6.02.2018

"Ölziehen" und der
erfundene Doktor Karach

Alte Lady spuckt Öl aus - Grafik: Samy - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Berlin (LiZ). Die Verbreitung der bis heute immer wieder aufgewärmte esoterische "Heil"-Methode des "Ölziehens" im deutschsprachigen Raum läßt sich zurückverfolgen bis auf zwei Publikationen des Jahres 1991. Bis heute liegen keine wissenschaftlich fundierten Ergebnisse vor, die belegen könnten, daß "Ölziehen" einen positiven Effekt hätte - mit Ausnahme des finanziellen Zugewinns für Öl-Produzenten.

In den beiden Publikationen des Jahres 1991 ist die Rede von einem Vortrag eines russischen Arztes namens Doktor Fedor Karach, der auf einem Kongress von Onkologen und Bakteriologen das Verfahren vorgestellt haben soll. Zeit- und Quellenangaben hierzu fehlen jedoch und zitierfähige Publikationen eines Doktor Karach sind nirgendwo zu finden. Ebenso phantastisch ist ein angeblich "viel beachtetes" Referat dieses nicht-existenten Doktor Karach, das dieser vor der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gehalten habe.

Einerseits wird in esoterischen Kreisen kolportiert, die "Heil"-Methode des "Ölziehens" gehe auf die ukrainische und russische Volksmedizin zurück. Zugleich kursieren - durchaus korrekte - Hinweise darauf, daß ein Spülen des Mundes mit Sesamöl bereits in einer alten indischen Schrift, der Charaka Samhita, als gesundheitsfördernd beschrieben wird. Über dreißig Krankheiten oder Symptome werden außerdem dort aufgelistet, die sich durch das "Ölziehen", hier speziell die Spülung des Mundes mit Sesamöl, positiv beeinflussen ließen. Die "Heil"-Kur wird daher der Pseudo-Medizin des Ayurveda zugeordnet.

Einige PropagandistInnen des "Ölziehens" versuchen, die Glaubwürdigkeit der Kur nicht allein mit dem Hinweis auf einen Arzt, dessen Doktortitel trotz Nichtexistenz der Person auch heute noch bei Autoritätsgläubigen wirkt, sondern zudem mit phantasievollen scheinbar wissenschaftlichen Erklärungen zu untermauern. So ist in diesen Kreisen in typisch esoterisch-pseudowissenschaftlicher Diktion von "Frequenzen" die Rede, mit denen das Öl im Munde eine Verbindung mit anderen kranken Regionen des menschlichen Körpers aufnehme. Auf diese Weise sei eine "Entgiftung" - beispielsweise im rechten großen Zeh - zu erklären.

Die in esoterischen Kreisen fest verankerte Erzählung von Heilerfolgen mittels "Entgiftung" oder "Detox" wird so mit dem Glauben an eine Wirkung des "Ölziehens" verknüpft. Der Glaube, Krankheiten oder Unpäßlichkeiten könnten durch eine "Entgiftung" des menschlichen Organismus bekämpft werden, geht auf mittelalterliche Vorstellungen und diese wiederum auf Theorien des vor rund 1.800 Jahren lebenden und vorwiegend in Rom tätigen griechischen Arztes Galenos von Pergamon zurück.

Galenos von Pergamon, kurz: Galen, stützte seine möglicherweise durchaus wirkungsvollen medizinischen Behandlungen auf ein obskures theoretisches Konzept und fabulierte von "Körpersäften" und "Pneuma". Galens durchaus systematisch aufgebaute Schriften, die im frühen Mittelalter von Hunain ibn Ishaq (808– bis 873) auch ins Syrische und Arabische übersetzt wurden, waren in ihrem Umfang und in ihrem wissenschaftlichen Anspruch für die Nachwelt von solcher Autorität, daß sie erst nach rund 1.400 Jahren durch die medizinische Forschungen allmählich überwunden werden konnten. Seine falsche Theorie der Blutströmung vom Zentrum zur Peripherie des Körpers wurde erst im 17. Jahrhundert durch William Harvey und Marcello Malpighi gegen erhebliche Widerstände revidiert. Auch Galens Auffassung der Humoralpathologie hatte - als Theorie von der Ursache der Krankheiten - Bestand bis ins 19. Jahrhundert. Seine Theorien waren bis zum 19. Jahrhundert Grundlage der medizinischen Lehre an europäischen Universitäten. In Anbetracht der Tatsache, daß bis heute "Theologie" an deutschen Universitäten gelehrt werden darf und mit Steuergeldern alimentiert wird, besteht jedoch kein Grund zur Hochmut gegenüber den damaligen universitären Gepflogenheiten.

Konkret ist es heutiges medizinwissenschaftliches Standardwissen, daß es keine "Schlacken" im menschlichen Organismus gibt und daß Gifte in aller Regel mit Hilfe der Nieren und Leber ausgeschieden werden. Dennoch hat sich "Ölziehen" in esoterischen Kreisen mittlerweile zu einem beliebten allmorgendlichen "Detox"-Ritual entwickelt. Manche HeilpraktikerInnen propagieren gar, die nach dem "Ölziehen" ausgespuckte schaumige Mischung aus Mundsekret und Öl müsse verbrannt werden. Hierbei spielt die archaische Erzählung von der reinigenden Kraft des Feuers eine Rolle, die seit der Entdeckung der Oxidation im 18. Jahrhundert durch den Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier dem Reich der Mythen zuzuordnen ist.

Beim "Ölziehen" - englisch: oil pulling - wird der Mund je nach der spezifischen esoterischen Schule über einen bestimmten Zeitraum mit einem Pflanzenöl oder einer Ölmischung gespült. Die "Heil"-Kur, die auch gelegentlich als Ölkur, Ölsaugen oder Ölkauen bezeichnet wird, soll Schadstoffe oder Gifte aus dem Körper "herausziehen". Selbstverständlich ist es aus medizinischer Sicht schlichter Unfug, wenn HeilpraktikerInnen in Verbindung mit "Ölziehen" und Fasten-Kuren davon reden, bei einer Reduktion des Fettgewebes würden zuvor eingelagerte Schadstoffe oder Gifte frei. Es ist daher klar, daß in dem ausgespuckten Öl - sei es Sesam-Öl, Sonnenblumen- oder Öliven-Öl - nach dem "Ölziehen" keinerlei Schadstoffe oder Gifte (im Vergleich zum Ausgangsprodukt) nachgewiesen werden können.

 

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