Hannover (LiZ). Der Lebensmittel- Skandal um mit Dioxin belastete Eier, die in Niedersachsen gefunden wurden, weitet sich aus. Alle landwirtschaftlichen Betriebe, die Dioxin-verseuchtes Futtermittel erhalten haben, werden geschlossen. Allein in Niedersachsen sind dies 1000 Betriebe. Neben Legehennen- Betrieben sind nun auch Puten- und Schweinemastbetriebe in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen betroffen.
Bei den Untersuchungen von Eiern aus 20 Betrieben in Niedersachsen wurde bei Proben eine Überschreitung des Höchstwertes für Dioxin festgestellt. Mittlerweile nahmen die Staatsanwaltschaft Oldenburg (Niedersachsen) und die Staatsanwaltschaft Itzehoe (Schleswig-Holstein) Ermittlungen auf. Die vom aktuellen Dioxin-Skandal betroffenen Landesregierungen beabsichtigen, jeden landwirtschaftlichen Betrieb zu sperren, der das Dioxin-verseuchte Futter möglicherweise erhalten hat. Damit soll ausgeschlossen werden, daß weiterhin Dioxin-verseuchtes Fleisch und Eier in den Handel gelangen, sagte der Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne. Mittlerweile wurde festgestellt, daß Dioxin-verseuchtes Futter außer in Legebatterien auch an Puten und Schweine verfüttert wurde. In Niedersachsen gelte die vorsorgliche Sperrung für rund 1000 Betriebe.
Hahne sagte, die Landesregierungen hätten das Vorgehen in einer Telefonkonferenz miteinander abgestimmt. Nach dem Fund Dioxin-verseuchter Eier haben die Behörden im nordrhein-westfälischen Kreis Soest die Tötung von rund 8000 Legehennen angeordnet. Die Tiere seien als Vorsichtsmaßnahme getötet und "entsorgt" worden, sagte der Chef des Kreis-Veterinärdienstes, Wilfried Hopp. Das NRW-"Umwelt"-Ministerium teile mit, die Aufklärung werde nun "forciert" und die Handelsströme überprüft. Dazu zähle auch, daß "möglicherweise belastete Lebensmittel" derzeit bis zum Handel zurückverfolgt würden. Mittel- und langfristig seien gesundheitliche Schädigungen durch den Verzehr dioxinbelasteter Lebensmittel nicht auszuschließen. Dioxine gelten unter anderem als krebserregend. Eine akute Gefährdung durch den Verzehr geringer Mengen Dioxin sei aber "nicht zu erwarten".
Zu den Dioxinen zählt eine ganze Klasse chemischer Verbindungen, die ursprünglich nicht in der Natur vorkommen. Insgesamt gibt es über tausend verschiedene Dibenzo-Dioxine und darüber hinaus tausende der mit diesen Chemikalien eng verwandte Furane. Am gefährlichsten ist das sogenannte Seveso-Gift mit der chemischen Bezeichnung 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-Dioxin. Es wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO als krebserzeugend für den Menschen eingestuft. Auch andere Dioxine stehen im Verdacht, Krebs zu erregen und zumindest zu fördern. Während des Vietnam-Kriegs setzten die US-Streitkräfte dioxinverunreinigte Entlaubungsmittel wie "Agent Orange" ein, die sowohl bei der vietnamesischen Bevölkerung als auch bei den eigenen Soldaten zu gesundheitlichen Problemen geführt haben. Daß der Einsatz von "Agent Orange" eine erhöhte Anzahl an Mißbildungen bei Neugeborenen in der vietnamesischen Bevölkerung und bei den Kindern von Vietnam-Veteranen sowie eine erhöhte Krebsrate verursachte, gilt nach langjährigen kontroversen wissenschaftlichen Bewertungen seit einer Studie aus dem Jahr 2006 als bewiesen.
Dioxine und ähnliche Giftstoffe entstehen heute meist beim Einschmelzen von Metallen und der Metallverarbeitung sowie bei der Herstellung von Holzschutz-, Unkrautvernichtungs- und Insektenvertilgungsmitteln. Sie kommen meist auf dem Umweg über kommerziell vertriebene Fette in das Fertigfutter für Legehennen. Die Belastung von Eiern mit dem als krebserregend geltenden Umweltgift Dioxin geht vermutlich auf verunreinigtes Hühnerfutter zurück. Es wurde von der Firma Harles & Jentzsch aus Uetersen in Schleswig-Holstein produziert. Nach Angaben dieses Futtermittelproduzenten stammte das Dioxin aus belasteter Mischfettsäure, einem Vorprodukt, das über einen niederländischen Händler geliefert und in Uetersen ins Hühnerfutter gemischt wurde. Infolge der in der heutigen industriellen Landwirtschaft übliche Zentralisierung sind nun Tausende von Legehennen-Betrieben in fünf Bundesländern betroffen. Ein Legehennen-Betrieb in Nordrhein-Westfalen soll bereits etwa 120.000 Eier in den Handel gebracht haben.
Nach Aussagen des Geschäftsführer des Futtermittelherstellers, Siegfried Sievert, stammt die Dioxin-belastete Mischfettsäure ursprünglich von der Petrotec AG im niedersächsischen Emden. Sein Unternehmen habe die Lieferung über den niederländischen Zwischenhändler zunächst als unbedenklich eingeschätzt und erst am 23. Dezember sei die Dioxin-Belastung bei einer Routinekontrolle aufgefallen. Ein Sprecher des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erklärte allerdings, durch die korrekte Kennzeichnung der Lieferung sei klar gewesen, daß die Mischfettsäure nur für die technische Industrie, etwa zur Herstellung von Schmiermitteln, geeignet gewesen sei. Insgesamt 527 Tonnen seien neben Harles & Jentzsch an weitere sechs Futtermittelbetriebe in Niedersachsen, drei Futtermittelhersteller in Nordrhein-Westfalen und jeweils einen Hersteller in Hamburg und Sachsen-Anhalt geliefert worden. Diese zwölf Hersteller hätten Höfe unter anderem in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen und Brandenburg beliefert.
Die Umweltschutz-Organisation 'Bund für Umwelt- und Naturschutz' (BUND) wertet den aktuellen Dioxin-Skandal als unvermeidbares Restrisiko der industrialisierten Landwirtschaft. "Mit der Industrialisierung der Tierhaltung ist die Gefahr, daß belastetes Tierfutter gleich an mehrere Betriebe geliefert wird, erheblich gestiegen," erklärt BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning. Nur nach den strengen Richtlinien des ökologischen Landbaus können solche Risiken minimiert werden, denn dort ist vorgeschrieben, daß Futtermittel für die Tierzucht vom eigenen Hof stammen müssen. Würde diese Einschränkung mit einer Agrar-Wende allgemein verbindlich, könnte zugleich der klima- und waldschädlichen Massentierhaltung und der Zerstörung der Ostsee Einhalt geboten werden.
Anmerkungen
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