann Verschleiß als Ursache nicht ausschließen.

Im Juni 2010 hatte laut Bericht des Hamburger Magazins 'spiegel' eine Ultraschall-Messung im Verlauf einer Routine-Kontrolle Hinweise auf einen Riß in einer Rohrleitung im radioaktiven Inneren des 29 Jahre alten bayerischen AKW Grafenrheinfeld gegeben. Es handelt sich um ein Rohr, das den Hauptkühlkreislauf mit dem Druckbehälter des Reaktors verbindet. Ein Bruch dieser Rohrleitung könnte zu "schwerem Kühlmittelaustritt", in der Folge zu einem Durchschmelzen des Reaktorkerns und so zu einer Katastrophe führen. Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des Bundesumweltministeriums hätten laut 'spiegel' eine sofortige Abschaltung des AKW gefordert.

E.on, der Betreiber des AKW und der größte der Großen Vier, die den deutschen Strommarkt beherrschen, hielt das Meß-Ergebnis monatelang geheim und stufte es erst am 21. Dezember als "meldepflichtiges Ereignis" ein. Zur selben Zeit meldete E.on das unbequeme Meß-Ergebnis der Landes-Atomaufsicht, dem bayerischen "Umwelt"- Ministerium. Laut 'Süddeutscher Zeitung' heißt es in dem von E.on der bayerische Atomaufsicht vorgelegten Formular zwar, dem Meß-Ergebnis würden "im Wesentlichen nur Toleranzen im Rahmen der Messung zugerechnet", sprich: das unbequeme Ergebnis wird als unerheblich interpretiert. Zugleich ist in dem Formular aber die Rede davon, daß eine "thermische Ermüdung" der Leitung - also ein Verschleiß - nicht auszuschließen sei.

Der österreichische Werkstoffphysiker Professor Wolfgang Kromp erklärte im Juli 2010 gegenüber dem TV-Magazin 'Kontraste', daß die Materialen im Inneren eines Atomkraftwerks wegen der starken Temperaturschwankungen, dem hohen Druck und der daraus resultierenden Materialspannung, sowie der radioaktiven Belastung einem überdurchschnittlichen Verschleiß unterliegen. Kromp verglich die Wirkung einer solchen Belastung mit dem Biegen eines Drahtes, der nach einer gewissen Zahl von Wiederholungen bricht. Besonders gefährlich sind daher laut Kromp Atomkraftwerke mit einem Siedewasser-Reaktor. Um ein solches handelt es sich beim AKW Grafenrheinfeld.

Professor Klaus Buchner, Atomphysiker und Leiter der Programmkommission der ÖDP, erklärt zu den Vorgängen in Bayern: "Grafenrheinfeld gehört zur Bauart der Siedewasser-Reaktoren, deren Schweißnähte grundsätzlich rißanfällig sind. Dieses Problem wird immer wieder auftauchen." Buchner bemängelt weiter die vermeintliche Größenangabe des angeblich 2,7 Millimeter langen Risses: "Ein Riß benötigt immer eine Längen- und eine Tiefenangabe. Die von E.on herausgegebene Zahl ist damit völlig unseriös und die Bürger tappen völlig im Dunkeln über die Gefahren." Die ÖDP fordert daher die sofortige Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld. Auch der Bund Naturschutz (BN) fordert, den Meiler sofort abzuschalten: "Er muß zumindest so lange abgeschaltet bleiben, bis klar ist, welches Problem vorlag", betonte der Energiereferent des BN, Herbert Barthel.

E.on weist Zweifel an dem vom Konzern vorgenommenen Unbedenklichkeits-Zeugnis zurück. "Die Bewertung des Meß-Ergebnisses durch unsere Experten, aber auch durch das Umweltministerium und den TÜV Süd hat eindeutig ergeben, daß es sicherheitstechnisch völlig unbedenklich ist", sagte eine Sprecherin des Konzerns. Und beschwichtigend fügte sie hinzu: "Deshalb haben wir den Reaktor nach der Routinekontrolle ja wieder anfahren dürfen." Weiter erklärte die E.on-Sprecherin, erst im Zuge weiterer Untersuchungen zwischen Juni und Dezember 2010 sei die Entscheidung gereift, das fragliche Meß-Ergebnis könne auch auf einen Materialfehler oder Verschleiß der Leitung hindeuten. Offenbar besteht aber keine Eile, denn ganz selbstverständlich geht E.on davon aus, daß eine Klärung hinter den Profit-Interessen zurückzustehen habe. So erklärte die E.on-Sprecherin unumwunden: "Gewissheit erlangen wir aber erst, wenn das Teil im März ausgetauscht wird." Bekanntlich scheuen die AKW-Betreiber jeden Stillstand zwischen den regelmäßigen Abschalt-Pausen, die zwecks des Austauschs der ausgedienten durch neue Bennelemente technisch unvemeidbar sind. Jeder Tag, den ein AKW Strom produziert, entspricht durchschnittlich einer Million Euro.

Wie kaum anders zu erwarten sieht das bayerische "Umwelt-Ministerium" keinerlei Sicherheitsrisiko im AKW Grafenrheinfeld. In Berlin gab es - wie mittlerweile bekannt wurde - am 16. Dezember eine Sitzung unter Beteiligung des Bundes-"Umwelt"-Ministeriums (BMU). Dabei sei es laut BMU darum gegangen, eine "unabhängige Entscheidung" über das weitere Vorgehen herbeizuführen. Es sei übereinstimmend festgestellt worden, daß "die Beschädigung am Rohr" keine Gefahr darstelle und es vollkommen ausreiche, das fragliche Rohrstück bei der nächsten routinemäßigen Revision im März 2011 auszutauschen. Zuvor war vom E.on-Konzern verlautbart worden, daß "von einem möglichen Riß" mit einer Größe von 2,7 Millimeter keine Gefahr ausgegangen wäre.

In der fränkischen Industriestadt Schweinfurt jedoch, die nur rund zehn Kilometer von dem 29 Jahre alten Meiler entfernt liegt, fühlen sich immer mehr Menschen bedroht. Selbst der von den "Schwarzen" dominierte Schweinfurter Stadtrat hatte im Juni 2010 eine Resolution gegen die "Laufzeitverlängerung" für Atomkraftwerke verabschiedet. Zu den UnterzeichnerInnen gehörte auch Oberbürgermeister Sebastian Remelé mit "C"SU-Parteibuch. Inzwischen haben sich weitere "C"SU-geführte Kommunen in der Region gegen die "Laufzeitverlängerung" ausgesprochen. Auch der Würzburger Stadtrat verabschiedete eine Resolution. Und immer mehr spricht sich herum, daß die deutschen Atomkraftwerke von den Konstrukteuren ursprünglich nur für eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt wurden. Bereits im Jahr 2001 hatte der bekannte Atomkraft-Kritiker Holger Strohm den "Atom-Ausstieg" von Gerhard Schröder und Joseph Fischer mit den Worten kommentiert: "Dabei waren Atomkraftwerke anfangs nur für 25 Jahre Betrieb ausgelegt. Seit über einem Jahrzehnt ist kein neues Atomkraftwerk mehr ans Netz gegangen. Das heißt, die Atomkraftwerke laufen länger als ursprünglich geplant, und das wird uns als Ausstieg verkauft. Wir werden arglistig getäuscht!"

 

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