31.12.2011

Neonazi-Terrorbande
"Verfassungsschutz" war detailliert informiert

Pässe für Neonazi-Terroristen Berlin (LiZ). Allmählich sickern immer mehr Informationen durch, die bestätigen, daß der "Verfassungsschutz" im Falle der Neonazi-Terrorbande um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht einfach nur blind war. Vieles deutet darauf hin, daß Geheimdienstkreise schon vor Jahren Details über die kriminellen Aktivitäten der Bande wußten und eine aktive Rolle spielten.

Offenbar waren zumindest Teile der "Verfassungsschutz"- Ämter Thüringens und Sachsens im Zeitraum zwischen dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. im Januar 1998 und Ende 2001 detailliert über die Neonazi-Terrorbande informiert. Aus Geheimdienst-Unterlagen geht hervor, daß in den Ämtern Anfang 1999 verlässliche Informationen vorlagen, daß sich die Bande in Chemnitz versteckt hielt. Bemerkenswert ist zudem, daß BeamtInnen Kenntnis davon hatten, daß bewaffnete Überfälle zumindest geplant waren. All dies geht aus einem geheimen amtlichen Untersuchungsbericht hervor.

Nicht mehr zu leugnen ist ebenfalls, daß FahnderInnen im Zeitraum 2000, 2001 eine Wohnung kannten, in der zwei mutmaßliche Unterstützer wohnten und die Uwe Böhnhardt und Beate Z. besuchten. Auch der Jenaer Neonazi Ralf Wohlleben, der Ende November als mutmaßlicher Unterstützer der Neonazi-Terrorbande verhaftet worden war, ist offenbar dem engeren Kreis zuzuordnen. So geht aus dem Geheimbericht hervor, daß Wohlleben gegenüber dem V-Mann Tino Brandt - gleichzeitig Anführer der Neonazi-Organisation "Thüringer Heimatschutz" - Geldspenden an die Untergetauchten mit der Begründung ablehnte, "nach seinen Informationen" benötigten diese kein Geld mehr, weil sie mittlerweile "schon so viele Sachen/Aktionen gemacht" hätten. Erst kurz vor Weihnachten war bekannt geworden, daß auch Tino Brandt zumindest 1999 telefonischen Kontakt zu Uwe Böhnhardt hatte. Allein aufgrund dieser Tatsache ist es höchstwahrscheinlich, daß Teile des "Verfassungs- schutzes" über den Unterschlupf der Neonazi-Terrorbande Bescheid wußten.

Auch weitere Neonazis, die vermutlich überwacht wurden, hatten 1999 offenbar Kontakt zur Neonazi-Terrorbande. So geht ebenfalls aus dem jetzt aufgetauchten Geheimbericht hervor, daß Casten S., später stellvertretender Landesvorsitzender der NPD-Nachwuchsorganisation 'Junge Nationaldemokraten', 1999 als Kontaktperson in den Untergrund diente. Es liegen zudem Informationen vor, aus denen hervorgeht, daß Carten S. Geld nach Sachsen auf ein Konto überwies, das der Neonazi-Terrorbande zugeordnet wird.

Die Merkwürdigkeiten fingen bereits am 24. Januar 1998 damit an, daß Uwe Böhnhardt nicht festgenommen wurde, als in seinem Beisein eine Bombenwerkstatt in einer Garage von der Polizei ausgehoben wurde. Die Durchsuchung hatte nicht zufällig, sondern im Zusammenhang mit der Fahndung nach der Herkunft einer Briefbombenattrappe stattgefunden. Trotz des Fundes und einer vorangegangenen Verurteilung zu dreieinhalb Jahren wurde Böhnhardt an diesem Tag nicht festgenommen. Die Ausstellung eines Haftbefehls verzögerte sich um mehrere Tage, so daß Böhnhardt, Mundlos und Beate Z. in Ruhe untertauchen konnten.

Schon sehr bald muß die Neonazi-Terrorbande über gefälschte Pässe verfügt haben, die von so hoher Qualität waren, daß sie nur aus Geheimdienst-Kreisen stammen können. Bereits am 8. März 1999 bestand bei den Untergetauchten offenbar kein Bedarf mehr nach weiteren gefälschten Pässen - wie aus einem Telefonat zwischen Tino Brandt und Uwe Böhnhardt an diesem Tag hervorgeht.

Mitte November 2011 sickerte durch, daß Beate Z. nach dem Untertauchen mehrmals Kontakt zu V-Leuten des "Verfassungsschutzes" hatte. Zunächst lebte sie längere Zeit unbehelligt in Zwickau unter falschem Namen und wurde zugleich von mindestens drei "Verfassungsschutz"-Leuten observiert, da sie als Mitglied des neonazistischen "Thüringer Heimatschutzes" galt. Auch zu Anführer Tino Brandt hatte sie zumindest bis Mitte 1998 regen Kontakt. Über ihn erfuhren die Geheimdienst-Leute wie die Neo-Nazis des "Thüringer Heimatschutzes" Beate Z. unterstützten. Am 6.12.11 wurde zudem publik, daß Telefonate der Bande abgehört wurden. Hier stellte sich selbstverständlich sofort die Frage, wie es möglich sein soll, daß der Geheimdienst die Telefonate abgehörte, zugleich aber den Aufenthaltsort nicht festgestellte. Bereits am 20.11.11 war bekannt geworden, daß auch der deutsche Geheimdienst MAD nach dem Abtauchen der Gruppe in den Untergrund über deren Aufenthaltsort informiert war. Diese Information kann als gesichert gelten, da der Aufenthaltsort der Untergetauchten nachweislich von der MAD-Stelle in Leipzig an die Kölner Zentrale gemeldet worden war.

Zudem tauchen am 20.11.11 Hinweise auf, daß die Bande bereits 1997 einen Anschlag auf Ausländer in Thüringen versucht hat. Nachweislich hat die Bande in den Jahren 1996 und 1997 Sprengsätze und Bombenattrappen an mehreren Orten deponiert, so an einer Autobahn, in einem Stadion, auf einem Friedhof und vor einem Theater.

Offenbar wurde im Jahr 1999 eine Festnahme auf die Neonazi-Terrorbande in Chemnitz kurz vor dem Zugriff in letzter Minute gestoppt. (Dies wurde am 18.11.11 bekannt.) Offenbar wurde die Bande jahrelang von "oben" gedeckt. Auch das LKA soll damals seine ZielfahnderInnen zurückgepfiffen haben. Damit scheidet der Thüringer "Verfassungsschutz"-Präsident Helmut Roewer als Verdächtiger aus, der von 1994 bis Herbst 2000 amtierte. Die "schützende Hand" muß in einer höheren Ebene vermutet werden. Nach Informationen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) haben sich damals die zurückgepfiffenen LKA-MitarbeiterInnen massiv beschwert. Daraufhin habe ein Gespräch zwischen "hohen Vertretern des Innenministeriums" und den BeamtInnen stattgefunden. Am 13.11.11 erwähnte der Thüringer Innenminister Jörg Geibert gegenüber der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' die Vermutung eines LKA-Zielfahnders aus dem Jahr 2001, wonach zumindest einer der per Steckbrief gesuchten Neonazis von "oben" gedeckt werde.

Am 20.12.11 tauchen Hinweise auf, wonach der Thüringer "Verfassungsschutz" nach dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. die Ermittlungen der Polizei sabotiert hat. So sollen Mitarbeiter des Thüringer "Verfassungsschutzes" Tino Brandt über konkrete Fahndungsmaßnahmen vorab informiert haben. Tino Brandt alias "Otto" soll den Angaben zufolge darüber informiert worden sein, daß die Polizei ihn aus einer angemieteten Wohnung in der Nähe seines Rudolstädter Hauses heraus überwache. Außerdem habe der sogenannte Verbindungsführer des Thüringer "Verfassungsschutzes" an Tino Brandt Informationen über die Zivilfahrzeuge der Polizei, mit denen er beschattet werden sollte, weitergeleitet.

Ein weiteres Indiz, daß Geheimdienst-Kräfte in die terroristische Mord-Serie verwickelt sind, sind Aussagen von AnwohnerInnen des Eisenacher Neubaugebietes, in dem das Wohnmobil stand, in dem die Leichen von Böhnhardt und Mundlos gefunden wurden: Entgegen den Aussagen der Polizei sollen vor dem Eintreffen der Feuerwehr beim brennenden Wohnmobil keine Schüsse zu hören gewesen sein. Laut der bis in den Dezember 2011 hinein verbreiteten offiziellen Darstellung hatten Böhnhardt und Mundlos nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Eisenach das Wohnmobil gegen 11:30 Uhr angezündet und sich erschossen. Verdächtig ist zudem, daß nach dem Auffinden der Leichen am 4. November allzu schnell die Meldung verbreitet wurde, Böhnhardt und Mundlos hätten sich selbst erschossen - noch bevor das Ergebnis einer Obduktion vorliegen konnte.

Zwischen September 2000 und April 2006 fielen innerhalb von nur fünfeinhalb Jahren mindestens neun Mitbürger türkischer und griechischer Abstammung der Neonazi-Terrorbande zum Opfer. Bei dem Mord am 6. April 2006 in Kassel war nachweislich ein Beamter des hessischen "Verfassungsschutzes" anwesend. Dessen Spitzname: kleiner Adolf. Nach Aussagen eines Zeugen steht dieser Geheimdienstler im Verdacht, Patronenhülsen am Tatort in eine Tüte eingesammelt zu haben, was darauf hindeutet, daß die Herkunft der Tatwaffen verschleiert werden sollte. Auffällig ist zudem, daß die Mordserie an türkisch- und griechischstämmigen Opfern mit diesem Mord endete.

Am 30.11.11 tauchen Informationen auf, daß Geheimdienst-Leute vom US-amerikanischen DIA anwesend waren, als die deutsche Polizistin Michele Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn von der Neonazi-Terrorbande ermordet und ihr Kollege durch einen Kopfschuß schwer verletzt wurde. Aus ihrem Bericht geht hervor, daß auch deutsche Geheimdienstler bei dem Mord zugegen waren.

Auch in den dreizehn Jahren, in denen die Neonazi-Terrorbande im Untergrund fortexistierte, fanden unter den Augen des "Verfassungsschutzes" öffentliche Solidaritäts-Konzerte statt, deren Erlös für die Bande bestimmt war. Ebenfalls war den Behörden der Zusammenhang zwischen den "Döner"-Morden (amtliche Bezeichnung) und der Neonazi-Terrorbande bekannt. Denn auf einer indizierten und in Neonazi-Kreisen verbreiteten Musik-CD wird ein "Döner-Killer" und die Mordserie an neun Unternehmern türkischer und griechischer Herkunft besungen. Zudem würden darauf weitere Morde angekündigt.

Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß vor zehn Jahren das Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht feststellen mußte, daß mindestens jedes siebte NPD-Mitglied in Leitungsfunktionen ein "Verfassungsschutz"-Agent war. Die These, die deutschen Geheimdienste hätten "im Kampf gegen Rechtsextreme versagt", ist vor dem Hintergrund all dieser Informationen äußerst gewagt.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
      Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)

      Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
      durch Staatsorgane (20.12.11)

      Wie kam die Neonazi-Terrorbande
      zu gefälschten Pässen? (18.12.11)

      Neonazi-Terrorbande
      Die Spur führt nach Ludwigshafen (17.12.11)

      Bericht eines US-Geheimdienstes:
      Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt
      (30.11.11)

      Witz der Woche
      Was würde wohl die Neonazis härter treffen...
      (23.11.11)

      Neonazi-Zelle für versuchten
      Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
      Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung
      (20.11.11)

      Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
      Befehl von "oben" (18.11.11)

      V-Mann "Kleiner Adolf"
      war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)

      Neonazi-Terroristen
      Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)

      Trojaner-Skandal weitet sich aus
      "Big Brother" kann noch mehr (19.10.11)

      0zapftis - CCC analysiert "Bundes-Trojaner"
      Verfassungsignoranz und Dilettantismus (8.10.11)

      Stasi-Akten offenbaren Nazi-Hintergrund
      des Dutschke-Attentats von 1968 (6.12.09)

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      Zahl der Abhör-Aktionen steigt dynamisch (23.09.09)

      Postzensur in der BRD
      Wieviel das Grundgesetz in den 1950er-Jahren wert war
      (27.06.09)

      60 Jahre Unrechts-Staat BRD
      (23.05.09)

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      Kurras war anscheinend Stasi-Spitzel (22.05.09)

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