Colmar (LiZ). Bei strahlendem Wetter lockte die 'Tour de Fessenheim 2012' rund 100 Menschen aufs Fahrrad, um an der dreitägigen Aktion der elsässischen Gruppe 'Stop Fessenheim' und der Anti-Atom-Gruppe Freiburg teilzunehmen. Zur Abschlußkundgebung am gestrigen Sonntag, fanden sich 200 Menschen in der energieautonomen Gemeinde Ungersheim ein, rund 30 Kilometer südwestlich des AKW Fessenheim.
Neben ElsässerInnen und BadenerInnen nahmen an der 'Tour de Fessenheim 2012' auch zwei Radfahrer aus Dortmund, eine Schweizerin und sechs JapanerInnen teil. Sie starteten am Freitag Mittag in Emmendingen, 20 Kilometer nördlich von Freiburg, und besichtigten dort zwei Wasserkraftwerke. Auf dem weiteren Weg zu dem für die deutsche Anti-AKW-Bewegung bedeutsamen Ort Wyhl folgte die Besichtigung einer Photovoltaik- und einer Biogas-Anlage. Bei letzterer kam auch deren Schattenseite in der Diskussion zur Sprache: Da die Biogas-Anlage mit Mais, Weizen und anderem Getreide "gefüttert" wird, ist die Ökobilanz deutlich schlechter als bei vergleichbaren Anlagen, die etwa mit Gülle gespeist werden.
In Weisweil wurde der Peloton von Bürgermeister Oliver Gumber begrüßt, der in einer kurzen Ansprache für den Einsatz dankte und hervorhob, daß der Kampf gegen die Atomenergie noch keineswegs beendet sei. Gumber lud herzlich zur Besichtigung des Archivs der Badisch- Elsässischen Bürgerinitiativen ein, in dem viele Dokumente über den langjährigen Kampf gegen ein in Wyhl geplantes Atomkraftwerk aufbewahrt werden. Nach einem gemeinsamen Foto vor dem Gedenkstein, der an den Beginn des Widerstands am 8. Februar 1972 erinnert, fuhren die RadfahrerInnen weiter zu einer nahegelegenen Zeltwiese, um dort die Nacht zu verbringen.
Auf der Wiese wartete bereits die Volxküche 'Maulwürfe', die ein veganes Bio-Essen zubereitet hatte. Für die köstliche Mahlzeit erhielten sie viel Lob. Nach dem Aufbau der Zelte boten der Journalist Luciano Ibarra und die Colmarer Band 'En passant par la montagne' ein anspruchsvolles Abendprogramm. Ibarra berichtete über die Aktivitäten der von ihm mitgegründeten Garten-Coop und die MusikerInnen begeisterten mit Harfen und anderen altertümlichen Instrumenten.
Am Samstag morgen hielten die RadfahrerInnen kurz an einem weiteren Gedenkstein an, der an den Bauplatz im Wyhler Wald erinnert, der im Kampf gegen das AKW-Vorhaben jahrelang besetzt worden war. In Sasbach, südlich von Wyhl, stattete die 'Tour de Fessenheim' dem Wyhl-Veteran und Solar-Pionier Werner Mildebrath einen Besuch ab. Mildebrath hatte schon vor über 30 Jahren Solaranlagen gebaut und war so einer der ersten, die eine Alternative zur Atomenergie aufzeigen konnten. Viele dieser Anlagen funktionieren heute noch. Auch die 'Tour de Fessenheim' versorgte Mildebrath in früheren Jahren mit Solarstrom zum Betrieb der Lautsprecheranlage. Bei der Begrüßung durch Werner Mildebrath hielt auch der Sasbacher Bürgermeister Jürgen Scheiding eine kleine Ansprache und wünschte der 'Tour de Fessenheim' Erfolg.
Bei der Überquerung des Rheins zwischen Sasbach und dem elsässischen Marckolsheim erklärte Nik Geiler vom AK Wasser des Bundesverbands der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) das dort an der Staustufe gelegene Groß-Wasserkraftwerk. Auf der einen Seite hob er hervor, daß dieses Kraftwerk mit 1.400 MW rund 50 Prozent mehr Leistung bereitstellt als ein durchschnittlicher Atom-Reaktor. Auf der anderen Seite vergaß Geiler nicht zu erwähnen, daß der Betreiber-Konzern EdF trotz jahrelanger Forderungen bis heute den Bau von Fischtreppen oder -pässen verweigert. Bei der Übergabe an die französische Polizei bedankte sich der Einsatzleiter der deutschen Polizei über die Lautsprecheranlage der DemonstrantInnen für die aus seiner Sicht problemlose Zusammenarbeit bei der Absicherung der Tour-TeilnehmerInnen auf den teils stark von Autos befahrenen Straßen. Ohne Rücksicht auf seine zukünftige Karriere wünschte er sogar Erfolg beim weiteren Kampf gegen die Atomenergie.
Nach einem kleinen Zwischenstop für eine Vesperpause kam die 'Tour de Fessenheim' gegen 15 Uhr in Colmar an. Zu einer Kundgebung auf der Rue de Turenne wurde der Peloton lautstark von der TrommlerInnen-Gruppe 'AllonZenfants de la Batterie' begrüßt. Der Swing ihrer Darbietung ging vielen der TeilnehmerInnen, die inzwischen abgestiegen waren, in die Beine - auch zahlreiche TouristInnen tanzten mit. Bei der dann folgenden Aktion kam es nach einem Radioaktivitäts-Alarm zu einer symbolischen Evakuierung und Dekontaminierung mit Besen und Staubwedeln. Die bei einer Katastrophe im AKW Fessenheim betroffenen 860.000 EinwohnerInnen in den Ortschaften im Umkreis von 30 Kilometern kamen ebenfalls zur Sprache.
Weiter ging die Fahrt nach Pfaffenheim, wo Jean-Pierre Frick die TeilnehmerInnen auf seinem Bio-Weingut empfing. Neben einer Gelegenheit, im Schatten zu verschnaufen, bot Frick eine Führung und eine Weinprobe in seinem Keller. Weiter ging es danach auf eine nahegelegene Wiese, wo die Zelte aufgebaut werden konnten. Am Abend bot die 'Tour de Fessenheim' erneut ein reichhaltiges Programm: In einem gemütlichen Gewölbekeller lieferten zwei Vorträge, in denen es um die Realisierung der Energiewende in Deutschland und in Frankreich ging, und die Musik der Freiburger Band 'Kopfsteinpflaster' reichhaltige und lebendige Anregungen für intellektuelle und musische Hirnregionen.
Am Sonntag Vormittag zeigte Jean-Claude Mensch, Bürgermeister von Ungersheim, den TeilnehmerInnen der 'Tour de Fessenheim' die riesige Baustelle einer Photovoltaik-Freiflächenanlage und die Gewächshäuser eines Projektes zum biologischen Anbau von Gemüse. Auf dem Platz vor der Stadthalle wartete am Mittag bereits die Volxküche auf die RadfahrerInnen. Für den Fall von Regen oder Unwetter hatte Bürgermeister Mensch die Halle für die Abschlußkundgebung angeboten, doch die Sonne lud zum Draußenbleiben ein.
Da die Kundgebung bereits um 14 Uhr begann, blieb für das Essen nur wenig Zeit. Zum Auftakt spielte die 'Bande Organisée' Folkmusik. Besondere Aufmerksamkeit fand die Rede von Golden Misabiko aus dem Kongo, der über den Uranabbau in Afrika insbesondere im Niger und im Kongo durch den französischen Atomkonzern AREVA sprach. Er bat um europäische Unterstützung im Kampf gegen den Uranabbau. Misabiko erinnte daran, daß das Uran für die Bombe auf Hiroshima aus der Mine Shinkolobwe im Kongo stammt. Auch heute werde in dieser Mine in der berüchtigten Region Katanga weiter illegal Uran abgebaut.
Elke Brandes von der Anti-Atom-Gruppe Freiburg betonte in ihrer Rede, daß trotz angeblichem Atomausstieg in Deutschland vielfältige Atomaktivitäten wie etwa die Atomforschung in Karlsruhe oder die Herstellung von Uranbrennelementen in Gronau und Lingen fortgesetzt werden. Zur französischen Atompolitik äußerte sie: "Die französische Atomlobby wurde offenbar vom Hollandeschen Wahlversprechen nicht abgeschreckt: Das französische Zentrum für Atomenergie (CEA) schwört auf die sogenannten Generation-4-Reaktoren: Das sind Reaktoren mit Option für Brennstoffkreisläufe, die mit flüssigem Natrium gekühlt werden sollen. Der Bau eines Prototyps ist für 2017 geplant." Der elsässische Anti-AKW-Aktivist Gabriel Weisser beschrieb in einem Wortbeitrag seinen Traum von einem Leben mit erneuerbaren Energien.
Neben Folk bot das abwechslungsreiche Musikprogramm Punk von der Colmarer Band '2 de tension', Protestsongs des im Dreyeckland bekannten Wyhl-Barden Roland "Buki" Burkhard, sowie Chansons des Singer-Songwriter-Duos Urban und Rahel. Obwohl der Wind reichlich blies und gelegentlich Notenblätter mit sich forttrug - anscheinend um im Verein mit der an diesem Wochenende nach regnerischen Wochen gutgelaunten Sonne die Stärke regenerativer Energien zu beweisen - konnte die Abschlußgebung wie geplant auf dem Platz vor der Halle stattfinden. Kurz nach 17 Uhr traf der Bus ein, der für die müden TeilnehmerInnen organisiert worden war, um sie samt Fahrrädern nach Colmar, Neuf-Brisach oder Selestat zu transportieren.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
»Tour de Fessenheim 2012«
Interview mit Elke Brandes (17.06.12)
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65.000 für Atom-Ausstieg
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Folge 11 der Info-Serie Atomenergie