Berlin (LiZ). Seit Einführung von Hartz IV flossen rund 70 Milliarden Euro, die an "Aufstocker" ausbezahlt wurden, indirekt in die Taschen der deutschen Unternehmen. Allein in den Jahren 2007 bis 2011 wurden über 53 Milliarden Euro an Steuergelder ausbezahlt, um damit vordergründig Hungerlöhne wenigsten auf ein halbwegs erträgliches Niveau "aufzustocken".
Im vergangenen Jahr sind die Ausgaben für "Aufstocker" laut offiziellen Zahlen noch einmal gestiegen - auf 10,73 Milliarden Euro. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linkspartei gibt es mittlerweile rund 1,21 Millionen Bedarfsgemeinschaften von Menschen, die mit Hartz IV "aufstocken" müssen.
Noch weitaus größer als die genannten 70 Milliarden Euro ist die indirekte Subventionierung deutscher Unternehmen, wenn in Rechnung gestellt wird, daß mit den Anfang 2005 eingeführten Hartz-IV-Gesetzen der Niedriglohn-Sektor massiv ausgeweitet wurde und daß so das gesamte Lohngefüge ins Rutschen geriet. Seit Jahren folgen die Löhne nicht mehr der Produktivitäts-Steigerung in Deutschland. Weder "Rot-Grün" (1998 bis 2005) noch "Schwarz-Rot" (2005 bis 2009), noch "Schwarz-Gelb" (seit 2009) hatte ein Interesse, einen Mindestlohn einzuführen, der dem entgegengewirkt hätte. Mindestlöhne sind hingegen in den meisten EU-Staaten eine Selbstverständlichkeit (siehe auch unseren Artikel v. 17.12.12). Auch EU-Beschäftigungskommissar László Andor fordert dringend die Einführung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns in Deutschland.
Unter den "Aufstockern" sind auch viele Selbstständige, denen die Einführung eines Mindestlohnes keinen Nutzen bringen würde. Auch deren Zahl ist einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. 2011 gab es rund 127.000 so genannte selbständige Aufstocker, wie das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Montag mitteilte. Damit kletterte den Angaben zufolge die Zahl der Betroffenen im Vergleich zu 2010 um 16 Prozent nach oben. Gegenüber 2007 verzeichneten die WissenschaftlerInnen sogar einen Anstieg um 76 Prozent.
Die AutorInnen der Studie führen den Anstieg vor allem auf eine Zunahme der Zahl derer zurück, die mit ihrer Selbständigkeit maximal 100 Euro im Monat verdienen. Bis zu diesem Betrag dürfen ALG-II-BezieherInnen Geld hinzuverdienen, ohne daß es ihnen angerechnet wird. Allein zwischen April 2007 und April 2010 habe sich diese Gruppe um über 21.000 Personen erhöht. Sie macht mittlerweile ein Viertel aller "selbständigen Aufstocker" aus.
Insgesamt verfügen laut IAB-Studie rund drei Viertel der Betroffenen über ein Einkommen von maximal 400 Euro im Monat. Nur fünf Prozent können demnach einen Gewinn von mindestens 800 Euro verbuchen. Am häufigsten bezogen laut Studie selbständige VerkäuferInnen und Personen aus Dienstleistungsbereichen wie FriseurInnen oder KosmetikerInnen Hilfszahlungen vom Staat, berichtete das IAB. 21 Prozent aller "Aufstocker" kämen auch diesen Bereichen. Ihnen folgten Techniker und gleichrangige nicht-technische Berufe wie Handels- oder Versicherungsvertreter, Grafiker oder freiberufliche EDV-Dienstleister (20 Prozent). Laden- oder Gaststättenbesitzer machten 17 Prozent der "selbständigen Aufstocker" aus. Auch AkademikerInnen fänden sich unter den "selbständigen Aufstockern" (16 Prozent). Sie kämen vor allem aus künstlerischen Berufen.
Da vier der im Bundestag vertretenen Parteien überreichlich Proben ihrer dem Sozialabbau verpflichteten Politik geliefert haben und eine vierte Partei zumindest dort, wo sie an Landesregierungen beteiligt war, die Politik des Sozialabbaus mittrug, kann von der Parteien-Politik keine Änderung des bisherigen Kurses erwartet werden. Daß jene Parteien, die sich in der Opposition befinden, Gegenteiliges versprechen und auch Kanzler-Kandidaten das erzählen, was die Mehrheit gerne hört, ist ebenso wenig neu.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Mindestlohn in Frankreich
Hält Hollande ein Wahlversprechen? (17.12.12)
Erneute Kürzung von Hartz IV
8 Euro heißt Minus (19.09.12)
IG Metall Pilot-Tarifabschluß
Eis in der Sonne (20.05.12)
Reallöhne in Deutschland sinken weiter
Zuwächse von Inflation ausgefressen (5.11.11)
Trotz Lohnerhöhungen:
Inflation bewirkt Minus (6.07.11)
Starke Zunahme von "400-Euro-Jobs"
von "Rot-Grün" verursacht (27.04.11)
Discounter Lidl für 10 Euro Mindestlohn
Einzelhandel fürchtet Ost-Konkurrenz (21.12.10)
Mißbrauch von Ein-Euro-Jobs?
Der Zweck ist Lohndumping (15.11.10)
Real über 9 Millionen Arbeitslose
Die Tricks der Bundesregierung (28.10.10)
50 Milliarden Euro
für Subventionierung des Niedriglohn-Sektors (13.08.10)
Pisa 2010 und die Schere
zwischen Arm und Reich (23.06.10)
Bundesverwaltungsgericht:
Post-Mindestlohn nicht rechtmäßig (29.01.10)
DIW-Studie zum Vermögen in Deutschland
Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
(19.01.10)
Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"
Niederiglohn-Sektor massiv ausgeweitet (19.12.09)
Aufschwung? Abschwung?
Schwund bei den Reallöhne seit vielen Jahren (14.08.09)
Sozialabbau und Niedriglohn-Sektor
22 Prozent arbeiten in Deutschland für Niedriglöhne
(28.04.08)
Absurde Argumente gegen den Mindestlohn
Dient eine Lohnuntergrenze den Mächtigen? (7.04.08)
Neoliberales EuGH-Urteil
Sprengstoff gegen Mindestlohn (4.04.08)
Reallöhne in Deutschland
seit Jahrzehnten eingefroren (24.09.07)
Armut trotz Arbeitsplatz
"Working poor" auch in Deutschland (15.05.07)
Thema Mindestlohn im Bundestag
Von einem Versuch, die SPD zu stellen (14.05.07)
Mindestlohn, Bezahlung von Putzkräften
im Bundestag und Heuchelei (12.05.07)
Für einen Mindestlohn
von 10 Euro (22.08.06)