Nürnberg (LiZ). Die Ämter zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit haben im vergangenen Jahr deutlich mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene verhängt. In der Regel wird hierbei die Zahlung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) um 30 Prozent gekürzt und dabei massiv unter das Existenzminimum abgesenkt.
Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben im Jahr 2011 in rund 912.000 Fällen (2010: 830.000) Hartz-IV-Betroffene mit Sanktionen traktiert. Dies entspricht einem Anstieg um über 10 Prozent. Zugleich hieß es von Seiten der Bundesanstalt für Arbeit(slosigkeit), dieser Anstieg sei nicht etwa Folge einer Zunahme beim Sozialmißbrauch, sondern verursacht durch die "gute Konjunktur". Den Betroffenen würden mehr offene Stellen vorgelegt, auf die sie sich bewerben müssen - und bei Verfehlungen würden ihnen dann Sanktionen auferlegt. Ein Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit(slosigkeit) erklärte: "Die reinen Mißbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse." Die Sanktionen belaufen sich durchschnittlich auf eine Kürzung um monatlich 116 Euro. Auf die Verhältnisse von VW-Chef Martin Winterkorn umgerechnet entspräche dies einer Kürzung seines Jahres-Salärs um rund 5 Millionen Euro.
Zugleich müssen rund 36 Prozent der Hartz-IV-Bescheide - nachdem die Betroffenen Widerspruch eingelegt hatten - korrigiert werden. (Siehe hierzu auch unsere Artikel vom 12.01.12 und vom 12.01.10) Kaum einzuschätzen ist die Zahl fehlerhafter Hartz-IV-Bescheide, die von den Betroffenen wegen rechtlicher Unkenntnis oder wegen Resignation ohne Widerspruch hingenommen wurden. Das Erwerbslosen-Forum Deutschland wies in einer Stellungnahme ebenfalls darauf hin, daß auch "die meisten Sanktionen zurückgenommen werden müssen, wenn die Betroffenen rechtliche Hilfe gegenüber den Jobcentern in Anspruch nehmen." Nicht zuletzt seien die Sanktionen "Druckmittel, um Menschen in Billigjobs" zu zwingen. Zugleich wachse die Zahl der Menschen, die trotz Job auf Hartz IV angewiesen sind. "Auf diese Weise lassen sich die Unternehmen die Ausbeutung der Arbeitskräfte indirekt von den Steuerzahlern subventionieren," so Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen-Forums Deutschland.
Im Dezember 2011 wurde an 3,3 Millionen Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften (rund 6,7 Millionen Betroffene) insgesamt rund 2,7 Milliarden Euro ausbezahlt - im Durchschnitt pro Bedarfsgemeinschaft rund 807 Euro. Dies ist sogar nominal - und erst recht unter Einberechnung der Inflationsrate - weniger als in den Jahren zuvor: Im Dezember 2010 waren es noch rund 840 Euro, im Dezember 2006 noch rund 870 Euro. Hinzu kommt, daß die nominalen Erhöhungen des ALG-II-Satzes unter der Inflationsrate lagen, so daß der Satz seit der Einführung zum 1. Januar 2005 von Jahr zu Jahr real gekürzt wurde. Gegenwärtig liegt der Regelsatz bei 374 Euro. Dies ist unter Einberechnung der offiziellen Inflationsrate weniger als die im Jahr 2004 für die Einführung festgesetzten 345 Euro.
Während mehr Sanktionen verhängt werden, ging zugleich die Zahl der Betrugsfälle im Zusammenhang mit Hartz IV deutlich zurück. Die Bundesanstalt für Arbeit(slosigkeit) leitete im vergangenen Jahr 177.500 Straf- und Bußgeldverfahren wegen Mißbrauchs ein – fast 50.000 Fälle und damit um 22 Prozent weniger als 2010.
Nach Angaben des Caritas-Verbandes gehen dem Staat durch Sozialmißbrauch jährlich 120 Millionen Euro verloren. Zugleich stellte die OECD fest, daß dem deutschen Staat durch Steuerhinterziehung jährlich rund 100 Milliarden Euro fehlen - also rund 1000 mal so viel. Die OECD mahnte an, daß rund 20 Prozent mehr an Steuereinnahmen in Deutschland erzielt werden könnten, wenn die Unternehmen und vor allem die Banken einer konsequenten Prüfung unterzogen würden. Doch hieran scheinen die in den Landes- und Bundesregierungen vertretenen Partei-PolitikerInnen kein Interesse zu haben, wie sich an der auffällig geringen Zahl der SteuerfahnderInnen ablesen läßt.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Weltwirtschaftskrise
Deutschland ein Stück tiefer im Sog (28.03.12)
Sozialabbau trifft Frauen härter
Was gibt's Neues zum Internationalen Frauentag?
(8.03.12)
Was macht den Menschen gierig?
"Denn wo dein Schatz ist..." (27.02.12)
Banken bekommen
zweites Griechenland-Hilfspaket (21.02.12)
Welche Pläne hat GM mit Opel?
Verkauf oder Kaputtsanierung? (16.02.12)
Studie zu "Babyboom"-Jahrgängen
Besonders Frauen erwartet Altersarmut (15.02.12)
Belgien: Generalstreik gegen Sozialabbau
richtet sich gegen EU-Regierungen (30.01.12)
Hartz IV
Kafkaeske Situation beim Sozialgericht (12.01.12)
OECD-Bericht
Kluft zwischen Arm und Reich wächst (5.12.11)
Reallöhne in Deutschland sinken weiter
Zuwächse von Inflation ausgefressen (5.11.11)
Renten: Minus auch in 2012
Inflation offiziell bei 2,5 Prozent (28.10.11)
Schuldenkrise in den USA
Kampf zwischen Elefant und Esel? (15.07.11)
Trotz Lohnerhöhungen:
Inflation bewirkt Minus (6.07.11)
Sozialabbau -
Renten seit 2001 real gekürzt (5.07.11)
Sozialabbau: Bufdis
bekommen weniger als Zivis (30.06.11)
Bundestagsabgeordnete wollen
mehr Diäten (27.06.11)
Starke Zunahme von "400-Euro-Jobs"
von "Rot-Grün" verursacht (27.04.11)
Frauen in Konzern-Vorstände?
Die realen Probleme bleiben ausgeblendet (8.03.11)
Verfassungsgericht:
Einführung von Hartz-IV war grundgesetzkonform
(29.12.10)
Discounter Lidl für 10 Euro Mindestlohn
Einzelhandel fürchtet Ost-Konkurrenz (21.12.10)
Mißbrauch von Ein-Euro-Jobs?
Der Zweck ist Lohndumping (15.11.10)
Real über 9 Millionen Arbeitslose
Die Tricks der Bundesregierung (28.10.10)
Von der Leyens Hartz-IV-Reform:
Nominal 5 Euro Plus ab 2011 - real ein Minus (26.09.10)
50 Milliarden Euro
für Subventionierung des Niedriglohn-Sektors (13.08.10)
Von der Leyens Hartz-IV-Reform
Erneuter Sozialabbau
trotz Urteil des Bundesverfassungsgerichts? (2.08.10)
Pisa 2010 und die Schere
zwischen Arm und Reich (23.06.10)
Ausgepreßt
Sozialabbau schwarz-gelb (7.06.10)
Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig
Herbe Niederlage für "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" (9.02.10)
Rente wird gekürzt
"Nullrunde" heißt Minus (16.03.10)
DIW-Studie zum Vermögen in Deutschland
Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
(19.01.10)
Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"
Niederiglohn-Sektor massiv ausgeweitet (19.12.09)