6.02.2017

Pseudo-Wissenschaft Homöopathie
in Rußland zukünftig ohne Sonderstatus

Homöopathie - Collage: Samy - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Moskau (LiZ). Die vor gut 200 Jahren von dem Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) propagierte Heil-Theorie mit der Bezeichnung Homöopathie verliert in Rußland ihren Sonderstatus. Die russische Akademie der Wissenschaften empfiehlt staatlichen Kliniken, in Zukunft keine homöopathischen Mittel mehr einzusetzen. Die Homöopathie wird als Pseudo-Wissenschaft eingeordnet.

Die Russische Akademie der Wissenschaften hat die Homöopathie offiziell als Pseudo-Wissenschaft eingeordnet, da für deren Wirksamkeit bislang kein wissenschaftlicher Beweis vorgelegt werden konnte - und dies seit über 200 Jahren. Die ExpertInnen einer Kommission der Akademie empfehlen daher dem russischen Gesundheitsministerium, homöopathische Medikamente an staatlichen Kliniken nicht mehr zu verwenden. Ein entsprechendes Memorandum wurde auf der Internet-Seite der Kommission veröffentlicht. Die zuständige Ministerin, Weronika Skworzowa, kündigte laut Meldung der Agentur Interfax in Moskau an, eine Arbeitsgruppe einzusetzen.

Die WissenschaftlerInnen der Akademie der Wissenschaften begeben sich mit ihrer Argumentation jedoch aufs Glatteis. Während es vollauf genügen würde, die Ablehnung der Homöopathie mit der fehlenden empirischen Basis zu begründen, erweitern sie ihre Stellungnahme um eine zwar häufig vorgebrachte, aber dennoch nicht stichhaltige Aussage: Demnach sei die Homöopathie auch deshalb abzulehnen, weil sowohl deren Prinzipien als auch behauptete Erklärungen zu deren Wirkweise "bekannten chemischen, physischen und biologischen Gesetzen" widersprächen. Sie übersehen dabei, daß nicht auszuschließen ist, daß eine Wirkungsweise, ein "Wirkungsmechanismus", auch nachträglich noch entdeckt werden könnte - unter der Voraussetzung, daß eine Wirkung überhaupt vorhanden ist. Auch in der konventionellen Medizin sind schon des Öfteren Wirkstoffe entdeckt und deren Wirkung nachgewiesen worden, ohne daß diese zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich erklärt werden konnte.

Ein häufig übersehener Einwand gegen die Homöopathie bezieht sich jedoch gerade auf eine Parallele zur konventionellen Medizin: Beide beschäftigen sich weit überwiegend mit der Symptombehandlung, statt mit der Prävention. Wie schon der Medizin-Kritiker Ivan Illich treffend bemerkte, wird sich dies erst dann ändern, wenn MedizinerInnen oder auch HeilpraktikerInnen nicht mehr dafür bezahlt werden, Menschen von Krankheiten zu heilen, sondern von ausschließlich jenen KundInnen, deren Gesundheit sie erhalten.

Von BefürworterInnen der Homöopathie wird häufig das Schein-Argument ins Feld geführt: "Wer heilt, hat recht!" Sie übersehen dabei jedoch, daß bei einem wirkungsvollen Medikament erwartet werden darf, daß statistisch signifikant mehr Menschen bei dessen Gabe gesunden als bei der Gabe eines Placebos. Und Viele wissen nicht, daß bei der Gabe eines Placebos durchaus in einer gewissen Häufigkeit mit der Gesundung gerechnet werden kann. Hierfür gibt es durchaus eine Erklärung, ohne dem Placebo eine Wirkung zuschreiben zu müssen: Zum einen kommt es bei den meisten Krankheiten in einer gewissen Zahl von Fällen zu einer Gesundung aufgrund der körpereigenen Abwehrkräfte. Und zum anderen haben oft allein Zuwendung, Suggestion und ein Glaube an die ärztliche Autorität einen positiven Einfluß auf den Krankheitsverlauf.

So ist etwa auch die "Erfolgsquote" bei Heilungen am französischen Wallfahrtsort Lourdes keineswegs verwunderlich. Und selbst bei Krebs kommt es - mit oder ohne irgendwelchen Hokuspokus - zu medizinisch erklärbaren Spontanheilungen bei jedem zehntausendsten bis hunderttausendsten Fall (Siehe hierzu unseren Artikel v. 16.04.07).

Auch in Rußland - weder in der Zarenzeit noch in der immer wieder fälschlich als "sozialistisch" deklarierten Epoche von 1917 bis 1989 - gab es bei den "Eliten" keine ausreichende kritische Intelligenz, die sie befähigt hätte, unwirksame medizinische Behandlungsmethoden von wirksamen zu unterscheiden. Sowohl Zar Nikolaus I. und Sowjetmarschall Georgi Schukow als auch Mitglieder des sowjetischen Zentralkomitees schluckten gelegentlich die nach den Rezepturen Hahnemanns angefertigten Globuli. Zu sowjetischen Zeiten war die Homöopathie nicht verboten. Und ähnlich wie im Westen mit einem Aufschwung der Homöopathie als vermeintlich alternative Medizin in den 1980er-Jahren, wurden Globuli und Tinkturen mit Verdünnungen bis zu D24 oder C12 (1 zu 1024) ab den 1990er-Jahren in den russischen Gesundheitsbetrieb integriert.

In den 1980er-Jahren hatten alternative und pflanzliche Heilmittel zusammen mit dem Aufschwung der Öko-Bewegung auch in Deutschland viele Sympathien und Vorschuß-Vertrauen auf sich gezogen. Bundespräsident Karl Carstens gründete 1982 zusammen mit seiner Ehefrau die 'Karl und Veronica Carstens-Stiftung' mit dem Ziel der Förderung von Naturheilkunde und Homöopathie. Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwarf die Homöopathie allerdings 1992 im Rahmen der 'Marburger Erklärung zur Homöopathie' als "Irrlehre".

Dennoch gilt in Deutschland bis heute für homöopathische Mittel ein Sonderstatus. Im Gegensatz zu allen anderen Arzneimitteln, muß ihre Wirksamkeit nicht in placebo-kontrollierten Studien nachgewiesen werden. Für homöopathische Mittel wird also kein Beweis ihrer Wirksamkeit gefordert. Dennoch erstatten viele Krankenkassen die Kosten für solche Pseudo-Medikamente.

Daß homöopathische Mittel die Krankenkassen von Kosten entlasten würden, da entsprechende konventionelle Medikamente meist teurer seien, ist ein Schein-Argument, das zwei wichtige Aspekte außeracht läßt. Zum einen basiert es auf der falschen Annahme, daß homöopathische Mittel wirksam seien und daher eine konventionelle Behandlung überflüssig würde und entfallen könne. Zum anderen wird dabei übersehen, daß Erkrankungen nach der mutwilligen Verzögerung einer wirksamen Behandlung oft einen höheren Aufwand und einen längeren ärztlichen Einsatz erfordern - und damit die Kosten für die Krankenversicherung unterm Strich oft sogar steigen.

 

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Anmerkungen

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