13.05.2013

Piratenpartei positioniert sich
zur Bundestagswahl

Katharina Nocun
Neumarkt (LiZ). Die als Partei seit September 2006 in Deutschland existierenden "Piraten" haben sich am Wochenende im bayerischen Neumarkt für die Bundestagswahl positioniert und - nach eigenen Angaben - motiviert. Die politischen Positionen sind für links und ökologisch orientierte Menschen wenig attraktiv. Um so mehr legt die Piratenpartei ihr Gewicht auf Optik und provokante Sprüche.

Nach monatelangen internen Querelen, die von den Mainstream-Medien genüßlich ausgewalzt wurden, rafften sich die ins bayerische Neumarkt gereisten PiratInnen dazu auf, ein wenig Klarheit in die eigene Programmatik zu bringen. Durch die Konzentration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf nicht selten jenseits bürgerlicher Standards ausgetragener Streitigkeiten blieb die in den vergangenen 6 Jahren gepflegte politische Konturlosigkeit der Piratenpartei gnädig im Dunkeln. Dort, wo politische Positionen geklärt wurden, wird immer deutlicher, daß sich die Partei in einem sich beschleunigenden Anpassungsprozeß befindet.

Geradezu im Kontrast hierzu bemühte sich Bernd Schlömer, Chef der PiratInnen, in einer "Motivationsrede", deren Rhetorik an die mittlerweile bei Parteien ach so beliebten Aschermittwochs-Reden erinnerte, den Eindruck einer großen Distanz zu den etablierten Parteien zu erwecken. Alle anderen Parteien im Bundestag hätten es sich gemütlich gemacht, so Schlömer. Doch nach der Bundestagswahl im September werde dort "eine neue Kultur" Einzug halten. Um den Sprung in den Bundestag über die 5-Prozent-Hürde zu schaffen, muß die Piratenpartei allerdings - nach den derzeitigen Umfragen zu urteilen - noch kräftig rudern.

"Wir müssen uns verdammt noch mal den Arsch aufreißen," forderte die 26 Jahre alten Studentin Katharina Nocun in ihrer Bewerbungsrede für das Amt der politischen Geschäftsführerin. Mit Sprüchen wie "Wir werden das wuppen," will sie die Mitglieder für den Bundestagswahlkampf motivieren. Prompt wurde sie mit 81,7 Prozent gewählt und so zur neuen Gallionsfigur. Sie folgt auf Amtsvorgänger Johannes Ponader, dem die PiratInnen nach wenig populären TV-Auftritten und permanenten Streitereien mit VorstandskollegInnen eine "Sechs" ausgestellt hatten.

Merkwürdig im Hintergrund bleiben die politischen Positionen der Piratenpartei etwa zu Atomausstieg oder der Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO. Die Piratenpartei setzt sich nicht für einen sofortigen Atomausstieg, aber immerhin "dafür ein, die Energiegewinnung durch Kernspaltung zu beenden. Dies ist in drei Jahren möglich." Damit steht sie der Anti-Atom-Bewegung näher als die Linkspartei, die sich lediglich unbestimmt für ein "stufenweises Abschalten" der Atomkraftwerke ausspricht - und erst recht näher als die Pseudo-Grünen, die im Sommer 2011 der Bestandsgarantie der Merkel-Regierung für 9 Atomreaktoren auf de facto unbestimmte Zeit zugestimmt haben.

Interessant ist besonders der Passus im Programm der Piraten-Partei, wonach "stillgelegten Kernkraftwerke unmittelbar die Betriebserlaubnis für die Reaktoren" verlieren sollen - dies zeigt, daß hier AutorInnen am Werk waren, die sich über die taktischen Finessen der Atom-Industrie und der anderen Parteien informiert haben.

"Wir sind friedliebend, aber keine Pazifisten. Wir setzen uns verantwortungsbewußt und verlässlich für die Menschen- und Bürgerrechte global ein," erklärte Fotios Amanatides, Koordinator der Bundes-AG Außenpolitik, nach der Annahme des Wahlprogramm-Antrags durch den Parteitag. Und so heißt es etwa nach dem Vorbild pseudo-grüner Kriegs-Propaganda: "Als Piraten können wir bei der Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten nicht wegschauen." Dies eröffnet für die Zukunft die Möglichkeit, daß die Piratenpartei Kriegen, die propagandistisch mit Menschenrechts-Rhetorik verbrämt werden, zustimmen wird.

Den Kernpunkt in der Frage um Krieg und Frieden, nämlich ob Kriege wegen Menschenrechten geführt werden oder ob ökonomische Interessen entscheidend sind, umschifft die Partei mit verschwiemelter Lyrik wenig elegant: "Die Piraten wollen nicht, wie bisher üblich, nur an den Symptomen der internationalen Konflikte herumdoktern, sondern mittels Deeskalation und Vermittlung sowie nachhaltiger Entwicklungspolitik die Ursachen dieser Konflikte angehen."

Wenig erstaunlich ist es da, daß auch die Formel vom Krieg als "ultima ratio" recycelt wird: "Das Primat der Politik bedingt, daß der Einsatz militärischer Mittel immer nur eine letzte Option sein kann." Für eine Minderheit, die im Programm die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO verankern wollte, ist somit klar, daß sich die sogenannten InterventionistInnen mit ihrem Antrag in Neumarkt durchgesetzt haben und deren Position nun Teil des Parteiprogramms ist.

Auch für die auf Seiten der antikapitalistischen Linken als Eckstein angesehene Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro konnten sich die PiratInnen nicht erwärmen. Sie beschlossen am Samstagabend eine Regelung, wonach der Mindestlohn an den Vorjahresdurchschnittsarbeitslohn in Deutschland gekoppelt werden soll. Aktuell läge der von den PiratInnen geforderte Mindestlohn damit bei 9,02 Euro für unbefristete und 9,77 Euro für befristete Arbeitsverhältnisse.

Ein Antrag gegen Überwachungssoftware und für Transparenz und Quellcode-Offenlegung wurde angenommen. Darin spricht sich die Piratenpartei gegen die Entwicklung von Überwachungssoftware aus. Weiterhin wurde der Programmpunkt "Verdachtsunabhängige Datenspeicherung verhindern“ durch einen Absatz zur Fluggastdatenspeicherung ergänzt - die Piratenpartei lehnt die Bestrebungen der EU zur Fernverkehrsdatenspeicherung ab.

Weitere am Wochenende ins Parteiprogramm geschrieben Programmpunkte sind ein bedingungsloses Grundeinkommen, über dessen Höhe aber keine Einigkeit erzielt werden konnte, kostenloser Nahverkehr für alle, obligatorische Volksentscheide in Deutschland und Europa, Straffreiheit bei Besitz von maximal 30 Gramm Cannabis, straffreies Abbrennen von Feuerwerk in Fußballstadien, Ersetzen des Begriffs Ehe durch eingetragene Lebenspartnerschaft, keine Diskriminierung von Prostituierten und deren Kundschaft, Abschaffung der Steueridentifikationsnummer und die ersatzlose Abschaffung der Ökostromrabatte für Industrieunternehmen.

Wer also meint, mit dem Gang in die Wahlkabine politisch etwas bewirken zu können, hat mit der Piratenpartei zumindest im Vergleich zu dem im Bundestag vorhandenen verwelkten Angebot eine etwas frischere Alternative. Wie schnell diese ebenfalls welkt, ist deutlich erkennbar und kaum überraschend. Die Ursachen dieses Prozesses ließen sich anhand zweier Parteien analysieren, die in den Jahren nach 1979 das "politische Spektrum" ein bißchen bunter erscheinen ließen.

 

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Anmerkungen

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